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Mehr Mode wagen

XWenn der Ein­zel­han­del sich wegen der Kon­kur­renz aus dem Web am Abgrund fühlt, sind die Print­me­di­en schon einen Schritt wei­ter. Denn deren Pro­duk­te sind voll digi­ta­li­sier­bar und viel­fach gra­tis im Netz zu haben. Das klas­si­sche Geschäfts­mo­dell der Zei­tun­gen, das auf Abos und Anzei­gen­erlö­sen basiert, lässt sich nicht im bis­he­ri­gen Umfang ins Digi­ta­le über­tra­gen. Dort aber sind die Leser, die heu­ti­gen und vor allem die künf­ti­gen. Die Tages­zei­tung aus Papier ist des­we­gen ein Aus­lauf­mo­dell. Es ist ohne­hin para­dox, dass all die klu­gen Bei­trä­ge zu Kli­ma­kri­se und Umwelt­schutz auf ein Trä­ger­me­di­um gedruckt wer­den, für das Bäu­me gefällt wer­den müs­sen und das mit Flug­zeu­gen und LKWs in alle Welt ver­schickt wird, wo es doch eine digi­ta­le Alter­na­ti­ve gibt. Der Ver­än­de­rungs­druck für Ver­la­ge und Redak­tio­nen ist jeden­falls ungleich bru­ta­ler als der Struk­tur­wan­del, in dem der Ein­zel­han­del steckt.

Aber wie kom­me ich jetzt auf die­ses The­ma? Ach ja – vor ein paar Wochen fand in Mün­chen die „Nacht der Autoren“ statt, und dar­auf woll­te ich die gan­ze Zeit über schon mal ein­ge­hen. Es han­delt sich um eine von der Redak­ti­on der Süd­deut­schen Zei­tung getra­ge­ne Ver­an­stal­tungs­rei­he, die der Leser-Blatt-Bin­dung dient. Es war – sie­he oben – eine ziem­li­che Best Ager-Ver­samm­lung. Klar, die jun­gen Leu­te haben Sams­tag­abend auch ande­res zu tun, als Lesun­gen und Gesprächs­run­den zu besu­chen. Da war halt auch wenig Insta­gra­ma­bles gebo­ten.

Eine Run­de, und jetzt kom­me ich zum The­ma, befass­te sich mit der Mode­be­richt­erstat­tung der SZ. „Wie­viel Gla­mour darf’s noch sein?“, frag­ten sich Katha­ri­na Riehl und Sil­ke Wichert auf dem Podi­um, und der Legi­ti­ma­ti­ons­druck, unter dem die Mode-Autorin­nen ste­hen, war deut­lich spür­bar. Man kann sich die Dis­kus­sio­nen in den Redak­ti­ons­kon­fe­ren­zen leb­haft vor­stel­len. Aus Sicht gestan­de­ner Poli­tik- und Wirt­schafts­re­dak­teu­re läuft Mode unter „Gedöns“, und vom Feuil­le­ton wird das The­ma ten­den­zi­ell als für zu leicht befun­den. Das wird bei den ande­ren Qua­li­täts­me­di­en – der FAZ, der Welt, der Zeit oder dem Spie­gel – nicht anders sein. Erst recht in erns­ten Zei­ten wie die­sen, wo ein Trump eine Welt­wirt­schafts­kri­se anzet­telt, der Popu­lis­mus Euro­pa zu spren­gen droht und eine Gre­ta Thun­berg die Kli­ma­ka­ta­stro­phe auf die Tages­ord­nung bringt. In die­sem Zusam­men­hang ist die Mode­indus­trie zwei­fel­los auch ein Teil des Pro­blems und die Beschäf­ti­gung mit dem The­ma damit in gewis­ser Wei­se fri­vol.

Dass die seriö­sen Medi­en der Mode distan­ziert gegen­über­ste­hen, ist zugleich ein deut­sches Phä­no­men. Hier­zu­lan­de wird die Beschäf­ti­gung mit der Ober­flä­che tra­di­tio­nell mit Ober­fläch­lich­keit ver­wech­selt. In aus­län­di­schen Medi­en wie z.B. der New York Times oder dem Guar­di­an nimmt die Mode­be­richt­erstat­tung einen sehr viel selbst­ver­ständ­li­che­ren Raum ein. Und das aus guten Grün­den:

Mode reflek­tiert den Zeit­geist. Wie wir uns klei­den, sagt auch etwas über die Welt und die Gesell­schaft aus, in der wir leben. Sil­ke Wichert – ein plat­tes Bei­spiel – wies auf die Fran­sen und Cow­boy­stie­fel hin, die nach der Trump-Wahl auf vie­len Lauf­ste­gen auf­tauch­ten. Ist es Zufall, dass die Hips­ter-Bär­te mit den isla­mis­ti­schen Ter­ro­ris­ten auf­ka­men? Die Casua­li­sie­rung auf den Büro­eta­gen hat auch etwas mit der demons­tra­ti­ven Mode­ver­ach­tung der Sili­con Val­ley-Prot­ago­nis­ten zu tun.

