Ihre Familie betreibt seit Generationen Schuhgeschäfte. Es gibt ja den schönen Spruch vom Schuster, der bei seinem Leisten bleiben sollte. Sie hatten keine Lust dazu?
Es stimmt, wir machen das seit 140 Jahren. Der Einstieg zuhause war aber nicht geplant. Ich habe in der Schweiz studiert, wollte in einem Bau-Konzern Karriere machen. Als mein Vater vor acht Jahren plötzlich verstarb, habe ich die Geschäfte geerbt. Ich hatte offen gesagt kein besonderes Interesse daran und auch keine Idee, was man damit machen könnte. Ich bin kein Schuh-Experte, und wir hatten leider nicht wie Herr Deichmann ein skalierbares Modell, was sich ausrollen ließe. Das Online Business hat mich dagegen schon immer interessiert, ich habe während des Studiums schon im E‑Commerce rumgemacht, und so habe ich überlegt, wie ich das zusammenbringen könnte.
Die naheliegende Möglichkeit wäre gewesen, einen Online-Shop für Benner zu eröffnen.
Wenn Sie E‑Commerce starten, haben Sie zwei Möglichkeiten: Variante 1: Du fängst an, einen eigenen Lagerbestand aufzubauen und zu verkaufen mit allen damit einher gehenden Risiken. Oder Du machst Plattform-Business. Das ist besser skalierbar, hat aber leider auch viel weniger Marge. Ich habe mich dann für die zweite Option entschieden.
Und sind damit zum Retter des Schuhfachhandels avanciert?
Die Kernfrage, die ich mir 2013 gestellt habe und die heute immer noch gilt, ist doch: Kann der kleine stationäre Einzelhändler online erfolgreich sein? Die klare Antwort ist: Wenn er das allein versucht, kommt in der Regel nichts Gutes dabei heraus. Das ist gar keine Kritik an den Onlineshops der Händler. Aber es reicht halt nicht, mal eben mit Shopify oder 1&1 einen Webshop zu eröffnen und dann zu denken, dass die Kunden dann schon kommen werden. Traffic ist teuer. Wenn man E‑Commerce betreibt, braucht man Geld und Know-how und einen langen Atem.
Was waren denn die Hürden, die Sie mit Schuhe24 nehmen mussten?
Das waren drei. Wir mussten erstens die lokalen Warenwirtschaftssysteme der Händler anbinden und Schnittstellen programmieren. Wir mussten zweitens ein Full-Service-Angebot aufbauen: Wir kümmern uns um Marketing und Logistik, und insbesondere ums Payment. Das heißt: Wir sind der Verkäufer, nehmen das Geld ein und haften auch dafür.
Und die dritte Hürde?
Das war, Akzeptanz zu finden. Denn sind wir mal ehrlich: Die meisten Händler sagen bis heute: ‚Online ist scheiße‘. Die wollen das eigentlich nicht und machen es nur notgedrungen. Das ist durch Corona etwas anders geworden. Aber man hofft innerlich, dass die Internet-Konkurrenz wieder verschwindet.
Gab es einen Moment, wo Sie spürten: Das ist jetzt der Durchbruch? Oder steht der erst noch bevor?
Als wir damals gestartet sind, wollte ich immer mehr Schuhhändler onboarden. Ich hatte völlig unterschätzt, wie klein dieser Markt letztlich ist. So haben wir unseren Fokus auf andere Branchen ausgeweitet: Sport und dann Mode. Das haben wir vor drei Jahren gestartet, und das hat letztlich den Durchbruch gebracht. Heute haben 80 Prozent unserer Umsätze nichts mit Schuhen zu tun.
Sie brauchen das Volumen, um Geld zu verdienen…
Wenn ich ehrlich bin: Mit E‑Commerce wird man nicht so leicht reich.
"Bislang sind wir komplett eigenfinanziert und wachsen aus dem Cash-flow. Irgendwann wird sich die Frage stellen, ob wir einen Minderheitsinvestor mit reinnehmen, mit dem wir die nächste Wachstumsstufe nehmen können."
Der reichste Mann der Welt ist Onlinehändler.
Wenn Sie sich an der Börse umschauen, dann sind da nicht so viele, die Geld verdienen. E‑Commerce ist teuer, vor allem das Marketing, und die Margen sind klein. Da können sie nicht 20 Prozent Rendite fahren.
Sie sind jetzt aber keine gemeinnützige Non Profit-Organisation?
(lacht) Gefühlt schon. Wir haben die Gewinnschwelle überschritten, aber haben alles aus eigener Kraft ohne Seed Capital gestemmt. Dafür ist es okay gelaufen, aber wir könnten mit Fremdkapital womöglich viel größer sein.
Was hindert sie daran?
Bislang sind wir komplett eigenfinanziert und wachsen aus dem Cash-flow. Ich bin alleiniger Gesellschafter. Irgendwann wird sich die Frage stellen, ob wir einen Minderheitsinvestor mit reinnehmen, mit dem wir die nächste Wachstumsstufe nehmen können. Es gibt da aber keine Gespräche.
Funktionierende Plattformen sind auch begehrte Stories für Finanzinvestoren.
Ich bin nicht so ein Exit-Unternehmer, der eine Firma nur aufbaut, um sie zu verkaufen. Das ist ein legitimes Geschäftsmodell, aber nicht meine Philosophie. Ich bin Familienunternehmer in der fünften Generation. Weil E‑Commerce so ein schnelllebiges Geschäft ist, weiß ich nicht, ob ich das an meine Kinder übergeben werde können. Aber ich tue alles dafür.
Und irgendwann bekommen Sie einen Orden als Retter des kleinen Fachhandels?
Durch Corona steht der Handel in der Tat vor ganz großen Schwierigkeiten. Die Politik verspricht viel, aber es kommt zu wenig an. Wenn sich der Finanzminister hinstellt und sagt, es werde ja gar nicht so viel abgerufen, es kann ja nicht so schlimm sein, dann beginne ich schon zu zweifeln.
Angesichts eines Rekordumsatzzuwachses für den Einzelhandel insgesamt in 2020 könnte sich die Politik hinstellen und sagen: Läuft doch…
Das tut sie faktisch auch. Es geht darum, die Bundestagswahl zu gewinnen, und ob und wo da jetzt Beihilfen fließen oder nicht, spielt da nicht die große Rolle. Aber wir driften ins Politische ab…
Nüchtern betrachtet gehört Ihr Unternehmen aber schon auch zu den Krisengewinnern, oder? Der Handel rettet sich ins Digitale, und Sie ermöglichen das.
Langfristig betrachtet sehe ich uns überhaupt nicht als Corona-Profiteur. Denn wenn die Hälfte der Einzelhändler verschwindet, verringert sich unsere Kundenbasis.
Ist das auch ein Grund für die Geschwindigkeit, mit der Sie unterwegs sind? Sie haben in den vergangenen beiden Jahren eine Plattform nach der anderen aus der Taufe gehoben oder zugekauft.
Damit hätte ich fünf Jahre früher anfangen sollen. Wir versuchen das jetzt aufzuholen, haben eine Plattform für Fahrräder gekauft, sind in den Maschinenhandel eingestiegen, haben eine Plattform für digitale Schulsysteme gekauft, und in Kürze stehen weitere Übernahmen an. Wir sind jetzt in neun Branchen aktiv, bald werden es 15 sein. Wir wollen uns breit aufstellen und haben uns nicht zuletzt deshalb in ‘The Platform Group‘ umbenannt. Wir sehen uns als Tech-Unternehmen, das in vielen Branchen die Digitalisierung vorantreibt.
"Wir werden auch im E‑Commerce eine Konsolidierung sehen. Es gibt ganz viele schlechte Plattformen, die kaum Traffic haben. Es werden noch ganz viele Webshops aufhören."
Wie groß ist The Platform Group in – sagen wir – drei Jahren?
Ich denke, so 200 oder 300 Millionen GMV werden wir schon erreichen. Das hängt davon ab, in wie vielen Branchen wir dann vertreten sind.
Reicht es nicht, als Einzelhändler auf Amazon vertreten zu sein? Amazon hat 50 Prozent Marktanteil im deutschen Onlinehandel und der Marketplace hat mit Abstand die größte Reichweite.
Natürlich nicht. Jedes Produkt wird dort von x Händlern angeboten, die sich gegenseitig unterbieten. Am Ende ist dort nur Preiswettbewerb, und die Preisspirale kennt nur den Weg nach unten. Viele Händler verzeichnen auf Amazon eher rückläufige Umsätze.
Und bei Ihnen gibt es das nicht?
Wir haben keine Unterbietungsprozesse, sondern der Zuschlag an einen Händler erfolgt nach Zufallsprinzip.
Was kostet es, bei einer Ihrer Plattformen mitzumachen?
Wir haben keine Anbindungsgebühr oder irgendwelche Monatsgebühren, sondern sind rein erfolgsabhängig. Wenn einer unsere Händler etwas verkauft, gehen 17,5 Prozent Provision an uns.
Wie wird sich der Markt nach Ihrer Einschätzung in den kommenden drei, vier Jahren entwickeln?
Für den stationären Handel wird dieses Jahr ein Desaster. Es wird eine massive Bereinigung geben. Die größten Verlierer sind für mich die Shopping Center. Dort sind die Mieten wegen der Kapitalstrukturen kaum verhandelbar. Da wird es unvorstellbare Leerstände und riesige Verwerfungen geben. Es wird weiterhin stationären Handel geben, aber es werden deutlich weniger Player sein.
Und E‑Commerce?
Da werden die Bäume auch nicht mehr in den Himmel wachsen. Ein Amazon oder Zalando haben durch Corona einen Sprung gemacht, wachsen aber ansonsten in Deutschland nicht mehr so dynamisch. In einem Markt wie der Schweiz ist Zalando aktuell sogar rückläufig. Das Online-Geschäft wird in diesem Jahr ein Niveau erreichen, das sich kaum noch steigern lassen wird. Deshalb werden wir auch im E‑Commerce eine Konsolidierung sehen. Es gibt ganz viele schlechte Plattformen, die kaum Traffic haben. Real.de verliert nach dem Verkauf, Hood schwächelt, Rakuten hat in Deutschland zugemacht. Es werden noch ganz viele Webshops aufhören.
Dr. Dominik Benner entstammt einer Händlerfamilie, die seit 1882 Schuhgeschäfte im Rhein-Main-Gebiet betreibt. 2012 startete er mit dem Verkauf über Plattformen wie Amazon und Ebay. 2013 gründete Benner Schuhe24, eine eigene Internetplattform für Schuhhändler. In den vergangenen Jahren stieß er mit Sport24, Outfits24, Taschen24 und DeinJuwelier in andere Branchen vor. Im vergangenen Jahr übernahm er mit MyStationary, Gindumac, Bike-Angebot und Teech weitere Branchen-Plattformen. Zuletzt startete er mit Greenlocal ein Angebot für nachhaltige und lokale Produkte. Seit Ende 2020 firmiert Brenner unter The Platform Group.
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