Die Bekleidungsindustrie beschafft ihre Ware seit Jahrzehnten im Ausland, vor allen in Asien. Deutschland-Fertigung ist zu teuer. Sie tun nun das Gegenteil und verlagern ihre Produktion zurück nach Bayern. Ist das nicht betriebswirtschaftliches Harakiri?
Keineswegs. Nachdem wir HILTL neu aufgestellt haben, war klar, dass wir im Hinblick auf unsere DNA mehr Kontrolle über das Produkt haben müssen. Das geht am besten, wenn wir die Gestaltung, die Modellentwicklung, die Prototypen im Haus haben. Wir sind mit kleinen Sonderprogrammen für einzelne Händler gestartet: 15 Teile in allerbester handwerklicher Qualität. Das hat sehr gut funktioniert.
Und dann haben Sie entschieden, das im industriellen Maßstab zu machen?
Auf der Suche nach Produktionskapazitäten in Deutschland ist ein Partner mit der Idee auf uns zugekommen, das auszubauen. Unser Produktionsleiter ist dann nach Italien gefahren und hat Betriebe besichtigt. Er kam zurück und meinte: Du, ich glaube, wir haben die letzten zehn Jahre aufm Baum geschlafen. Wir haben dann gerechnet, wie das gehen könnte und sind mit dem Businessplan auf unseren Investor zugegangen. Der will natürlich auch eine Marke haben, die innovativ ist. Jetzt können wir zeigen: HILTL ist wieder da. Wir halten nicht nur eben so den Kopf über Wasser, sondern gehen nach vorne, die Zukunft fest im Blick.
HILTL hat bekanntlich keine leichten Jahre hinter sich. Was haben Sie investiert?
Wir haben insgesamt 3,1 Millionen Euro in die Neuaufstellung investiert, davon knapp eine Million in die Produktion. Der Maschinenpark steht nun, bis auf zwei, drei Komponenten. So schneiden wir heute beispielsweise noch mit der Hand zu. In der letzten Ausbaustufe macht das dann ein Lasercutter.
Wo haben Sie bislang nähen lassen?
In Rumänien und Nordmazedonien. Während Corona haben wir die anderen Produktionsländer abgekoppelt, um die Produktion unserer langjährigen Partner zu sichern und gemeinsam die Coronazeit zu meistern.
Wie rechnet sich nun der Schritt zurück nach Deutschland? Wie hoch ist der Anteil der Produktion an den Stückkosten? Sind die jetzt nicht viel höher als in Rumänien?
Das lässt sich so nicht 1:1 vergleichen. Der Automatisierungsgrad ist bei uns nun viel höher. In Rumänien haben wir für vergleichbare Mengen die dreifache Zahl an Näherinnen und Nähern beschäftigt. Wir haben in Sulzbach-Rosenberg höhere Personalkosten, aber sparen bei der Logistik. Bei einer Tagesproduktion von 500 rechnet es sich.
Wird Hiltl künftig alle Hosen in Sulzbach-Rosenberg nähen? Oder geht es ums Image, und der Großteil wird wie gehabt in Rumänien genäht?
Das Marketing ist ein Nebeneffekt. Es geht uns letztlich vor allem darum, einen flexiblen Fertigungsprozess aufzubauen, der uns eine On-Demand-Produktion ermöglicht. Perspektivisch werden wir rund 30 Prozent in Deutschland fertigen.
Um schnell reagieren zu können und kurzfristige Programme an den Markt bringen zu können.
Genau. Wir testen das im Moment mit zehn Partnern, darunter zum Beispiel Lodenfrey und Hirmer in München oder PKZ in der Schweiz. Wir sind über EDI verbunden und können flexibel nachsteuern. Ziel ist es, mit dem Händler gemeinsam eine Vollpreisstrategie umzusetzen. In der heutigen Zeit ist es zudem wichtig, immer nur so viel zu produzieren, wie wir wirklich brauchen.
Ketzerische Frage: Kommen denn dabei am Ende auch bessere Hosen raus?
HILTL produziert seit jeher Hosen in Schneiderqualität in Serienfertigung. Das war so und soll so bleiben.
Werden HILTL-Hosen dafür nun teurer? Schließlich gibt es zurzeit etliche kostentreibende Faktoren. Geht es da nicht auch darum, höhere Preise verargumentieren zu können?
Darum geht es nicht. Unsere Anfangspreislage liegt bei 199 Euro. Das ist, glaube ich, eine gute Preislage für ‚Made in Germany‘. Wir brauchen einfach Produkte, zu denen der Verkäufer eine gute Geschichte erzählen kann. Wir liefern damit ohne Greenwashing eine glaubwürdige und natürliche Nachhaltigkeit.
