Die Übernahme durch René Benko ist das Beste, was den Warenhäusern passieren konnte. Jedenfalls in der gegenwärtigen Lage. Ein millionenschwerer Investor mit einer klaren Vision, der potenziell Milliarden mobilisieren kann. Kein Robin Hood wie Nicolas Berggruen, der neben der "Kultmarke Karstadt" vor allem die Welt retten will. Berggruen dürfte in den vier Jahren, seit er mit Ministerin von der Leyen die KadeWe-Rolltreppe hochgefahren ist, eine Stange Geld mit Karstadt verdient haben. Zugleich hat ihn der Deal reichlich Reputation gekostet. Es kannte ihn vorher kaum einer in Deutschland, jetzt werden ihn noch weniger kennen wollen. Da mag er sich – wie vergangene Woche im SZ-Interview - noch so sympathisch verabschieden.
René Benko war hierzulande bis vor kurzem ebenfalls ein weithin unbeschriebenes Blatt. Der 37jährige ist eine Art österreichischer Lars Windhorst; wie Kohls Lieblingsnachwuchsunternehmer umgeben den Tiroler Senkrechtstarter Zweifel. Ob bei seinem Aufstieg alles mit rechten Dingen zugegangen ist? War Benko neulich nicht wegen irgendwas vor Gericht? Wer sind seine Hintermänner? Allein Roland Berger mal die Hand geschüttelt zu haben, taugt hierzulande jedenfalls nicht als Ausweis von Seriosität… Solche Selfmademenskepsis ist leider typisch deutsch. Wenn im Silicon Valley Mittzwanziger Milliarden scheffeln, erfüllt das die Amerikaner mit Stolz. Gleichzeitig berichten die Wirtschaftsmagazine ehrfürchtig aus China, wo ein gelernter Englischlehrer mit Alibaba einen der weltgrößten Internetkonzerne aufgebaut hat. René Benkos Motivation und die seiner Geschäftspartner ist – im Unterschied zu seinem Vorgänger – wenigstens unzweifelhaft: Es geht ihnen ums Geldverdienen.
Karstadt wird dies freilich nicht viel helfen. Zumindest wenn der Schuster bei seinem Leisten bleibt. Das operative Geschäft des Warenhausunternehmens dürfte den Immobilieninvestor Benko nur insoweit interessieren, wie es den Wert seiner Standort-Assets tangiert. Was aus Essen konzeptionell verlautet, muss man deswegen nur bedingt Ernst nehmen; es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr umgesetzt werden. Ein Exit-Szenario ist bereits skizziert: die viel beschriebene Deutsche Warenhaus AG soll den Restbestand von Karstadt aufnehmen, der nach dem Aussortieren der defizitären Filialen und der entwicklungsfähigen Standorte allein wohl kaum überlebensfähig sein wird. Die Metro AG wird den Kaufhof ungeachtet anderslautender Beteuerungen abgeben, wenn sich ein Investor mit ausreichend tiefen Taschen findet. Deswegen hat Benko seine Vision auch in die Welt hinausposaunt. Sonst hätte er einfach Metro-Chef Olaf Koch anrufen können. Das Highstreet-Konsortium, hinter dem finanzstarke Adressen wie die Deutsche Bank und Goldman Sachs stehen, sollte als Karstadt-Großvermieter ein entsprechendes Interesse haben. Als kleine Lösung bleibt die Übernahme von Karstadt-Standorten durch Kaufhof.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Eva Lotta Sjöstedt wusste, was auf sie zukommen würde. Arbeitsdirektor Kai-Uwe Weitz wusste es ganz bestimmt. Die beiden Top-Leute sind nicht der einzige personelle Aderlass, den Essen aktuell zu verkraften hat. So einfach wird sich auch keiner finden, der das Himmelfahrtskommando übernimmt. Jedenfalls kein Stratege mit langfristiger Konzeption.
Die Arbeitnehmervertreter werden erbitterten Widerstand gegen jegliche Abbaupläne leisten. Dabei wissen die Verdi-Leute auch, dass sie bei Karstadt auf verlorenem Posten stehen. Sie können lediglich Zeit gewinnen und den einen oder anderen ihrer Betriebsräte in den Vorruhestand hinüberretten. Die Verhandlungsposition der Mitarbeiter ist schlecht; klamme Unternehmen haben rechtlich Möglichkeiten, sich ihrer Verpflichtungen zu entledigen. Über die Mitverantwortung der Mitbestimmung an der Misere kann man überdies trefflich streiten. Es war jedenfalls nicht nur Missmanagement. Die große Chance war das Insolvenzverfahren vor gut fünf Jahren; da wurde aus politischer Rücksichtnahme versäumt, das Unternehmen auf einen überlebensfähigen Kern zurückzuschneiden.
Die Leerstand-Sorgen der Kommunen sind nicht in jedem Fall berechtigt. Wo sich Geschäfte lohnen, wird auch künftig Einzelhandel betrieben werden. Beschäftigte und Lieferanten von Karstadt kann diese Aussicht nicht trösten. Denn in vielen Fällen wird ein anderer Name an der Fassade stehen. Die Zukunft ist heute schon in etlichen Klein- und Mittelstädten zu besichtigen, wo Schnäppchenmärkte wie TK Maxx in frühere Hertie-Häuser eingezogen sind. Auch Primark sucht Großflächen. Man kann die Zukunft in München bestaunen, wo im ehemaligen Karstadt-Haus an der Neuhauser Straße SportScheck, Forever 21 und Mango schöne neue Geschäfte betreiben. Benko selbst hat mit dem Kaufhaus Tyrol in Innsbruck eine Blaupause geliefert. Die Zukunft ist in Berlin zu sehen, wo der Luxustempel KadeWe eine der größten Touristenattraktionen ist. Und sie liegt in der Spezialisierung – der eine oder andere Standort bietet sich womöglich für eine Karstadt Sport-Filiale an. Auch hier muss Benko übrigens nicht ewig operativ beteiligt bleiben, zumal mit Sports Direct ein aggressiver Category Killer auf Einkaufstour ist.
Die Frage nach dem "Warenhaus der Zukunft", die im Zusammenhang mit Karstadt immer wieder aufgeworfen wird, ist müßig. Natürlich haben die Generalisten nicht eben Rückenwind am Markt. Aber Kaufhof und Breuninger zeigen, dass man auch mit einem breiten, kategorieübergreifenden Sortiment bestehen kann. Die "Krise der Warenhäuser" ist deshalb eigentlich und vor allem die Krise von Karstadt.
Wer das wahre Warenhaus der Zukunft sucht, muss ins Internet gehen; bei Amazon ist "alles unter einem Dach" nicht nur eine Behauptung.
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