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Capital of Casual

Seit dem Mauerfall gab es in Berlin über 40 Modemessen, hunderte von Modelabels und tausende Fashion Events. Doch was war wirklich relevant? Joachim Schirrmacher versucht eine Einordnung. Und meint: Die aus der Techno-Szene entstandene Clubwear prägt heute als Streetstyle die globale Mode.
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Joa­chim Schirr­ma­cher

Wenn wir über Ber­li­ner Mode spre­chen, haben wir es mit fünf unter­schied­li­chen Wel­ten zu tun, zwi­schen denen es kaum Berüh­rungs­punk­te gibt.

Neben „den“ Ber­li­ner Desi­gnern wie Esther Per­bandt, Fir­ma, Kavi­ar Gau­che, Micha­el Son­tag oder Per­ret Schaad – um nur eini­ge von über 120 Namen zu nen­nen – gibt es die Coo­len, eine Clic­que rund um das Maga­zin 032c und der PR-Agen­tur Refe­rence mit Labels wie GmbH, Ximon Lee, Ste­fa­no Pila­ti oder Otto­lin­ger. Sie leben und arbei­ten in Ber­lin, ver­mei­den aber fast jede Ver­bin­dung zur Fashion Week.

Drit­tens gibt es Kon­zer­ne wie Zalan­do oder MCM. Sie sind wich­ti­ge Arbeit­ge­ber, sie brin­gen sich aber kaum in die Stadt ein. Ganz anders als frü­he­re Unter­neh­mer wie Klaus Steil­mann im Ruhr­ge­biet, Micha­el Otto in Ham­burg oder eng­li­sche Mar­ken wie Top Shop, die wich­ti­ge Spon­so­ren der Lon­do­ner Gra­dua­te Fashion Week waren und den Baum nähr­ten, deren Früch­te sie brauch­ten.

Vier­tens gibt es die Unsicht­ba­ren. In fast allen inter­na­tio­na­len Mode­häu­sern arbei­ten Deut­sche, oft in Füh­rungs­po­si­tio­nen, vie­le stu­dier­ten in Ber­lin oder leben hier. Ein Bei­spiel ist Joel Hor­witz, der nach dem Stu­di­um an der Uni­ver­si­tät der Küns­te Ber­lin zu Adi­das ging und heu­te Design Direc­tor von Fila Euro­pe ist. Auch die meis­ten Preis­trä­ger des Euro­pean Fashion Award FASH arbei­ten im Hin­ter­grund in Unter­neh­men wie Adi­das, AlphaT­au­ri, Guc­ci, Hugo Boss, S.Oliver und für Desi­gner wie Dries van Noten oder Vivi­en­ne West­wood.

Und dann gibt es fünf­tens noch die deut­sche Beklei­dungs­in­dus­trie. Sie ist mit Ber­lin seit dem 2. Welt­krieg nie mehr rich­tig warm gewor­den. Es gab nach dem Mau­er­fall Ver­su­che, die Mode­stadt Ber­lin wie­der­zu­be­le­ben. So ver­an­stal­te­te die Düs­sel­dor­fer Ige­do Com­pa­ny von März 1991 bis August 1994 die Mes­se „Moda Ber­lin“ die trotz Mil­lio­nen­un­ter­stüt­zung durch den Senat kläg­lich schei­ter­te.

In den Nuller­jah­ren erleb­te die Mes­se­stadt mit Bread & But­ter und Pre­mi­um einen kur­zen, stei­len Auf­stieg. Ber­lin war von 2009 bis 2013 einer der wich­tigs­ten Ter­mi­ne im Kalen­der der Ein­käu­fer, weil hier das Bild einer neu­en Zeit sicht­bar und spür­bar wur­de und die Mes­sen ein star­kes kom­mer­zi­el­les Fun­da­ment hat­ten – etwas, was in die­ser Form weder in Paris noch in Mai­land vor­han­den war. Die­ser Auf­schwung war aller­dings nicht von Dau­er. Da die Mode­sze­ne in Ber­lin aus meh­re­ren Par­al­lel­wel­ten besteht, die kaum mit­ein­an­der in Kon­takt ste­hen und die bis­lang nie­mand einen konn­te, ent­wi­ckel­te sie wenig Kraft. Spä­tes­tens seit 2018 sind die Besu­cher­zah­len spür­bar ein­ge­bro­chen, die Pan­de­mie tat das Übri­ge. Kom­mer­zi­ell ist die Stadt heu­te nicht mehr wirk­lich rele­vant. Auch die Fashion Week dürf­te bis auf wei­te­res eine loka­le Platt­form blei­ben.