Woher wissen Sie, dass die Endverbraucher ‚Made in Germany‘ honorieren?
Wir haben gesehen, dass wir bei den Partnern, denen wir Kleinserien geliefert haben, Preislagen von 499 Euro problemlos umsetzen können.
500 Euro für eine Hose? Sicher nicht für jeden Händler eine Option.
Klar. Wir reden von Herrenausstattern und kleinen Stückzahlen von 15 oder 20 Hosen. Die waren in zehn Tagen weg.
Sehen Sie sich als Trendsetter, was das Thema Deutschland-Produktion angeht?
Wir sind da eher auf uns fokussiert unterwegs. Wir wollen nicht der Branchenerneuerer und auch kein Weltverbesserer sein. Das steht uns gar nicht zu. Wir hatten als Firma die Chance zu einem neuen Setup und wollen diese Gelegenheit nutzen. ‚Made in Germany‘ passt mit unserer Marken-DNA einfach gut zusammen.
"Wir haben in Deutschland viel Know-how weggegeben. Bei den Problemen, die wir als Wirtschaft heute haben, spricht viel dafür, sich wieder regionaler zu organisieren."
Wegen der gestiegenen Kosten, der politischen Risiken und der derzeitigen Probleme in der Lieferkette denken zurzeit viele in der Branche über Nearshoring nach. Kürzerer Beschaffungswege ermöglichen es zudem, schneller und flexibler auf Nachfragetrends reagieren zu können. Aus Ihrer Sicht als Branchenprofi: Stehen wir in der Industrie am Anfang einer Rückkehr-Welle?
Ich glaube schon, dass der Zeitgeist in Richtung Deglobalisierung zeigt. Wir haben in Deutschland viel Know-how weggegeben. Bei den Problemen, die wir als Wirtschaft heute haben, spricht viel dafür, sich wieder regionaler zu organisieren.
Geht das nur im Premium- und Luxus-Segment? Oder ist das auch ein Modell für den Massenmarkt?
In unserer Preislage funktioniert es, das haben wir durchgerechnet. Darunter? Weiß ich nicht. Dagegen sprechen im Moment schon die gestiegenen Rohstoffpreise und die Energiekosten.
Als Mustang-Geschäftsführer wären Sie demnach nicht auf die Idee gekommen, eine Produktion auf der Schwäbischen Alb aufzubauen?
Ich glaube nicht.
C&A hat neulich ebenfalls eine Hosen-Produktion eröffnet. Haben Sie sich die Produktion in Mönchengladbach mal angeschaut?
Wir machen nicht nur Five Pockets, sondern haben ein Fertigungsverfahren für klassische Wolle, für Chinos und Hightechs entwickelt, das es in dieser Form in Europa noch nicht gibt.
Sie wollen die Marke neu positionieren. Der eine oder andere Händler war sicher überrascht, HILTL in Berlin auf der Seek zu finden. Dort hätte man Sie eher nicht gesucht. Wo wollen Sie mit der Marke hin?
Ein großes Vorbild ist für mich Lodenfrey. Lodenfrey ist als Marke generationsübergreifend relevant und schafft es, unaufgeregt den Großvater, den Vater und den Sohn zu bedienen. Die Klammer ist ein Wertegerüst, das auf Qualität, auf Nachhaltigkeit, auf Modernität setzt, und das im Premium- bis Upper-Premium-Segment.
Wobei junge Männer schon andere Hosen tragen als wir. Wenn ich so meinen Sohn ansehe, in dessen weiten Hosen sähe ich aus wie ein Clown.
Wir verkaufen heute unsere klassischsten Modelle an die jüngsten Kunden. Eine ‚Morello‘ mit Bundfalten, ganz lang getragen, Fußweite 40 oder 42 cm, hohe Leibhöhe. Die Jungs finden das mega. Auf der Seek kamen wir in Kontakt zu modischen Einzelhändlern, die das spannend fanden. Die legen Wert auf Heritage, Qualität und Haltbarkeit. Mein Sohn ist 19, von seinen engsten Freunden hat inzwischen jeder acht oder zehn Hiltl-Hosen.
Die bekommen bestimmt Rabatt.
Nichtsdestotrotz finden sie das Produkt cool. Und das ist für uns das Entscheidende.
HILTL gehört seit 2020 der Schweizer Lorea AG. Der Private Equity-Investor hat den Hosen-Spezialisten aus der Insolvenz übernommen und das Unternehmen zusammen mit CEO Gerhard Kränzle saniert und neu aufgestellt. An diesem Donnerstag fällt nun der Startschuss für die neue Näherei im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg.