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Breuninger und New Yorker: Wer macht’s besser?

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Jür­gen Mül­ler

Es gibt sie noch, die guten Nach­rich­ten aus dem Ein­zel­han­del. Zum Bei­spiel von Breu­nin­ger.

CEO Hol­ger Ble­cker gab die­se Woche im Han­dels­blatt ein paar Ein­bli­cke in den Geschäfts­ver­lauf. Das Unter­neh­men ist 2022 um 20 Pro­zent gewach­sen, auf 1,4 Mil­li­ar­den Euro. Die Häu­ser konn­ten sogar 30 Pro­zent zule­gen. Deut­lich über die Hälf­te des Umsat­zes lie­fer­te das Online Busi­ness. Das habe sich zwar weni­ger dyna­misch ent­wi­ckelt, mit einem hohen ein­stel­li­gen Plus, so Ble­cker. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass der Online Retail in Deutsch­land ins­ge­samt 2022 kräf­tig Minus schrieb, ist auch das bemer­kens­wert. Im ers­ten Quar­tal 2023 (wo sich gefühlt die hal­be Bran­che unter dem Schutz­schirm drän­gelt) habe Breu­nin­ger erneut zwei­stel­lig zuge­legt. “Ich erwar­te ein gutes Plus in die­sem Jahr”, so Ble­cker.

Viel­leicht soll­te man mal auf­hö­ren, immer nur auf die Kri­sen­fäl­le zu star­ren, son­dern sich auch mal den Gewin­nern und deren Erfolgs­re­zep­ten zuwen­den. Und da haben die Stutt­gar­ter in der ver­gan­ge­nen Jah­ren mehr rich­tig als falsch gemacht. Ange­fan­gen bei einer kon­se­quen­ten For­mat­stra­te­gie und einer Fokus­sie­rung von Sor­ti­ment und Auf­tritt auf Pre­mi­um und Luxu­ry über eine klu­ge Per­so­nal­po­li­tik bis hin zu einer pro­fes­sio­nel­len Umset­zung von Omnich­an­nel, einer The­ma­tik, über die alle reden, die aber die wenigs­ten beherr­schen. BWL-Semi­na­ren sei Breu­nin­ger als Case für erfolg­rei­che digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on im sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­del emp­foh­len.

Breu­nin­ger hat sei­nen Umsatz damit in zehn Jah­ren mehr als ver­dop­pelt. Laut Bun­des­an­zei­ger hat die BSG Betei­li­gungs-GmbH, in der der Kon­zern die wesent­li­chen Han­dels- und Immo­bi­li­en­ge­sell­schaf­ten bün­delt, ihre Erlö­se zwi­schen 2011 und 2021 von 508 Mil­lio­nen auf etwas über eine Mil­li­ar­de Euro gestei­gert. In die­se Pha­se fie­len u.a. die gro­ße Eröff­nung in Düs­sel­dorf und die Über­nah­men von Konen in Mün­chen und Bram in Luxem­burg. Vor allem aber gelang es Breu­nin­ger, am Online-Boom zu par­ti­zi­pie­ren. Spä­tes­tens mit der Pan­de­mie hat sich der Web­shop als Glücks­fall erwie­sen.

Hin­ter dem Erfolg von Breu­nin­ger ste­hen Inha­ber­fa­mi­li­en, die für Kon­ti­nui­tät im Manage­ment gesorgt haben und die vor allem in hohem Maße inves­ti­ti­ons­be­reit waren und sind. Man gab nicht nur viel Geld für neue Häu­ser aus (zu denen sich dem­nächst auch ein Depart­ment Store in Ham­burg gesellt) oder für ein städ­te­bau­li­ches Pro­jekt wie das Doro­theen Quar­tier, mit dem das Stutt­gar­ter Stamm­haus buch­stäb­lich in eine bes­se­re Lage ver­setzt wur­de. Son­dern man mach­te auch 150 Mil­lio­nen Euro für ein neu­es 130.000 m² gro­ßes Logis­tik­zen­trum locker, das auch auf die Anfor­de­run­gen des Inter­net-Ver­triebs zuge­schnit­ten ist.