Mode ist Kom­mu­ni­ka­ti­on. So wie die Kunst und die Lite­ra­tur. Sie wirkt auch poli­tisch. Damit sind gar nicht die plat­ten State­ment-T-Shirts à la „We should all be femi­nists“ gemeint. Wel­cher Par­tei gehö­ren wohl die Poli­ti­ke­rin­nen mit den roten Hosen­an­zü­gen an? Glau­be auch kei­ner, dass Donald Trump sich unab­sicht­lich so nach­läs­sig klei­det oder Mela­nia aus Ver­se­hen höh­ni­sche Zara-Jacken oder aus­ge­rech­net Lede­r­out­fits zur Trut­hahn-Begna­di­gung trägt. Wenn die Queen nach der Brexit-Ent­schei­dung einen blau­en Hut mit gel­ben Ster­nen trägt, ist das eine Mei­nungs­be­kun­dung. Und Ange­la Mer­kels uni­for­me Bla­zer sind eben genau die Nega­ti­on von Mode, die sie für die typi­schen Deut­schen wähl­bar macht.

Mode ist Unter­hal­tung. Und damit per se ver­däch­tig. Wer in Deutsch­land als Mode­de­si­gner reüs­siert, gehört aus Sicht eines wah­ren Jour­na­lis­ten ins Abend­pro­gramm von RTL2, aber nicht in eine seriö­se Tages­zei­tung. Gleich­zei­tig zei­gen GNTM & Co., dass das The­ma auf vie­le Men­schen eine hohe Fas­zi­na­ti­on aus­übt. Das Inter­es­se ist da. Es zwingt die Redak­tio­nen ja kei­ner, von den Schau­en ledig­lich die garan­tiert untrag­ba­ren Ver­rückt­hei­ten zu zei­gen, statt sich ernst­haft und intel­li­gent damit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Das Ober­fläch­li­che kann man getrost den Influen­cern über­las­sen. Und wer Lebens­hil­fe sucht, soll die Bri­git­te kau­fen oder die Stif­tung Waren­test kon­sul­tie­ren.

Mode ist ein Wirt­schafts­fak­tor – wem sage ich das hier auf Pro­fa­shio­nals. Die Indus­trie zählt in Deutsch­land 35 Mil­li­ar­den Umsatz und mehr als 135.000 Beschäf­tig­te. Dazu kom­men 65 Mil­li­ar­den Umsatz und hun­dert­tau­sen­de Arbeits­plät­ze im Ein­zel­han­del, sta­tio­när und online. Anders als man mei­nen mag, ist die Tex­til- und Beklei­dungs­in­dus­trie glo­bal eine Wachs­tums­bran­che. Die Pro­duk­ti­ons­men­ge hat sich von 1975 bis 2016 mehr als ver­vier­facht. Und auch für die Zei­tun­gen ist Mode ein Wirt­schafts­fak­tor. Des­halb haben FAZ, SZ, Welt und Die Zeit die Mode­be­richt­erstat­tung in ihren Maga­zi­nen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren aus­ge­baut. Es mag sein, dass dies viel­fach auf Betrei­ben der Ver­lags­kauf­leu­te geschah. Was die auf jour­na­lis­ti­sche Unab­hän­gig­keit erpich­ten Redak­tio­nen zusätz­lich miss­trau­isch gegen­über dem The­ma machen dürf­te.

Dabei machen Autorin­nen wie Sil­ke Wichert und Katha­ri­na Riehl, auch eine Tan­ja Rest (SZ), eine Inga Grie­se (Welt), ein Till­mann Prü­fer (Zeit­ma­ga­zin), ein Alfons Kai­ser oder eine Jen­ni­fer Wieb­king (FAZ) – um nur eini­ge weni­ge zu nen­nen – einen tol­len Job. So wenig Mode fin­det in SZ & Co. näm­lich gar nicht statt. Nur der Recht­fer­ti­gungs­druck scheint nach wie vor da zu sein, viel­leicht ist es auch ein Kom­plex.

„Wie­viel Gla­mour darf’s noch sein?“ Etwas mehr Selbst­be­wusst­sein wäre ange­bracht.

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