Und dann gibt es Stores wie Gucci auf der Goethestraße in Frankfurt, wo die Kunden Schlange stehen und geduldig warten. Bis es unlängst zu einer Schlägerei kam. Einer der beiden Herren wurde später von der Polizei gewaltsam aus seinem „hochmotorisierten Wagen der Luxusklasse entfernt“. AMG? Wahrscheinlich. Fahren hier alle jungen Buben! Wundert mich alles nicht. Wird aber früher oder später beiden Luxus-Marken auf die Füße fallen. Zumindest in unserer Gegend (Frankfurt/Offenbach).
Die beiden Marken machen ein lustiges Marketing und zelebrieren eine Zielgruppe, als hätten wir zwölf Monate Fasching. Dem Humba-Humba-Täterä hat Gucci mit dem Rausschmiss von Alessandro Michele ein Ende gemacht. War auch Zeit. Und Ola Källenius, der Mercedes-CEO, kungelt mit Brunello Cucinelli, dem König der leisen Luxusmode. Källenius wird sich dabei etwas gedacht haben. Der Chef von Kering auch.
Am anderen Ende der Preis-Skala gibt es sowas wie Snipes. Die wachsen und wachsen, bis nach USA. Da gibt es übrigens Überschneidungen zu Obigem. Was machen beide richtig? Sie haben ihre Zielgruppe 100% im Visier. Und verkaufen weltweit.
Ein paar Meter weiter ist die Zeil. Da ging mal die Post ab. Aber die Post gibt es ja auch nicht mehr. Heißt ja jetzt DHL und hat die halbe Welt zusammengekauft. Kurze Quizfrage? Was heißt eigentlich DHL? Geil, was? Muss jetzt fast jeder googlen und denkt: scheiß Name.…
Ich setze mich manchmal für eine halbe Stunde vor einen Spot und schaue mir die vorbeilaufenden Menschen an. Oft habe ich dabei eine Erkenntnis. Oder eine vorhandene Erkenntnis erhärtet sich. Wer läuft so alles durch die Stadt? Wer geht in einen Laden, und wie sieht dieser Kunde aus? Einfache Übung. Auf der Zeil und ihrer Umgebung hängt jetzt aber der Geruch von Pleite. Warum? Möglicherweise weil dort Marken verkauft werden, für die ich gar keine Zielgruppe sehe. Und ich sehe Zielgruppen, für die die Zeil gar nichts bietet.
Ich habe mir mal im Internet die Händlersuche eines bekannten deutschen Hemdenherstellers und eines ebenso bekannten deutschen Hosenherstellers angesehen. Guter Best Ager stuff. Galeria und Peek & Cloppenburg sind bei beiden prominent im Rennen. Klumpenrisiko vermeiden, sagt der Börsianer.
Jetzt entsteht natürlich eine gewisse Problematik, die mich zu den ersten beiden Sätzen bewegte. Da helfen jetzt auch keine Unternehmensberater mehr, die, zumindest in Frankfurt, ihre Sachen bestimmt nicht bei den beiden Adressen, sondern bei einem der Edelschneider um die Ecke kaufen. Die sollen jetzt ihren Klienten erklären, wie man dem jeweiligen anderen die Hose auszieht oder das letzte Hemd abnimmt. Das können die! Damit haben sie der Bahn den Garaus gemacht, die Lufthansa ruiniert und alle Autokonzerne und deren Zulieferer im Lande. Für Produktideen werden BCG & Co. übrigens nie geholt. Haben die nämlich auch keine.
„Aktuell haben wir kein Spielgeld für Experimente!“
Junge Marken haben gute Ideen! Die gingen früher auf Messen und haben sich gewundert, dass Einzelhändler aus dem Ausland ihre Sachen eher gekauft haben, als die deutschen Händler. Mein ganzes Leben lang habe ich diesen Einkäuferspruch gehört: „Sehe ich nicht!“ Der Klassiker in meiner Karriere ist übrigens aus den 90ern und kam von Günther Dahms, damals der Boss von COAST. Der Schrecken eines jeden Vertrieblers, aber ein Mann, der gewaltige Umsätze geschaufelt hat. „Jürgen, siehst du meine Absätze (Cowboy Stiefel!)? Wenn dein Zeug geil wäre, wären die weggeflogen!“ Kurz darauf hat er es mit dem nächsten Klassiker wieder gut gemacht: „Die anderen schreiben 1 – 2 – 2 – 1. Ich schreibe 1000 – 2000 – 2000 – 1000. Also schreibe auf: 1000 Small, 2000 Medium,…“ Das waren 1987 Town & Country T‑Shirts. Zwei Jahre später wollte die keine Sau mehr, und ich habe andere Marken angeschleppt. Airwalk, Eastpak, Homeboy.…
Und genau so ist das in unserer Branche. Airwalk wollte erst keine Sau, außer ein paar Skatern, dann wollte es jeder und irgendwann haben mir meine größten Kunden von heute auf morgen vor den Koffer geschissen. Zu Recht! Was vorbei ist, ist vorbei. So war mein ganzes Leben. Zweimal im Jahr wusste ich nicht, ob ich in einem Jahr noch im Rennen sein würde.