Die Trans­for­ma­ti­on zeigt sich indes in den Bilan­zen. Die Gewinn­ent­wick­lung der E. Breu­nin­ger GmbH & Co. als größ­ter Toch­ter­ge­sell­schaft blieb hin­ter der Umsatz­ent­wick­lung zurück: 2021 ver­dien­te der Mul­tich­an­nel-Depart­ment­sto­re laut Bun­des­an­zei­ger 23,9 Mio. Euro. 2011 waren es bei bedeu­tend weni­ger Umsatz 18,4 Mil­lio­nen, 2017 auch schon mal 49,3 Mil­lio­nen.

Die Umsatz­ren­ta­bi­li­tät des Kon­zerns ist gegen­über 2011 gesun­ken; die Kenn­zif­fer lag 2021 bei ledig­lich 1,2 Pro­zent, die EBIT­DA-Mar­ge bei 8,5 Pro­zent. Zehn Jah­re davor, als das Online-Geschäft eine sehr viel gerin­ge­re Rol­le spiel­te, waren es 1,7 Pro­zent bzw. 11,3 Pro­zent. Die Eigen­ka­pi­tal­quo­te des Kon­zerns sank seit 2011 von 40 auf 29 Pro­zent. 2019, vor Coro­na, lag sie bei 32 Pro­zent. Die Roh­ertrags­quo­te hat sich mit 48,9 Pro­zent (2021) gegen­über 49,3 Pro­zent (2011) kaum ver­än­dert. Die Bestän­de gemes­sen am Umsatz haben sich von 8,7 Pro­zent auf 15,2 Pro­zent kräf­tig erhöht, was mit dem Aus­bau des Online-Geschäfts zusam­men­hän­gen mag.

Ande­rer­seits: Was wäre Breu­nin­ger ohne die­ses Online-Geschäft?

Fritz Knapp mag manchen Digital-Evangelisten vorgekommen sein wie der Autofahrer, der im Radio die Verkehrswarnung vor einem Geisterfahrer hört und ruft: ‚Einer? Hunderte!‘

Viel­leicht ertrag­rei­cher, wür­de Fritz Knapp sagen. Der New Yor­ker-Inha­ber ist beken­nen­der Online-Ver­äch­ter. „Für mich ist E‑Commerce die Wet­te auf eine Zukunft, die nie ein­tref­fen wird“, sag­te er vor Jah­ren mal der TW. Das kön­ne sich nie und nim­mer rech­nen, und an den sin­ken­den Mar­gen von zum Bei­spiel Indi­tex und H&M lie­ße sich das ja auch deut­lich erken­nen. „H&M hat mitt­ler­wei­le so nied­ri­ge Mar­gen wie ein Lebens­mit­tel­händ­ler.“ Über­all schlum­mer­ten rie­si­ge Men­gen an unver­käuf­li­cher Ware, die meis­ten Bilan­zen der Unter­neh­men sei­en doch geschönt. „Wenn Online-Händ­ler mal eine rich­ti­ge Inven­tur machen wür­den, dann wäre das Geschäfts­mo­dell nicht mehr zu hal­ten.“

Die aktu­el­le Ent­wick­lung scheint Knapp zu bestä­ti­gen. Die Wachs­tums­rie­sen aus dem Inter­net sind bekann­ter­ma­ßen Ren­di­te­zwer­ge. Aktu­ell labo­rie­ren vie­le an zu opti­mis­tisch geplan­ten Bestän­den. About You hat ges­tern gera­de Jah­res­er­geb­nis­se vor­ge­legt; am schnells­ten wach­sen dort die Ver­lus­te. Die Zins­wen­de mar­kiert eine Zei­ten­wen­de für die eins­ti­gen Start­ups: für die Kapi­tal­ge­ber geht es nicht mehr pri­mär nur um Wachs­tum, son­dern um Pro­fi­ta­bi­li­tät. Da könn­te der eine oder ande­re Inves­tor noch die Lust ver­lie­ren.

