Bernard hermant nhrxnv qede unsplash

Und jetzt sind alle beleidigt…

Zalando läutet die nächste Phase im Marktplatz-Geschäft ein, erklärt Stefan Wenzel.
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

How dare they? Was für eine Auf­re­gung im Markt! Dass Ama­zon all-in zum Teil mehr als 50% Kos­ten vom Umsatz ein­zieht, scheint egal. Dabei reden wir hier über die – was das Volu­men angeht - füh­ren­de Platt­form für Beklei­dung. Dass aber About You und allen vor­an Zalan­do nicht nur Pro­vi­sio­nen anhebt, son­dern zeit­gleich den Zugang zur Platt­form ähn­lich schwer macht wie das benach­bar­te Berg­hain und sogar Ver­käu­fer freund­lich aber bestimmt von der­sel­bi­gen schmeißt, das erregt die ohne­hin ange­spann­ten Gemü­ter der Bran­che auf allen Kanä­len.

War­um zu Unrecht? Zunächst ist die Auf­re­gung über fast jede Anpas­sung der Ser­vice­ge­büh­ren oder Pro­vi­si­ons­ta­bel­len ein natür­li­cher Reflex. Ama­zon und Ebay ken­nen das seit Jahr­zehn­ten, die Mode­bran­che hat das als late adop­ter bloß nie groß­ar­tig inter­es­siert. Was da aktu­ell pas­siert, ist aber auch das Ende des Coro­na-Honey­moons mit Platt­for­men der zwei­ten Gene­ra­ti­on. Und für Ver­käu­fer in Sum­me nichts weni­ger als ein neu­es Kapi­tel im Markt­platz-Buch: das der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung. Kla­gen hilft da nicht und über­ra­schen soll­te auch wenig. Die Reak­tio­nen zei­gen aber, wie groß die Miss­ver­ständ­nis­se und teil­wei­se die Nai­vi­tät Platt­for­men gegen­über immer noch sind. Hier eine Ein­ord­nung:

Zu den Gebüh­ren: Es soll­te nicht über­ra­schen – auch Platt­for­men sind Wirt­schafts­un­ter­neh­men. Und wie bei allen ande­ren Unter­neh­men muss auch dort, dem aktu­el­len Zeit­geist der Finanz­märk­te fol­gend sowie durch gestie­ge­ne Kapi­tal­kos­ten genö­tigt, die eige­ne Ergeb­nis­si­tua­ti­on ver­bes­sert wer­den. Wie das bei sich seit­wärts bewe­gen­den Umsät­zen und zeit­gleich stei­gen­den Kos­ten geht? Indem man neben der inter­nen Kos­ten­struk­tur die Pro­vi­si­on auf Umsatz und die Gebüh­ren für Ser­vices erhöht. Wer wür­de das nicht machen? Ein Pro­blem ist das vor allem für die­je­ni­gen Sel­ler, die schon vor­her ihr Geschäft auf den Platt­for­men mehr dem Zufall als der eige­nen Steue­rung über­las­sen haben und nach bis­lang wenig Deckungs­bei­trag nun gar kei­nen mehr erwirt­schaf­ten. Und es ist ein Pro­blem für all die­je­ni­gen, deren Abhän­gig­keit von ein­zel­nen Platt­for­men sowie­so schon zu hoch war und die jetzt mit der Aus­lis­tung die schmerz­haf­te Beschei­ni­gung dafür bekom­men. Man soll­te nie zu vie­le Eier in einem Nest haben. Das zeig­te auch der Fall der ana­lo­gen Dinos Gale­ria und P&C.

Wir sind technisch noch weit davon entfernt, dass Plattformen flexible Ökosysteme sind, die ohne Probleme Angebot beliebig skalieren können.

Zu den Aus­lis­tun­gen: Wenn auf Platt­for­men das Ange­bot schnel­ler als die Nach­fra­ge wächst, sinkt fol­ge­lo­gisch die durch­schnitt­li­che Pro­duk­ti­vi­tät je Ver­käu­fer. Das kor­re­liert nicht sel­ten mit deren Unmut, was den Betriebs­frie­den der Platt­for­men im Markt stört. Bewegt sich die Nach­fra­ge-Kur­ve  auf den Platt­for­men wie aktu­ell zum ers­ten Mal nur seit­wärts, sinkt die durch­schnitt­li­che Pro­duk­ti­vi­tät je Ver­käu­fer umso stär­ker. Zudem ver­stopf­ten zu hohe Men­gen an Sel­lern und Inven­tar wort­wört­lich die Pro­zes­se und Sys­te­me der Platt­for­men. Wir sind näm­lich tech­nisch noch weit davon ent­fernt, dass Platt­for­men fle­xi­ble Öko­sys­te­me sind, die ohne Pro­ble­me Ange­bot belie­big ska­lie­ren kön­nen. Bei­des ist an sich schon ein Pro­blem. Drängt sich aber zudem immer mehr irrele­van­tes Ange­bot in die­se Nadel­öh­re, muss die Platt­form umso stär­ker gegen­steu­ern und aus­sor­tie­ren. Wie bei jeder Tria­ge ist das für die Aus­sor­tier­ten bit­ter. Die ver­blei­ben­den Sel­ler wer­den davon pro­fi­tie­ren, weil wie­der mehr vom klei­ne­ren Kuchen übrig bleibt. Dass es auf Platt­for­men zum Kon­flikt der sel­ten syn­chro­ni­sier­ten Her­stel­ler-Ver­triebs­mo­del­le kommt und die Her­stel­ler in den Preis­wett­be­werb mit Händ­lern und Unter­händ­lern gezo­gen wer­den, trig­gert je nach Betrei­ber-Phi­lo­so­phie zudem ord­nungs­po­li­ti­sche Ein­grif­fe in das Öko­sys­tem.

