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Digitale Mode: “The Next Big Thing”?

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Jür­gen Mül­ler

Man ist ja geneigt, ange­sichts der rasant fort­schrei­ten­den Digi­ta­li­sie­rung alles für mög­lich zu hal­ten. Jüngs­tes Bei­spiel: Vir­tu­el­le Mode. Digi­tal erzeug­te, phy­sisch nicht exis­ten­te Kla­mot­ten, die in Social Media, Games und Aug­men­ted Rea­li­ty getra­gen wer­den. Und mit denen Geschäft gemacht wird.

Die Idee ist bestechend. Wir zie­hen uns ja nicht an, weil wir sonst frie­ren. Beklei­dung dient seit jeher auch dem per­so­nal bran­ding, und in dem Maße, wie wir unser Leben im Netz ver­brin­gen – was sich mit Coro­na poten­ziert hat – posi­tio­nie­ren wir uns medi­al. Insta­gram & Co. sind Platt­for­men zur Selbst­dar­stel­lung, ein rie­si­ges Öko­sys­tem von Apps bedient das Bedürf­nis nach visu­el­ler Selbst­op­ti­mie­rung. Da ist der Schritt zum vir­tu­el­len Out­fit nahe­lie­gend. Und umwelt­scho­nen­der als Ward­ro­bing, wo bereits pro­du­zier­te Desi­gner­mo­de nur fürs Foto bestellt und anschlie­ßend wie­der zurück­ge­schickt wird, ist die digi­ta­le Ware alle­mal. Zu Ende gedacht, ist vir­tu­el­le Mode viel­leicht sogar so etwas wie die Lösung aller Sus­taina­bi­li­ty-Pro­ble­me der Mode­bran­che.

Doch im Ernst. Es ist in den ver­gan­ge­nen Mona­ten ein klei­ner Hype um das The­ma ent­stan­den. Getrie­ben durch PR-träch­ti­ge Aktio­nen wie dem vir­tu­el­len Snea­k­er-Drop, der dem Lon­do­ner Label RTFKT ins­ge­samt 3,1 Mil­lio­nen Dol­lar ein­brach­te, oder dem vir­tu­el­len Hoo­die für 19.000 Pfund von einem Street­wear­la­bel mit dem pas­sen­den Namen “Over­pri­ced”. Basie­rend auf der Block­chain­tech­no­lo­gie, die mit Nun-Fun­gi­ble-Tokens (NFT) vir­tu­el­len Besitz mög­lich gemacht hat, was zur­zeit auch im Kunst­markt enor­me Wel­len schlägt. Ver­mut­lich durch­drin­gen die wenigs­ten, wie das Gan­ze funk­tio­niert. Aber das hält die Leu­te ja auch nicht davon ab, wie blöd Bit­co­in zu kau­fen.

So hat sich inzwi­schen eine klei­ne Sze­ne von digi­ta­len Labels (wie z.B. Aurob­oros oder RTFKT), Agen­tu­ren (wie The Fabri­cant) und Ver­kaufs­platt­for­men (wie z.B. Dres­sX, Tri­bu­te Brands oder Dema­te­ria­li­sed) gebil­det, die das The­ma vor­an­brin­gen, mit Inter­es­se ver­folgt von Finanz­in­ves­to­ren und Ven­ture Capi­tal-Gebern, die ja stets auf der Suche nach dem nächs­ten gro­ßen Ding sind. Zumin­dest die Gam­ing-Sze­ne scheint offen für das The­ma, und das ist ja kei­ne zu ver­nach­läs­si­gen­de Ziel­grup­pe mehr. So sol­len allein die 250 Mil­lio­nen Fort­ni­te-Spie­ler monat­lich einen hohen drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­trag für Skins (also Out­fits und Zube­hör, mit denen sie ihre Ava­tare indi­vi­du­ell aus­stat­ten kön­nen) aus­ge­ben.

