Montag, 21. März. Während die Berlin Fashion Week der deutschen Fachpresse keine besondere Berichterstattung wert ist (sieht man einmal von ein paar Catwalk-Fotos ab), nehmen die Profis im fernen China den Schauenzirkus in der deutschen Hauptstadt durchaus ernst. Der Branchendienst Jing Daily sieht für die Berliner Labels großes Potenzial bei den immer anspruchsvolleren chinesischen Verbrauchern. Wegen ihres Appetits auf Neues und dem zunehmenden Hang zu Individualität seien solche Nischen-Marken in China auf dem Vormarsch. Das Marktforschungsunternehmen Insight & Info Consulting schätze das Marktvolumen für unabhängige Designer für 2020 auf 8,1 Milliarden Dollar, bis 2025 sollen es 12,1 Milliarden Dollar sein. Paris und Mailand waren gestern. Auf nach China, William Fan und Kilian Kerner!
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Mittwoch, 23. März. Ein niederschmetterndes Interview mit Annette Roeckl in der SZ (Paywall): Gegen den traditionsreichen Münchner Handschuh-Spezialisten scheint sich aber auch wirklich alles verschworen zu haben – Covid, Putin und der Zeitgeist.
Erst sorgte Corona zwei Jahre lang dafür, dass in den Läden wenig ging. Und das, nachdem man sich erst 2017 aus der Insolvenz gerettet hatte. Jetzt bricht das Russland-Geschäft weg und der Rubel-Verfall verteuert die Produkte mal eben über Nacht um 50 Prozent. In Moskau trägt man wetterbedingt häufiger Handschuhe, der Klimawandel macht sie in unseren Breitengraden dagegen immer mehr überflüssig. Und wer im Homeoffice sitzt und sich alles nach Hause liefern lässt, braucht ebenfalls keine Handwärmer. Obendrauf kommt der zunehmende Veganismus, der Lederverarbeitung ablehnt. Und natürlich der ökologische Aspekt: Leder zu verarbeiten, ist nicht die sauberste Angelegenheit. Lederersatzstoffe sind bei den kniffligen Anforderungen von Handschuhen dem Naturmaterial aber eindeutig unterlegen, mal ganz abgesehen von der ebenfalls zweifelhaften Klimabilanz dieser Ölprodukte.
Dass es ein Anbieter wie Roeckl besonders schwer hat, ist für alle anderen Unternehmen, die ebenfalls von Krisen getroffen sind, kein wirklicher Trost. Es ist im Gegenteil fast tragisch. Roeckl bringt etliche Voraussetzungen mit für eine Premium/Luxus-Positionierung im Accessoires-Markt: eine Spitzenposition in einer Category, handwerklich perfekt gemachte Qualitätsprodukte, eine traditionsreiche deutsche Brand Heritage. Was eine Alukoffermarke und ein Korksohlenschuhproduzent geschafft haben, könnte auch der Weg für die Handschuhfirma am Münchner Roecklplatz sein.
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Donnerstag, 24 März. Premiere für die Metaverse Fashion Week (MVFW). Bis zum kommenden Sonntag gibt es bei Decentraland Fashion Shows, Panels, Ausstellungen und Parties. Mit dabei u.a. Dolce & Gabbana, Philipp Plein, Etro, IKKS und Hogan. Bereits gestern hat Selfridges dort eine Filiale eröffnet, wo es aber nichts zu kaufen gab. Zumindest hat sich einem als Online-Flaneur nichts angeboten.
Hauptzweck der ganzen Sache scheint es vorläufig zu sein, der Plattform Decentraland Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es geht darum, Parzellen an Markenanbieter zu verkaufen, verknüpft mit PR und der vagen Aussicht auf Irgendwann-Geschäfte mit virtueller Mode. Philipp Plein hat bereits Mana (Decentralands Kryptowährung) für umgerechnet 1,4 Millionen Euro investiert „Meine Mutter hat mich auch gefragt, ob ich total verrückt bin“, gestand er am Montag dem Manager-Magazin (Paywall). Der TKP bei Decentraland dürfte fürs Erste nicht konkurrenzfähig sein – die Frequenz heute ließ doch sehr zu wünschen übrig. Bei Selfridges begegneten einem lediglich einige verwirrte Gestalten, die augenscheinlich dieselben Navigationsprobleme hatten wie man selbst. Und bei Dolce & Gabbana rannten Avatare aufgeregt herum, dass man sich gar nicht recht auf den Catwalk konzentrieren konnte.
Es scheint so, dass Modemarken, die sich seit jeher gerne progressiv positionieren und an der Spitze der Bewegung sehen wollen, wieder mal einem Hype aufsitzen, ohne sich zu fragen, wo der Nutzen für die Zielgruppe ist.
Überhaupt die User: an sie hat man bei der ganzen Sache nicht wirklich gedacht. Die Grafik scheint aus der Kreidezeit des Internets zu stammen und wird an fotorealistische Egoshooter- und interaktive Fussball-Spiele gewohnte Gamer nicht vom Stuhl reissen. Das ist doch eher eine Art Second Life 2.0. Wenn man die Modenschauen wenigstens irgendwie aufmischen oder vielleicht Selfridges zerstören könnte…
Man kann überdies die Frage stellen, wieviele Dolce & Gabbana-Kundinnen sich ins Decentraland aufmachen werden. Und wird sich der typische Gamer in Hoodie und Joggpants für eine Modenschau und erst recht für die von Dolce & Gabbana wirklich interessieren? Werden diese User bei ihren Spaziergängen durchs Metaverse wirklich Hogan-Schuhe tragen, wenn man diese denn dort mal kaufen kann? Wahrscheinlicher ist, dass sich im virtuellen Raum vor allem Leute mit Zeit und nicht unbedingt jene mit Geld tummeln.
Es scheint so, dass Modemarken, die sich bekanntlich seit jeher gerne progressiv positionieren und an der Spitze der Bewegung sehen wollen, wieder mal einem Hype aufsitzen, ohne sich zu fragen, wo der Nutzen für die Zielgruppe ist. Wer erinnert sich noch an Clubhouse? Da war die halbe Branche für ein paar Wochen am Senden. Hat irgendwer an die Empfänger gedacht? Wir sollten nicht über jedes Stöckchen springen, das Medien-Startups uns hinhalten.
Aber vielleicht verstehen wir diese Entwicklung einfach nur nicht mehr, und es wird mit dem Metaverse nun so etwas wie der nächste Evolutionsschritt des Modemarketings eingeleitet. Es ist ja ein Phänomen, wie sich – nicht zuletzt im Zuge der Casualisierung – gerade bei den Luxury Brands die Preise von den Produktionskosten entfernt haben: Wo zu Zeiten der Haute Couture für exklusives Handwerk exorbitante Preise aufgerufen wurden, die durchaus gerechtfertigt waren, werden jetzt schlichte T‑Shirts für 300 Euro und ordinäre Sneaker für 800 Euro verkauft. Als Nächstes verkaufen die Marken virtuelle Mode. Da bekommt man für sein Geld nicht einmal mehr ein konkretes Produkt, bloß noch den Markenstatus.