Zur Kura­ti­on: War­um Ange­bots­men­ge nicht die rich­ti­ge Ant­wort auf alle Fra­gen ist, habe ich nicht zuletzt bereits vor einem Jahr an die­ser Stel­le beschrie­ben. Theo­re­tisch zumin­dest ist es ein­fach: es geht immer und aus­schließ­lich um Rele­vanz. Denn nur durch Rele­vanz und damit Bedeu­tung und Beloh­nung ent­steht der Treib­stoff für impul­si­ve Kauf­ent­schei­dun­gen: Dopa­min. Und damit geht es immer nur um die Qua­li­tät des Ange­bots (nicht des Ange­bo­te­nen), und nicht um Quan­ti­tät. Dass Zalan­do Kura­ti­on und damit Rele­vanz prio­ri­siert, soll­te selbst­ver­ständ­lich und im Inter­es­se aller Ver­käu­fer auf der Platt­form sein. Was denn bit­te sonst? Dass dafür eine Aus­dün­nung der Ange­bots­brei­te not­wen­dig ist, mag ver­wun­dern, zeigt aber die tech­ni­schen Limi­tie­run­gen im E‑Commerce. Denn eigent­lich hilft Quan­ti­tät natür­lich, die Tref­fer-Wahr­schein­lich­keit für Qua­li­tät zu erhö­hen: je grö­ßer der Inven­tar-Oze­an, des­to wahr­schein­li­cher, dass eine für die jewei­li­ge Kun­din rele­van­te Per­le hoch­ge­spült wer­den kann. Der Kura­ti­ons-Tech­no­lo­gie durch Redu­zie­rung des Arti­kel-Fun­dus zu hel­fen, ist eine etwas kru­de Krü­cke und sicher­lich nur eine vor­über­ge­hen­de Not­lö­sung. Auch hier darf man auf Rücken­wind durch KI hof­fen.

Für Verkäufer auf Plattformen hat ein neues, für viele längst überfälliges Kapitel begonnen: Professionalisierung.

Was bedeu­tet das alles? Für Betrei­ber von Platt­for­men erge­ben sich offen­kun­dig und schon oft beschrie­be­ne Oppor­tu­ni­tä­ten: schnel­ler mehr Rele­vanz statt all-you-can-eat. Und, in einem ansons­ten stark Nut­zer-zen­trier­ten Platt­form-Markt, ech­te Sel­ler-Zen­trie­rung jen­seits mar­ki­ger Absichts­er­klä­run­gen. Für Ver­käu­fer auf Platt­for­men hat aber tat­säch­lich ein neu­es, für vie­le längst über­fäl­li­ges Kapi­tel begon­nen: Pro­fes­sio­na­li­sie­rung.

Wer die Dyna­mik der Pro­vi­si­ons­ta­bel­len auf Dau­er nicht kom­plett aus dem eige­nen Deckungs­bei­trag abfe­dern möch­te, muss sein Ange­bot auf der Platt­form anpas­sen. Die wenigs­tens ent­wi­ckeln aber ihre Platt­form-Stra­te­gien vom Ergeb­nis her, son­dern ver­kau­fen, was der Ein­kauf ihnen hin­stellt. Platt­for­men sind aber das neue Who­le­sa­le und müs­sen mit der glei­chen Ernst­haf­tig­keit betrie­ben, ent­wi­ckelt und Res­sour­cen-sei­tig aus­ge­stat­tet wer­den. Heu­te arbei­ten in vie­len Markt­platz-Teams weni­ger Leu­te als im Emp­fang der Fir­men. Statt Stra­te­gie, Tools, Daten, Pro­zes­se, Leu­ten und Part­ner zur Umset­zung oft mehr Jugend forscht und Kle­be­band statt Dübel. Beid­hän­dig­keit ist gefragt: Alte Erlös­strö­me im Who­le­sa­le solan­ge auf­recht­erhal­ten wie mög­lich und wirt­schaft­lich sinn­voll, aber par­al­lel in das Who­le­sa­le von mor­gen, also Platt­for­men, inves­tie­ren. Aber bit­te diver­si­fi­ziert, damit nie­mand belei­digt sein muss.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im Digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­­­view- und Pod­­­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel

Schlagworte: