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Wozu noch Läden?

XFolgt man dem einen oder anderen Digitalpropagandisten, dann gibt es stationäre Geschäfte ohnehin nur, weil vor hundert Jahren noch kein Internet verfügbar war. Das ist natürlich Polemik. Auch wenn Online seinen Marktanteil weiter ausbauen wird, so wird bis auf Weiteres der ganz überwiegende Teil des Einzelhandelsgeschäfts sich in Läden abspielen. Diese werden ihr Gesicht ganz sicher wandeln, für attraktive Frequenzbringer und mehr Aufenthaltsqualität sorgen müssen. Aber die grundlegende Funktion bleibt: Verkaufen.

Deshalb machen lokale Platzhirsche wie Oberpaur in Landshut, Mensing in Velbert oder Schwager in Pyrmont auch strategisch keinen Fehler, wenn sie Millionen in die Hand nehmen, um ihre Häuser umzubauen und zeitgemäß auszurichten. Wenn ein P&C ankündigt, Verkaufsflächen in einigen seiner Riesen-Häuser verkleinern zu wollen, dann ist das weniger ein Indiz für den bevorstehenden Untergang von Stationär als für die Unfähigkeit der Düsseldorfer, aus filialsystemischen Zwängen lokal ausbrechen zu können bzw. zu wollen.

Ganz anders sieht es bei den Brands aus. Ein Gutteil der Flächenexpansion der letzten beiden Jahrzehnte ging auf das Konto der Monolabelstores. Diese stationäre Vertikalisierung ist eindeutig an ihre Grenzen gestoßen. Bei dem Versuch, alleine Zara sein zu wollen, haben die Esprits und Gerry Webers dieser Welt sich verrannt. Mit ihrer stationären Expansion haben sie kurzfristig die Wachstumsfantasien von Börse und Investoren bedient, und manchmal auch die Hybris der Top-Entscheider. Sie haben dabei die Attraktivität ihrer Marken dramatisch überbewertet und es versäumt, ihre Wholesale-Strukturen an die Erfordernisse des Retail Business‘ anzupassen. Jetzt hängen zu teure Mietverträge und horrende Personalkosten ihnen wie Mühlsteine am Hals. Das wäre vermutlich auch ohne die wachsende Online-Konkurrenz so gekommen. Aber der dramatische Wandel im Markt verstärkt den Druck.

Diesen Druck bekommen auch die wirklich Vertikalen zu spüren. Anbieter wie H&M oder Zara haben ihre Expansion deutlich zurückgefahren und fordern zurzeit massiv Zugeständnisse ihrer Vermieter ein. Auf der Immobilienmesse Mapic neulich in Cannes war jedenfalls schon mal mehr Partystimmung. Und in dem Maße, wie die digitale Transformation bei der Otto Group vorankommt, entwickelt sich das zweite Standbein der Familie – der Einkaufszentrenbetreiber ECE – zum Sorgenkind. Doch anders als viele der Läden betreibenden Wholesaler brauchen die wirklich Vertikalen keinen radikalen Kurswechsel, was ihr Vertriebsmodell angeht. Die Weiterentwicklung in Richtung Omnichannel ist auch so schon anspruchsvoll genug. Zugleich machen sie sich massiv Gedanken über ihre Ladenformate. Insbesondere H&M hat in den vergangenen Monaten etliche Testballons steigen lassen – angefangen bei dem in Kassel erstmals in Deutschland realisierten neuen Store Design über das in Heidelberg eröffnete Cafe bis hin zu neuen Formaten wie dem „Hyperlocal Store“ in Berlin-Mitte, der neben H&M‑Klamotten Berliner Designer und Vintage-Teile anbietet oder dem gerade eröffneten Bekleidungsverleih mit Cafe und Beauty Bar in Stockholm. Egal, ob diese Ideen alle fliegen werden: sie zeigen, womit sich eine erfolgreiche Retail Brand befasst, während die vertikalen Wholesaler in ihren Monolabelstores vielfach kaum die Warensteuerung in den Griff bekommen.

Auch wenn sie sich im eigenen Retail häufig ein blaues Auge geholt haben, werden die Wholesale Brands ihre Direktvertriebsaktivitäten nicht einstellen. Das wäre ihnen auch nicht zu raten. Bislang schon waren die Outlets dabei der rentabelste Part. Dieses Segment wird mit dem vielerorts betriebenen Ausbau der FOC-Flächen weiter wachsen. Die jüngst erfolgte Eröffnung des über 5000 m² großen Hugo Boss-Stores in Metzingen ist ein Symbol für die Aufrüstung dieses Vertriebskanals.

Vor allem aber werden die Marken ihr Web Business forcieren. Hugo Boss und Adidas haben dazu bereits ambitionierte Ansagen gemacht, aber auch andernorts wächst der Online-Kanal überdurchschnittlich. Dieses zentral gesteuerte Geschäftsmodell kommt den auf Kontrolle erpichten Brands besser entgegen als das schwer zu steuernde dezentrale Retail Business. Auf die stationäre Vertikalisierung folgt damit jetzt die nächste Welle – die virtuelle Vertikalisierung. Läden sind in diesem Modell weniger Vertriebsinstrumente als Werbeflächen, die den Endverbrauchern einen haptischen Zugang zur Marke ermöglichen. Dazu braucht es nicht mehr die großen Ladennetze der Vergangenheit, sondern lediglich Image-Flagships in zur Marke passenden exponierten Lagen. Dort wird man es dann aber richtig krachen lassen. So wie das beispielsweise Adidas in seinem gerade eröffneten, mit digitalen Gadgets und Event Spaces gespickten LDN-Store in London vormacht. Oder wie der viel besprochene Hightech-Laden von Bonprix, mit dem die Hamburger geschickt vergessen haben lassen, dass sie in den vergangenen Jahren über 130 Filialen geschlossen haben.

Endpunkt dieser Entwicklung von der Distribution zur Kommunikation ist wohl Showrooming – Läden, die Ware lediglich ausstellen, aber nicht stationär verkaufen, sondern online liefern. Jüngstes Beispiel ist der Canada Goose-Store in Toronto, der gerade durch die Medien ging. Aber man muss gar nicht so weit reisen, sondern kann auch nach Hannover schauen. Dort gibt es seit kurzem VAUND, ein Showroom-Format für Design-Produkte, wo sich Brands wie Pelikan, Smeg oder BMW einmieten können. In Venice Beach hat in diesem Frühjahr ein ganz ähnliches Konzept eröffnet: das Hunker House wird von dem gleichnamigen Design-Blog betrieben. Instagram eröffnete unlängst einen Popup-Store in Berlin, um darauf aufmerksam zu machen, dass man jetzt auch ein Kaufhaus ist. Und Walmart schickt seine Matratzen-Eigenmarke Allswell in einem fahrbaren Tiny House auf US-Tournee.

Abgesehen davon, dass man sich solche Werbeflächen leisten können muss see now, buy now, get now wird immer ein gewichtiges Argument fürs Verkaufen bleiben. Vermutlich arbeitet Amazon daran auch schon.

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