Auf der anderen Seite gibt es Marken, die glauben, das Normalste der Welt wäre es, seine Produkte noch in der fünften Generation zu verkaufen. Klar gibt es so etwas. Aber wie lange noch? Und wie viele sind das? Karstadt, Kaufhof oder neudeutsch Galeria und P&C sind doch Top-Beispiele, dass dieses Denken auf allen Ebenen vorherrscht. Auch im Handel. Selbst wenn junge Marken auf einer Messe waren, sind diese drei Protagonisten bei ihren eingefahrenen Sortimenten geblieben und haben weiterhin Markenshops aufgefüllt und leergeräumt. Auffüllen und Leerräumen. Letzteres natürlich auf Kosten der Marken. Diese können gar nicht anders, als die Ware zurückzunehmen (und im FOC zu verschleudern), weil sie ja, im Prinzip, gar keine anderen Kunden mehr haben. Und die eigene Markenstory ist so unauffindbar, dass man damit im Ausland nicht reüssiert.
Wenn, sagen wir mal, P&C dann doch mal eine junge, coole Marke kauft, wird erst mal mit mindestens 3,0 draufgehauen, eine fette Order platziert und den nicht abverkauften Rest kann man dann wieder abholen. Wer das überleben will, muss schon irgendwo anders tolle Geschäfte machen. Gerade hat der Insolvenzverwalter der TIGHA-Mutter (Young Poets Society) P&C für die Insolvenz dieser tollen Marke verantwortlich gemacht. Diese Nachricht wird alle anderen jungen Marken restlos vergraulen. Zwangsläufig sieht man bei diesen beiden Großen wenig neue, coole Marken. Eigentlich gar keine.
„Ich bin doch nicht bescheuert und verkaufe an Händler!“
Okay. Die Eigenmarke. Übrigens ein komischer Kunstbegriff. Die P&C‑Eigenmarke war wohl nicht so geil, so dass sie den Ausflug zu fremden Händlern dann auch bald beenden musste. Die Eigenmarke muss sein, weil der Händler ja sonst gar kein Geld verdienen kann, habe ich immer wieder gehört. Das gehört übrigens zum größten Blödsinn, weil sie sich als reine Kopie ernährt und den echten Marken das Leben im Laden erschwert. Was dann wiederum eine Ereigniskette auslöst.… Aber das ist einen eigenen Beitrag wert.
Wie hat letztens der Besitzer einer D2C-Marke zu meinem Sohn Julian gesagt? „Ich bin doch nicht bescheuert und verkaufe an Händler!“ Das muss man sich mal im Hirn zergehen lassen. Dann schaut man sich in der jungen Welt um und stellt fest, dass es eine unfassbare Zahl von coolen, jungen Marken gibt, die gar kein Händlerverzeichnis haben, aber in dutzende Länder verkaufen. Direkt. Zwar bedient jeder eine mehr oder weniger große Nische, aber da die Modewelt mittlerweile aus so vielen Nischen besteht, dass der Handel dies nicht mehr abbilden kann, funktioniert das.
Wie lautet der andere Einkäufer-Satz nochmal? Ach ja. „Aktuell haben wir kein Spielgeld für Experimente!“. Das höre ich auch schon sehr lange. Deshalb funktionieren heute auch die Messen nicht mehr. Diejenigen, die hingehen, haben kein Spielgeld oder „sehen es nicht“. Händler aus dem Ausland kommen nicht mehr in ausreichender Zahl zu uns. Und schwupps hat der Handel die Messen gekillt. Oder haben die Marken die Messen gekillt, weil man nicht mehr ausstellen wollte, konnte oder musste? Vielleicht löst dieses Rätsel alsbald die KI.….
Leute, das System ist am Arsch. Das ist die schlechte Nachricht. Es entsteht aber gerade ein neues. Das wiederum ist die gute Nachricht.
Jürgen Wolf ist Gründer und Mastermind von Homeboy. Er hob das Skatewear-Label 1988 aus der Taufe und gehörte damit zu den Streetwear-Pionieren in Deutschland. In den 90er Jahren erlebte Homeboy einen rasanten Aufstieg, in den vergangenenen Jahren war es faktisch vom Markt verschwunden. 2015 hat Wolf die Marke wiederbelebt. Und startet mit seinem Sohn Julian damit durch.