Die Kursentwicklung der Aktie ist schon länger unter Druck. Ende August hat Peloton, der Direct-to-Consumer-Held der Pandemie, für weitere Schlagzeilen gesorgt: Das zurückliegende Quartal wurde mit einem heftigem Verlust von 1,2 Mrd. EUR abgeschlossen. Nur einen Tag zuvor hatte man eine Kooperation mit Amazon publik gemacht: die elitären Sportgeräte gibt es jetzt auf der führenden Gemischtwaren-Plattform – vielleicht ein Indiz für die Not bei Peloton.
Ist dies das Pelotons Finale? Oder, wie einige Anhänger des gepflegten Zwischenhandels abgeleitet haben, die Bestätigung, dass das direkte Geschäftsmodell genauso überschätzt wurde wie der Online-Handel an sich? Beim Thema D2C lohnt sich zur Vermeidung von Irrglauben ein genauerer Blick.
Unter dem semantischen Dach des D2C-Begriffs werden sehr unterschiedliche Modelle genauso oft zusammengefasst wie durcheinandergebracht:
Mit D2C-Brands oder auch Digital-native-vertikalintegrierte-Brands (DNVB) sind, wie es der sperrige Name schon andeutet, ebendiese Marken aus dem Netz gemeint, die meist über Social Media ihre Bekanntheit für ihre eigenen Produkte aufbauen und selbst, oft über Shopify-Shops, direkt vertrieben. Viele kleine Spieler, viel Longtail. Die Pelotons, Allbirds und Warby Parkers dieser Welt sind hinsichtlich ihrer Größe Ausnahmen in dem Segment. Mit ihren Schwierigkeiten, gesunde Kundenstämme wirtschaftlich aufzubauen sind sie aber durchaus stellvertretend. Aus Marktsicht ist dieser Longtail in Summe sehr wohl relevant: das Handelsvolumen der Shopify-Shopbetreiber ist nach jüngsten Schätzungen von Marketplace Pulse im zweiten Quartal des Jahres schon so groß wie Amazons eigenes Einzelhandelsgeschäft, Tendenz steigend. Und damit ein weiterer Konkurrent um das Einkaufsbudget der Kunden.
Plattform-Marken sind Hersteller, die ihr Angebot und ihre Vermarktung dediziert auf große Plattformen wie Amazon hin abstimmen. Von „Marken“ kann man nicht wirklich sprechen, handelt es sich doch primär um Plattform-suchmaschinenoptimierte Artikel-Listings mit Hersteller-Bezeichnung. Den tiefen Graben zwischen Plattform-Sucherergebnissen und einem eigenen Direktgeschäft mit organischem Traffic auf Basis einer echten Marken-Wirkung schaffen die allerwenigsten. Das ist auch ein Beleg dafür, dass Reichweite und Markenaufbau zwei sehr unterschiedliche Dinge sind. Die sogenannten Marken-Aufkäufer sind ein Markt-Segment, das sich aus den Plattform-Marken herausgebildet hat. Diese Firmen haben sich zum Ziel gesetzt, Plattform-Marken aufzukaufen und Synergien im Verbund zu heben. Eine Wette, die noch aufgehen muss und aktuell für die meisten Player eine eher schlechte Prognose hat.
Das größte und mutmaßlich entscheidende Thema im D2C-Kontext ist aber das der vielen etablierten Marken, die immer stärker den direkten Draht zu ihren Kunden suchen. Während die meisten Brands über ein Wholesale-Modell groß geworden sind, sehen die wenigsten darin ihr Wachstum für die Zukunft. Daher gibt es kaum eine ernstzunehmende Marke, die nicht in die Skalierung ihres eigenen Direktgeschäfts investiert. Die Motivation dahinter ist nachvollziehbar: neben einer höheren Marge ist D2C nicht nur der effektivste Weg, das höchste Gut – die eigene Marke – kontrolliert zu managen. Zugleich ist es der einzige Weg zu einer eigenen Kundenbeziehung und dem damit verbundenen Daten-Schatz. So hat Nike im vergangenen Jahr mehr als 16 Mrd. EUR Umsatz im eigenen D2C erzielt, das sind fast 40% der Gesamtumsätze. Über D2C-Apps und ‑Services wie dem Nike Run Club generiert man wertvolle Kunden-Insights. Und natürlich ist der D2C-Muskel auch der, den die Marken verstärkt auf Plattformen brauchen, weil dort der Wholesale-Anteil durch die Plattformen selbst stark reduziert wird.
D2C ist alles andere als am Ende. Im Gegenteil, am Ende ist fast alles D2C.
Wer sich die strategischen Karten legt, sollte sich also nicht von Einzelschicksalen aus dem Segment der D2C-Brands oder der Plattform-Marken ablenken lassen, sondern auf die erfolgreichen etablierten Marken schauen.
Händler werden sich daran gewöhnen müssen, dass starke Marken einen D2C-Fokus haben. Das müssen sie schon allein deshalb, weil sie ihre Marke pflegen müssen, um über schleichend steigende Irrelevanz nicht selbst aus dem Markt gedrängt werden. Händler, die Marken auf dieser Mission helfen, werden prosperieren, andere auf Dauer eher ausgelistet.
Marken werden sich daran gewöhnen müssen, vor allem hinsichtlich ihrer D2C-Fähigkeiten bewertet zu werden. Und zu dieser Realität gehört, dass noch viel zu tun ist: oft schlechte Shops und Apps, dünner Content, ineffiziente Logistik und krude Service-Erlebnisse. Von der Hebung der Daten-Schätze ist man meist Lichtjahre entfernt, zu Personalisierung und wertstiftendendem CRM nicht ansatzweise in der Lage. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Solange Marken ihre D2C-Prozesse schlecht im Griff haben, ist selbst für Monolabel-Kunden der gut kuratierte (Online-)Händler mit operativer Exzellenz der präferierte Anlaufpunkt. Das nimmt etwas den Zeitdruck, ist aber ein endlicher Umstand. Marken werden notgedrungen D2C-Exzellenz erreichen und aktuell noch fehlende Kompetenzen aufbauen müssen. Das bestimmt vielerorts die Agenda. Der Handel sollte sich aber derweil nicht zurücklehnen, sondern die D2C-Bestrebungen ihrer Lieferanten als indirekte Einladung verstehen, die eigene Kundenschnittstelle besser zu gestalten und wertstiftend zu nutzen.
D2C ist also alles andere als am Ende. Im Gegenteil, am Ende ist fast alles D2C.
Stefan Wenzel ist seit mehr als 20 Jahren im Digitalen Handel und einer der profiliertesten Köpfe der Branche. Seine Vita beinhaltet unter anderem Stationen als Geschäftsführer für Unternehmen wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tailor Digital. Stefan Wenzel unterstützt Firmen, Gründer und Geschäftsführer als digitaler Beirat, ist regelmäßiger Sprecher auf Fachkonferenzen, Interview- und Podcast-Gast. www.stefanwenzel.com