Messe

Leute, das System ist am Arsch!

Händler, die keiner mehr besucht, verkaufen Marken, die keiner mehr braucht. Oder ist es umgekehrt? Marken, die keiner mehr will, verkaufen an Händler, denen die Kunden flöten gehen. Jürgen Wolf gibt den Angry Old Man.
Juergen wolf me myself and i
Jür­gen Wolf

Und dann gibt es Stores wie Guc­ci auf der Goe­the­stra­ße in Frank­furt, wo die Kun­den Schlan­ge ste­hen und gedul­dig war­ten. Bis es unlängst zu einer Schlä­ge­rei kam. Einer der bei­den Her­ren wur­de spä­ter von der Poli­zei gewalt­sam aus sei­nem „hoch­mo­to­ri­sier­ten Wagen der Luxus­klas­se ent­fernt“. AMG? Wahr­schein­lich. Fah­ren hier alle jun­gen Buben! Wun­dert mich alles nicht. Wird aber frü­her oder spä­ter bei­den Luxus-Mar­ken auf die Füße fal­len. Zumin­dest in unse­rer Gegend (Frankfurt/Offenbach).

Die bei­den Mar­ken machen ein lus­ti­ges Mar­ke­ting und zele­brie­ren eine Ziel­grup­pe, als hät­ten wir zwölf Mona­te Fasching. Dem Hum­ba-Hum­ba-Täte­rä hat Guc­ci mit dem Raus­schmiss von Ales­san­dro Miche­le ein Ende gemacht. War auch Zeit. Und Ola Käl­le­ni­us, der Mer­ce­des-CEO, kun­gelt mit Bru­nel­lo Cuci­n­el­li, dem König der lei­sen Luxus­mo­de. Käl­le­ni­us wird sich dabei etwas gedacht haben. Der Chef von Kering auch.

Am ande­ren Ende der Preis-Ska­la gibt es sowas wie Snipes. Die wach­sen und wach­sen, bis nach USA. Da gibt es übri­gens Über­schnei­dun­gen zu Obi­gem. Was machen bei­de rich­tig? Sie haben ihre Ziel­grup­pe 100% im Visier. Und ver­kau­fen welt­weit.

Ein paar Meter wei­ter ist die Zeil. Da ging mal die Post ab. Aber die Post gibt es ja auch nicht mehr. Heißt ja jetzt DHL und hat die hal­be Welt zusam­men­ge­kauft. Kur­ze Quiz­fra­ge? Was heißt eigent­lich DHL? Geil, was? Muss jetzt fast jeder goog­len und denkt: scheiß Name.…

Ich set­ze mich manch­mal für eine hal­be Stun­de vor einen Spot und schaue mir die vor­bei­lau­fen­den Men­schen an. Oft habe ich dabei eine Erkennt­nis. Oder eine vor­han­de­ne Erkennt­nis erhär­tet sich. Wer läuft so alles durch die Stadt? Wer geht in einen Laden, und wie sieht die­ser Kun­de aus? Ein­fa­che Übung. Auf der Zeil und ihrer Umge­bung hängt jetzt aber der Geruch von Plei­te. War­um? Mög­li­cher­wei­se weil dort Mar­ken ver­kauft wer­den, für die ich gar kei­ne Ziel­grup­pe sehe. Und ich sehe Ziel­grup­pen, für die die Zeil gar nichts bie­tet.

Ich habe mir mal im Inter­net die Händ­ler­su­che eines bekann­ten deut­schen Hem­den­her­stel­lers und eines eben­so bekann­ten deut­schen Hosen­her­stel­lers ange­se­hen. Guter Best Ager stuff. Gale­ria und Peek & Clop­pen­burg sind bei bei­den pro­mi­nent im Ren­nen. Klum­pen­ri­si­ko ver­mei­den, sagt der Bör­sia­ner.

Jetzt ent­steht natür­lich eine gewis­se Pro­ble­ma­tik, die mich zu den ers­ten bei­den Sät­zen beweg­te. Da hel­fen jetzt auch kei­ne Unter­neh­mens­be­ra­ter mehr, die, zumin­dest in Frank­furt, ihre Sachen bestimmt nicht bei den bei­den Adres­sen, son­dern bei einem der Edel­schnei­der um die Ecke kau­fen. Die sol­len jetzt ihren Kli­en­ten erklä­ren, wie man dem jewei­li­gen ande­ren die Hose aus­zieht oder das letz­te Hemd abnimmt. Das kön­nen die! Damit haben sie der Bahn den Gar­aus gemacht, die Luft­han­sa rui­niert und alle Auto­kon­zer­ne und deren Zulie­fe­rer im Lan­de. Für Pro­dukt­ideen wer­den BCG & Co. übri­gens nie geholt. Haben die näm­lich auch kei­ne.

 „Aktuell haben wir kein Spielgeld für Experimente!“

Jun­ge Mar­ken haben gute Ideen! Die gin­gen frü­her auf Mes­sen und haben sich gewun­dert, dass Ein­zel­händ­ler aus dem Aus­land ihre Sachen eher gekauft haben, als die deut­schen Händ­ler. Mein gan­zes Leben lang habe ich die­sen Ein­käu­fer­spruch gehört: „Sehe ich nicht!“ Der Klas­si­ker in mei­ner Kar­rie­re ist übri­gens aus den 90ern und kam von Gün­ther Dahms, damals der Boss von COAST. Der Schre­cken eines jeden Ver­trieb­lers, aber ein Mann, der gewal­ti­ge Umsät­ze geschau­felt hat. „Jür­gen, siehst du mei­ne Absät­ze (Cow­boy Stie­fel!)? Wenn dein Zeug geil wäre, wären die weg­ge­flo­gen!“ Kurz dar­auf hat er es mit dem nächs­ten Klas­si­ker wie­der gut gemacht: „Die ande­ren schrei­ben 1 – 2 – 2 – 1. Ich schrei­be 1000 – 2000 – 2000 – 1000. Also schrei­be auf: 1000 Small, 2000 Medi­um,…“ Das waren 1987 Town & Coun­try T‑Shirts. Zwei Jah­re spä­ter woll­te die kei­ne Sau mehr, und ich habe ande­re Mar­ken ange­schleppt. Air­walk, East­pak, Home­boy.…

Und genau so ist das in unse­rer Bran­che. Air­walk woll­te erst kei­ne Sau, außer ein paar Ska­tern, dann woll­te es jeder und irgend­wann haben mir mei­ne größ­ten Kun­den von heu­te auf mor­gen vor den Kof­fer geschis­sen. Zu Recht! Was vor­bei ist, ist vor­bei. So war mein gan­zes Leben. Zwei­mal im Jahr wuss­te ich nicht, ob ich in einem Jahr noch im Ren­nen sein wür­de.

Auf der ande­ren Sei­te gibt es Mar­ken, die glau­ben, das Nor­mals­te der Welt wäre es, sei­ne Pro­duk­te noch in der fünf­ten Gene­ra­ti­on zu ver­kau­fen. Klar gibt es so etwas. Aber wie lan­ge noch? Und wie vie­le sind das? Kar­stadt, Kauf­hof oder neu­deutsch Gale­ria und P&C sind doch Top-Bei­spie­le, dass die­ses Den­ken auf allen Ebe­nen vor­herrscht. Auch im Han­del. Selbst wenn jun­ge Mar­ken auf einer Mes­se waren, sind die­se drei Prot­ago­nis­ten bei ihren ein­ge­fah­re­nen Sor­ti­men­ten geblie­ben und haben wei­ter­hin Mar­ken­shops auf­ge­füllt und leer­ge­räumt. Auf­fül­len und Leer­räu­men. Letz­te­res natür­lich auf Kos­ten der Mar­ken. Die­se kön­nen gar nicht anders, als die Ware zurück­zu­neh­men (und im FOC zu ver­schleu­dern), weil sie ja, im Prin­zip, gar kei­ne ande­ren Kun­den mehr haben. Und die eige­ne Mar­ken­sto­ry ist so unauf­find­bar, dass man damit im Aus­land nicht reüs­siert.

Wenn, sagen wir mal, P&C dann doch mal eine jun­ge, coo­le Mar­ke kauft, wird erst mal mit min­des­tens 3,0 drauf­ge­hau­en, eine fet­te Order plat­ziert und den nicht abver­kauf­ten Rest kann man dann wie­der abho­len. Wer das über­le­ben will, muss schon irgend­wo anders tol­le Geschäf­te machen. Gera­de hat der Insol­venz­ver­wal­ter der TIG­HA-Mut­ter (Young Poets Socie­ty) P&C für die Insol­venz die­ser tol­len Mar­ke ver­ant­wort­lich gemacht. Die­se Nach­richt wird alle ande­ren jun­gen Mar­ken rest­los ver­grau­len. Zwangs­läu­fig sieht man bei die­sen bei­den Gro­ßen wenig neue, coo­le Mar­ken. Eigent­lich gar kei­ne.

„Ich bin doch nicht bescheuert und verkaufe an Händler!“

Okay. Die Eigen­mar­ke. Übri­gens ein komi­scher Kunst­be­griff. Die P&C‑Eigenmarke war wohl nicht so geil, so dass sie den Aus­flug zu frem­den Händ­lern dann auch bald been­den muss­te. Die Eigen­mar­ke muss sein, weil der Händ­ler ja sonst gar kein Geld ver­die­nen kann, habe ich immer wie­der gehört. Das gehört übri­gens zum größ­ten Blöd­sinn, weil sie sich als rei­ne Kopie ernährt und den ech­ten Mar­ken das Leben im Laden erschwert. Was dann wie­der­um eine Ereig­nis­ket­te aus­löst.… Aber das ist einen eige­nen Bei­trag wert.

Wie hat letz­tens der Besit­zer einer D2C-Mar­ke zu mei­nem Sohn Juli­an gesagt? „Ich bin doch nicht bescheu­ert und ver­kau­fe an Händ­ler!“ Das muss man sich mal im Hirn zer­ge­hen las­sen. Dann schaut man sich in der jun­gen Welt um und stellt fest, dass es eine unfass­ba­re Zahl von coo­len, jun­gen Mar­ken gibt, die gar kein Händ­ler­ver­zeich­nis haben, aber in dut­zen­de Län­der ver­kau­fen. Direkt. Zwar bedient jeder eine mehr oder weni­ger gro­ße Nische, aber da die Mode­welt mitt­ler­wei­le aus so vie­len Nischen besteht, dass der Han­del dies nicht mehr abbil­den kann, funk­tio­niert das.

Wie lau­tet der ande­re Ein­käu­fer-Satz noch­mal? Ach ja. „Aktu­ell haben wir kein Spiel­geld für Expe­ri­men­te!“. Das höre ich auch schon sehr lan­ge. Des­halb funk­tio­nie­ren heu­te auch die Mes­sen nicht mehr. Die­je­ni­gen, die hin­ge­hen, haben kein Spiel­geld oder „sehen es nicht“. Händ­ler aus dem Aus­land kom­men nicht mehr in aus­rei­chen­der Zahl zu uns. Und schwupps hat der Han­del die Mes­sen gekillt. Oder haben die Mar­ken die Mes­sen gekillt, weil man nicht mehr aus­stel­len woll­te, konn­te oder muss­te? Viel­leicht löst die­ses Rät­sel als­bald die KI.….

Leu­te, das Sys­tem ist am Arsch. Das ist die schlech­te Nach­richt. Es ent­steht aber gera­de ein neu­es. Das wie­der­um ist die gute Nach­richt.

Jürgen Wolf ist Grün­der und Mas­ter­mind von Home­boy. Er hob das Ska­­te­­wear-Label 1988 aus der Tau­fe und gehör­te damit zu den Stree­t­­wear-Pio­­nie­­ren in Deutsch­land. In den 90er Jah­ren erleb­te Home­boy einen rasan­ten Auf­stieg, in den ver­gan­ge­ne­nen Jah­ren war es fak­tisch vom Markt ver­schwun­den. 2015 hat Wolf die Mar­ke wie­der­be­lebt. Und star­tet mit sei­nem Sohn Juli­an damit durch.

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9 Antworten zu “Leute, das System ist am Arsch!

  1. wun­der­bar… die “schlech­te Nach­richt” liest sich immer so gut. Geht run­ter, wie Öl… Ist so ein biss­chen wie Scha­den­freu­de, kann man sich aber auch nix für kau­fen.