Nach West-Berlin kam, wer nicht so sein wollte, wie seine Eltern. Sie probierten Alles aus und schrien ihren Weltschmerz heraus: Macht kaputt, was euch kaputt macht.

Eine wich­ti­ge Rol­le spielt Ber­lin aller­dings nach wie vor als Ort der Inspi­ra­ti­on. Das war es schon vor dem Mau­er­fall. Hier leb­ten die „cool kids“ der Repu­blik: Nach West-Ber­lin kam, wer nicht so sein woll­te, wie sei­ne Eltern. Sie pro­bier­ten Alles aus und schrien ihren Welt­schmerz her­aus: Macht kaputt, was euch kaputt macht. Zudem keim­te die heu­ti­ge Viel­falt auf: Zu den Alter­na­ti­ven kamen die Besat­zungs­trup­pen, die inter­na­tio­na­le Sze­ne der Kul­tur­schaf­fen­den und Arbeits­emi­gran­ten vor allem aus der Tür­kei.

Beein­flusst von einer neu­en Gene­ra­ti­on eng­li­scher Mode­ma­ga­zi­ne wie ;-D set­ze die Jugend dem „mords­lang­wei­li­gen Mode-Kom­merz“ revo­lu­tio­nä­ren Hedo­nis­mus ent­ge­gen. Mode war nicht mehr Ele­ganz, Mode war jetzt Event. Hier tra­fen sich Trend und Trash, wur­den in Per­for­man­ces neue Prä­sen­ta­ti­ons­for­men aus­pro­biert. Mode wur­de immer mehr ein bewuss­tes Mit­tel der Kom­mu­ni­ka­ti­on, der Abgren­zung und Ein­ord­nung. Anschau­lich zu sehen war dies 2021 in der Aus­stel­lung über Clau­dia Sko­da in der Kunst­bi­blio­thek.

Schei­tern gehör­te zum guten Ton. Das Nicht-Kön­nen und der Wider­stand gegen Kon­ven­tio­nen soll­ten den Weg öff­nen zu einer unge­brems­ten Kraft des Aus­drucks. Kom­mer­zi­ell war nicht nur in Ber­lin ein schlim­mes Schimpf­wort. So sag­te Fio­nett Ben­nett einst: „Wenn Mode sich als gut ver­käuf­lich erwies, inter­es­sier­te sie mich nicht mehr.“ Die­se Hal­tung blieb und prägt Tei­le der Ber­li­ner Mode­sze­ne bis heu­te.

Mit­te der Ach­zi­ger Jah­re war die Ener­gie aller­dings weg. Bis die Ost­deut­schen die Mau­er zu Fall brach­ten und sich alles änder­te. Tech­no wur­de der Sound der Wen­de. Es ent­stand eine Ener­gie und die Frei­heit sich so zu füh­len, wie man woll­te, sich aus­zu­pro­bie­ren und ein­fach sein Leben zu genie­ßen. Die Love Para­de öff­ne­te brei­ten Mas­sen die Frei­heit, ihren Stil zu leben. Es ent­stand nicht nur ein Netz­werk aus Clubs, Plat­ten­lä­den und ‑labels und Zeit­schrif­ten, son­dern auch neue Kunst, eine eige­ne visu­el­le Spra­che und Mode. „Kei­ne ande­re Musik hat Mode in Deutsch­land so ver­än­dert wie Tech­no“, schreibt Cathy Boom in einem der weni­gen Arti­kel zur Club­wear.

Gender-Fluidität war in Berlin immer ein Thema. In einer Gemeinschaft, der es egal war, ob man schwul, klein, dick, dünn, schwarz oder weiß war, war auch der Kleidungsstil egal.

Die­se Ber­li­ner Mode ent­stand in den Clubs, nicht auf dem Cat­walk. Dabei gab es kaum Regeln. Club­wear ver­band Stil­ele­men­te aus bis­he­ri­gen Jugend­kul­tu­ren und vie­le Ein­füs­se aus Lon­don. Ab etwa 1992/93 gab es kom­mer­zi­el­le Ange­bo­te. Die wenigs­ten der über 70 Anbie­ter kamen aus der Tex­til­bran­che, son­dern aus der Sze­ne. Wich­ti­ge Namen waren u.a. 3000, Bør­ding, Next GURU Now, Sabo­ta­ge oder W&LT.

Gen­der-Flui­di­tät war dabei von Anfang an ein The­ma. In einer Gemein­schaft, der es egal war, ob man schwul, klein, dick, dünn, schwarz oder weiß war, war auch der Klei­dungs­stil egal. Gera­de die Kids aus dem Osten nutz­ten ihre neu­en Frei­hei­ten. Man woll­te tan­zen – oft tage­lang – daher war der Look meist funk­tio­nal bis sport­lich. Lang­sam bil­de­ten sich ein­zel­ne Looks her­aus, die teils bis heu­te prä­gend sind.

Es ent­stan­den vie­le Sti­le wie DIY, Sci­ence-Fic­tion, Grunge, der Berg­hain-Mini­ma­lis­mus oder Sport Vin­ta­ge – auf den Adi­das erst 1997 mit Ori­gi­nals reagier­te. Kom­mer­zi­ell am bedeu­tens­ten waren Camou­fla­ge und der figur­be­ton­te Gir­lie-Look, der eine Deka­de des Slim-Fits ein­läu­te­te. Sie alle sind heu­te selbst­ver­ständ­li­cher Teil der All­tags­klei­dung.

Clubwear war eine wichtige Quelle für die Streetwear, die heute die globale Mode dominiert.

Mit Tech­no wur­de expe­ri­men­tiert, was eine que­e­re, auf­ge­schlos­se­ne und gren­zen­lo­se Par­ty bedeu­ten kann, und es ent­stan­den vor­ur­teils­freie Orte, an denen kaum eine Begier­de uner­füllt blieb. Erst mythen­um­rank­te Fetisch­par­tys, dann sex­po­si­ti­ve Par­tys mit ihrem spe­zi­el­len Out­fits von Lack und Leder bis zum Total-Nude­-Look. Die­se Out­fits sind in vie­len Büh­nen­shows und Vide­os von Pop­stars zu sehen. Heu­te tra­gen 13-jäh­ri­ge in Beglei­tung ihrer Groß­el­tern Sport-BHs und Super-Mini-Hot­pants auf dem Ku’­damm. Der Kör­per wur­de wich­ti­ger als die Klei­dung, wie auch der Tat­too-Boom zeigt. Seit dem Ende der 80er Jah­re sind sie gesell­schafts­fä­hig gewor­den und heu­te in prak­tisch allen Grup­pen der Gesell­schaft zu sehen. Jede vier­te Per­son in Deutsch­land soll ein Tat­too tra­gen.

Club­wear war zugleich eine wich­ti­ge Quel­le für die Street­wear, die heu­te die glo­ba­le Mode domi­niert. Auch hier spiel­te Ber­lin eine rele­van­te Rol­le. Adi­das, Puma & Co müss­ten von ihren Mil­li­ar­den­um­sät­zen eigent­lich Lizenz­ge­büh­ren an die Ber­li­ner Sze­ne zah­len.

Street­wear wur­de nicht zuletzt für die High Fashion immer bedeut­sa­mer. Früh war dies schon bei Hel­mut Lang, Jean-Paul Gaul­tier, Mar­gie­la, Pra­da oder Ver­sace zu sehen, die Details der 90er Club­wear mit tem­po­rä­ren Mode­styl­es und Mate­ria­li­en kom­bi­nier­ten.

Dem­na, der eini­gen als der­zeit wich­tigs­ter Desi­gner gilt, mach­te mit sei­ner „Street­wear-Revo­lu­ti­on“ das alte Unten zum neu­en Oben. Erst bei Vete­ments, dann bei Balen­cia­ga. Er arbei­tet mit vie­len Krea­ti­ven aus Ber­lin und sagt, dass Ber­lin sei­ne Lie­be zur Mode geprägt hat. Sei­ne Schau in der New Yor­ker Bör­se wirk­te wie dem Berg­hain ent­sprun­gen.

Ande­re wich­ti­ge Mar­ken sind GmbH, Bot­te­ga Vene­ta und natür­lich Vir­gil Abloh, zunächst mit Off-White und dann Lou­is Vuit­ton. Sie alle zei­gen – zusam­men mit vie­len Epi­go­nen – im Grun­de den Look der Ber­li­ner Tech­no­sze­ne, meist zu absurd über­höh­ten Prei­sen. So wie Paris für Cou­ture und Mai­land für Mens­wear ste­hen, steht Ber­lin als Capi­tal of Casu­al für ein neu­es Zeit­al­ter.

In Deutsch­land nah­men vie­le Mode­pro­fis Club­wear jedoch kaum zur Kennt­nis, sei es die deut­sche Beklei­dungs­in­dus­trie oder Medi­en wie die Vogue oder GQ. Club­wear war ein Teil der Young Fashion, also nicht wirk­lich ernst zu neh­men. Die jun­gen Leu­te wür­den schon bald ver­nünf­tig wer­den und „rich­ti­ge“ Mode kau­fen. Statt­des­sen gin­gen sie ihren eige­nen Weg.

Viele haben viel zu spät verstanden, was die Kunden bewegte. Da ist bei der etablierten DOB-Marke im Kopf womöglich das Bild der alten Dame, dabei kann die heutige Kundin durchaus auf der Love Parade gewesen sein.

Gera­de vie­le deut­sche Mode­mar­ken haben seit jeher viel zu spät ver­stan­den, was die Kun­den beweg­te. Da war bei der eta­blier­ten DOB-Mar­ke im Kopf zu lan­ge das Bild der alten Dame in grau und beige, dabei kann die heu­ti­ge Kun­din durch­aus auf der Love Para­de gewe­sen sein. Dies gilt es ent­spre­chend zu über­set­zen. Aber man hat halt eine Pro­duk­ti­on für Kon­fek­ti­on, also bekommt die Anzugs­ho­se ein Bom­mel­band, wird „cool“ foto­gra­fiert und dann soll der Kun­de es bit­te­schön kau­fen. Was sie aber zuneh­mend weni­ger tun.

Ähn­lich ist es in der Mode­theo­rie und ‑for­schung. Sie gehen zumeist vom Gestal­ter und weni­ger vom All­tag der Men­schen aus. Muse­en star­ten ihre Arbeit oft auf der Grund­la­ge ihrer Samm­lung. Doch gera­de die Sub­kul­tur ist hier sehr frag­men­ta­risch vor­han­den. Vie­le rele­van­te The­men blei­ben daher außen vor.

Die eigent­li­che, durch Ber­lin beför­der­te und zugleich über Ber­lin hin­aus­wei­sen­de Ent­wick­lung zeigt sich im radi­ka­len Bruch zwi­schen Lauf­steg und Lebens­wel­ten. Mode ent­steht heu­te nicht mehr in den Ate­liers. Statt von Pro­fis wer­den Mode­trends jetzt von Frau und Herrn Jeder­mann gesetzt.

Joachim schirrmacher © jakob tillmann web i
Joa­chim Schirr­ma­cher

Joa­chim Schirr­ma­cher hat über die Ent­ste­hung und Ent­wick­lung der Club­wear in der Redak­ti­on des Fach­ma­ga­zins Sports­wear Inter­na­tio­nal berich­tet und seit­dem die Ver­brei­tung der Street­wear sowie den Auf­stieg und Fall der Mode­mes­sen – erst am Rhein, dann in Ber­lin – als Jour­na­list inten­siv beglei­tet. Heu­te arbei­tet er als Autor, Spre­cher und Crea­ti­ve Con­sul­tant. Der ein­stün­di­ge Vor­trag „Nie­der­gang oder gran­dio­ser Sieg? Mode in Ber­lin seit 1989 , aus dem die­ser Aus­zug stammt, wur­de am 7. Sep­tem­ber 2022 zum Abschluss des Ber­li­ner Mode­sa­lons in der Rei­he „Mode The­ma Mode der Lip­per­hei­de­sche Kos­tüm­bi­blio­thek der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin gehal­ten. www.schirrmacher.org