Im brei­ten Markt dürf­te das kom­mer­zi­el­le Poten­zi­al von vir­tu­el­ler Mode indes noch sehr über­schau­bar sein. In aller­ers­ter Linie hat sich damit ein neu­es Spiel­feld fürs Mode­mar­ke­ting auf­ge­tan, das von den gro­ßen Brands zuneh­mend betre­ten wird. Lou­is Vuit­ton und Bur­ber­ry hat­ten bereits Auf­trit­te in Online Games. Auch eine Agen­tur wie The Fabri­cant ver­dient ihr Geld ver­mut­lich vor allem mit Werk­ar­bei­ten (z.B. für Tom­my Hil­fi­ger, Adi­das oder Buf­fa­lo) und nicht mit dem Ver­kauf von vir­tu­el­len Out­fits. Im März sorg­ten die „Guc­ci Vir­tu­al 25“ für Schlag­zei­len, eine AR-Anwen­dung in Koope­ra­ti­on mit der App „Wan­na Kicks“. Dass die am Geschmack der Gamer aus­ge­rich­te­ten quietsch­bun­ten Schu­he sti­lis­tisch eigent­lich nicht zu Guc­ci pas­sen und mit 12,99 Dol­lar für eine Luxus­mar­ke viel zu bil­lig sind – geschenkt. Auch H&Ms jüngs­te Kam­pa­gne mit Mai­sie Wil­liams (der Arya Stark aus „Game of Thro­nes“) spielt sich teil­wei­se „in game“ ab. So eröff­net H&M in Ani­mal Crossing sei­ne Recy­cling-Sta­ti­on Loop Island, wo Spie­ler ihre alten Out­fits in neue tau­schen kön­nen.

Der Nut­zen der digi­ta­len Tech­no­lo­gie liegt indes nicht nur im Mar­ke­ting oder gar im Ver­kauf von vir­tu­el­ler Ware. Das wirk­li­che Poten­zi­al für die Indus­trie wird sich hin­ter den Kulis­sen ent­fal­ten: in Design, Pro­dukt­ent­wick­lung und Pro­duk­ti­on, im Sup­p­ly Chain Manage­ment und im B2B-Ver­trieb (vir­tu­el­le Show­rooms etc.). Anbie­ter wie Lec­tra oder Assyst bie­ten hier bereits inter­es­san­te Lösun­gen. Das DMI ver­an­stal­tet am kom­men­den Diens­tag mit dem Re’aD Sum­mit übri­gens einen – natür­lich digi­ta­len – Kon­gress zum The­ma.

Und viel­leicht kom­men wir so eines Tages im Mas­sen­markt zu Fashion on Demand-Lösun­gen, wo tat­säch­lich nur noch das pro­du­ziert wird, was zuvor vir­tu­ell ver­kauft wur­de. Eine sol­che Ver­mei­dung von Über­pro­duk­ti­on wäre aus Nach­hal­tig­keits- wie auch aus wirt­schaft­li­chen Grün­den sinn­voll. Abge­se­hen davon, dass dies nicht wirk­lich im Inter­es­se der bestehen­den Struk­tu­ren in Han­del und Indus­trie ist und es auch ein paar gesetz­li­che Hür­den gibt, dürf­te das aber auch aus ande­ren Grün­den noch dau­ern. Denn das setzt neben funk­tio­nie­ren­der Tech­no­lo­gie und völ­lig neu struk­tu­rier­ten, maxi­mal fle­xi­blen Sup­p­ly Chains ins­be­son­de­re eine Ver­än­de­rung der Anspruchs­hal­tung der Kon­su­men­ten vor­aus.

Viel­leicht ist dies sogar der größ­te Hemm­schuh. Fashion on demand wird kaum “same day” funk­tio­nie­ren. Aber die Kun­den wer­den durch das Online Shop­ping ja gera­de dar­auf trai­niert, dass alles an jedem Ort zu jeder Zeit ver­füg­bar ist. War­ten als die Begehr­lich­keit stei­gern­de Kul­tur­tech­nik ist lei­der aus der Mode gekom­men.

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Und sonst?

…zeig­te Hol­ly­wood Bauch. Bemer­kens­wert vie­le Roben bei der Oscar-Ver­lei­hung am Sonn­tag gaben den Blick auf Bauch­na­bel und Tail­le frei. Die Cele­bri­ties zei­gen, dass ihnen Coro­na nichts anha­ben konn­te.

…sank der Klo­pa­pier-Absatz im ers­ten Quar­tal nach Anga­ben des Ver­band Deut­scher Papier­fa­bri­ken (VDP) um 8,1 Pro­zent. Die Deut­schen rech­nen offen­kun­dig mit einem bal­di­gen Ende der Pan­de­mie.