    Mich inter­es­sie­ren eigent­lich nur die letz­ten bei­den Sät­ze, näm­lich die “gute Nach­richt”… da hät­te ich jetzt dann doch ger­ne noch ein biss­chen mehr erfah­ren…

    1. Jepp, die „Nachrichten“-Lage gibt uns Erkennt­nis & Gewiss­heit: Die­se kri­ti­sche Gemenge­la­ge ist nicht nur eine Abwärts­spi­ra­le, son­dern gleich­zei­tig eine Peri­ode vol­ler neu­er Optio­nen und ech­ter Chan­cen. Ent­schei­dend wird es sein ‑in die­ser Fül­le an jetzt auf­tau­chen­den ele­men­ta­ren The­men- auf dem gewähl­ten oder noch ein­zu­schla­gen­den Geschäfts­pfad nicht die Rich­tung zu ver­lie­ren. Die Markt­fak­ten brin­gen uns immense Her­aus­for­de­run­gen und einen brei­ten Auf­ga­ben-Fächer. Und Auf­ga­be kommt im Sinn hier nicht von AUFGEBEN!

      Tag für Tag stellt sich für uns alle in der Bran­che die Anfor­de­rung und die kri­ti­sche Betrach­tung, ob unse­re Ein­schät­zun­gen, Maß­nah­men oder Hand­lungs­an­sät­ze von Ges­tern im Heu­te noch pas­sen. Oder wir die­se Para­me­ter durch fle­xi­bles Neu­den­ken der dis­rup­tiv gepräg­ten Aktua­li­tät anpas­sen müs­sen. Inno­va­ti­ve und moder­ne Denk­an­sät­ze, wel­che zeit­lich vor­ge­la­gert mal als Kon­zept, mal als Pro­jekt, mal als Work­shop immer wie­der einen spo­ra­di­schen Ein­lass in vor­han­de­ne Akti­vi­täts­mus­ter unse­rer Bran­che gefun­den hat­ten. Jetzt, heu­te ist die­ser oppo­nie­ren­de Mind-Set die exis­ten­zi­el­le Stra­te­gie für die Über­win­dung der vor­herr­schen­den real­wirt­schaft­li­chen Gege­ben­hei­ten und für das Pri­mär-Han­deln inner­halb der zukünf­tig belast­ba­ren Geschäfts­auf­stel­lung.

  2. Eine sau­be­re, top ehr­li­che und bis in die Zwi­schen­zei­len auf den Schmerz­punkt exzel­lent for­mu­lier­te Dar­stel­lung des Bran­chen­zu­stands. Zudem hat Jür­gen Wolf sehr deut­lich fest­ge­stellt, dass die­se „Im-Arsch-Sys­tem“ bereits seit vie­len Jah­ren ‑genau genom­men Deka­den- im „Wir schlep­pen uns mal durch“-Modus dahin­siecht.

    Der hier so tref­fend beschrie­be­ne ange­stamm­te Ein­zel­han­del und „sei­ne“ Mar­ken haben sich, in ihrer gegen­sei­ti­gen „Abhän­gig­keit“ und der damit ein­her­ge­hen­den selbst­herr­li­chen Über­heb­lich­keit gegen­über Frisch­lin­gen und deren inspi­rie­ren­den Ideen, über die Gesamt­heit der ver­lo­re­nen Jah­re Stück für Stück selbst eli­mi­niert.

    Zwei­mal ist Jür­gen Wolf p.a. die Fra­ge nach dem „Wie geht es wei­ter?“ gegen­wär­tig gewe­sen. Ja, genau mit einem simp­len Fra­ge­an­satz star­tet die mei­ner Ansicht nach für Unter­neh­men als MUSS peri­odisch durch­zu­füh­ren­de Heli­ko­pter-Betrach­tung des eige­nen Geschäfts­mo­dells:
    „Braucht der Markt, benö­tigt die Kun­den-Welt das, was wir hier als Geschäfts­feld „beackern“ und wird es über­haupt bemerkt (wer­den), wenn wir es nicht mehr tun?“

    Es ist eine (inter­ne) Haus­auf­ga­be, die sicht­bar in der Bran­che nur sehr weni­ge regel­mä­ßig erle­di­gen.

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