Die 2021er-Ergeb­nis­se, die New Yor­ker Mit­te April im Bun­des­an­zei­ger ver­öf­fent­licht hat, stüt­zen Knapps Argu­men­ta­ti­on erst recht. Der Filia­list schaff­te 2021 ein Umsatz­plus von 18 Pro­zent auf 2,033 Mil­li­ar­den Euro, die Vor­steu­er­ren­di­te liegt bei sen­sa­tio­nel­len 24,7 Pro­zent (H&M zum Ver­gleich: 3,2 Pro­zent), die Eigen­ka­pi­tal­quo­te beträgt 66,5 Pro­zent. New Yor­ker hat sei­nen Umsatz in den zehn Jah­ren seit 2011 zwar nur um gut 40 Pro­zent gestei­gert, der Jah­res­über­schuss hat sich in die­ser Zeit aber fast ver­drei­facht: Der Kon­zern ver­dien­te 2021 nach Steu­ern 339 Mil­lio­nen Euro.

Fritz Knapp mag man­chen Digi­tal-Evan­ge­lis­ten vor­ge­kom­men sein wie der Auto­fah­rer, der im Radio die Ver­kehrs­war­nung vor einem Geis­ter­fah­rer hört und ruft: ‚Einer? Hun­der­te!‘. Aber die Fokus­sie­rung auf das Fili­al­ge­schäft und der Ver­zicht auf kos­ten­trei­ben­de Omnich­an­nel-Kom­ple­xi­tät sind dem Unter­neh­men zwei­fel­los gut bekom­men.

Es macht aus Knapps Sicht auch Sinn. Zum einen wären die Waren­kör­be in einem New Yor­ker-Web­shop bei den nied­rig­prei­si­gen Arti­keln nicht so, als dass sich das Ver­sand- und Retou­ren-Hand­ling rech­ne­te. Man darf gespannt sein, wie TK Maxx das The­ma löst – der Off­pri­ce-Gigant hat sei­nen deut­schen Web­shop die­se Woche gelauncht.

Aber auch die Kun­den schei­nen New Yor­ker als Ein­kaufs­adres­se im Netz nicht zu ver­mis­sen. Die jun­ge Ziel­grup­pe ist zwar digi­tal nati­ve, die Kids sind anders als jun­ge Fami­li­en oder Senio­ren aber nach wie vor häu­fi­ger in den Fuß­gän­ger­zo­nen unter­wegs, zum Socia­li­zen und zum Shop­pen. Die Tee­nies geben zudem das Geld der Eltern und Groß­el­tern aus und haben häu­fig noch gar kei­ne Kre­dit­kar­te oder ein Giro­kon­to, was es für den Ein­kauf im Web­shop braucht. New Yor­ker hat übri­gens auch so 1,1 Mil­lio­nen Fol­lower in Insta­gram, sechs­mal mehr als der dort viel akti­ve­re Breu­nin­ger.

Die gro­ße Fra­ge ist, wo New Yor­ker in zehn Jah­ren ste­hen wird. Wenn noch mehr Geschäft ins Inter­net abwan­dert und der Kuchen für Sta­tio­när schrumpft. Wenn die Fre­quen­zen in Ein­kaufs­zen­tren und Fuß­gän­ger­zo­nen rück­läu­fig blei­ben. Wenn Shein und Kon­sor­ten dem Young Fashion-Filia­lis­ten mit noch aggres­si­ve­ren Prei­sen die Kun­den abspens­tig machen. Ob der Inha­ber, der ver­gan­ge­ne Woche 72 Jah­re alt wur­de, anders agie­ren wür­de, wenn er als Unter­neh­mer noch eine 30 Jah­re-Per­spek­ti­ve hät­te?

Mög­li­cher­wei­se nicht. Denn viel­leicht ist es ja tat­säch­lich so, dass am Markt ver­schie­de­ne Model­le ihre Berech­ti­gung haben – Pure Play­er, Omnich­an­nel-Anbie­ter und rein Sta­tio­nä­re – sofern sie ihr Geschäft ver­ste­hen und ihrer Ziel­grup­pe bie­ten, was die­se sucht.