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Ich wünscht‘ ja auch, es wär‘ nicht so

Dem Niedergang der Hochglanzmagazine mit Retro-Argumenten zu begegnen, hilft nicht weiter, meint Siems Luckwaldt in seiner Replik auf Jeroen van Rooijens Beitrag vergangene Woche. "Es ist eine paradoxe Haltung, sich einerseits jeden Tag mit einer Welt im rapiden Wandel zu beschäftigen, und gleichzeitig zu glauben, diese Veränderungsdynamik mache vor dem eigenen shared desk halt."
Siemsluckwaldt
Siems Luckwaldt

Es gibt einen Clip der US-Comedyreihe „Saturday Night Life“ aus dem Jahr 1989, der ganz gut beschreibt, was mir in den letzten zehn, fünfzehn Jahren bei Diskussionen über Modemagazine durch den Kopf schwirrt. In dem Sketch sitzt Schauspielerin Glenn Close mit grauer Perücke, Pelzstola und Perlenkette sowie halb heruntergerutschten Thrombosestrümpfen auf der Veranda ihres Hauses. Sie unterhält sich mit ihrer Tochter über die Beerdigung einer alten Freundin, von der sie gerade zurückgekehrt sind. Close bemängelt bitter, dass es bei der Trauerfeier ausschließlich um die Verstorbene gegangen sei. Niemand habe sich für sie, Close, interessiert. Kein Wort des Pastors habe ihr gegolten, bloß der Toten. „Dabei war ich die Hübschere von uns beiden. Männer stürzten sich auf mich wie Enten auf einen Junikäfer. Ich war viel talentierter, klüger, hatte deutlich mehr Charme …“

Ich musste kürzlich wieder mal an diese herrlich bizarre, psychologisch fein beobachtete Szene denken, als ich einen Beitrag meines sehr geschätzten Kollegen Jeroen van Royen für profashionals las. Er schrieb über Modemagazine und deren gemächlichen Ritt in den Sonnenuntergang. Aktuelle Beispiele muss keiner lange googeln: Condé Nast, Hearst, Bauer und etliche mehr. Manche trennen sich so rasch von Printprodukten, als wären es Gamestop-Aktien. Oder eine Krawatte, aus der die Reinigung den Senffleck partout nicht rauskriegt. Soweit so bekannt und durchaus besorgniserregend, keine Frage.

Was mich trotz von Natur aus eher niedrigem Blutdruck bei der Lektüre in Rage brachte, waren die Branchenstimmen, die dort zu Wort kamen. Wie der Chor in einer antiken Tragödien intonierten sie das bekannte Klagelied: „Es fehlt das Geld für Qualität in Wort und Bild. Wo sind die Originalität, die Ehrlichkeit und Authentizität, der Glamour? All das, was der von Verlagen oft unterschätzte Leser so schmerzlich vermisst, dass er sich abwendet und von YouTube oder Instagram berieseln lässt?“ Bei solchen Retro-Argumenten, die ich seit meinem Brancheneintritt vor über 20 Jahren hören muss, hilft nur gezielte Bauchatmung.

Im Jahr 2021 allen Ernstes zu glauben, man würde Leser, die sich statt genussvoll durch Vogue & Co. zu blättern, lieber von Bibi, Daggi und Sami das Hirn vertreiben lassen, durch kostspielige Fotografen und Autoren auf der gedruckten Seite halten können, das ist in etwa so realitätsfremd wie Gerhard Schröders Auftritt in der Wahlnacht 2005.

Nun kann ich die Sehnsucht nach Meinungshoheit, Flügen in der Business Class, Limousinen mit Fahrer und drei Sorten Salz auf dem Kantinentisch ja durchaus verstehen. Das können geneigte Leser in meiner allerersten Kolumne für dieses tolle Portal nachlesen. Aber im Jahr 2021 allen Ernstes zu behaupten wenn nicht gar zu glauben, man würde Leser, die sich statt genussvoll durch Vogue & Co. zu blättern, lieber von Bibi, Daggi und Sami das Hirn vertreiben lassen, durch kostspielige Fotografen und Autoren auf der gedruckten Seite halten können, das ist in etwa so realitätsfremd wie Gerhard Schröders Auftritt in der Wahlnacht 2005.

Wichtiger noch: Diese als „Strategie“ kostümierte Nostalgie der (Ex-)Macher suggeriert zwischen den Zeilen, dass es die amtierende Redakteursgarde halt einfach nicht drauf hat. Nach dem Motto: „Wenn wir nur (wieder) am Ruder wären und die Besten ihrer Zunft um uns versammeln könnten, wäre das ein garantierter Erfolg.“ Es steht natürlich jedem frei, so zu denken, be my guest. Doch wer weiß, wie hart die vielen Kollegen im Bereich der „weichen Themen“ wie Mode, Lifestyle und Design heute arbeiten, der kann darin eigentlich nur einen Affront sehen. Und leider ist auch die Analyse falsch, dass steigende Qualität (und Kosten) zu einem umjubelten Leuchtturm-Titel führt, der über dem Mainstream thront. In einer Zeit der Plattformen und des content binging könnte kein Hut älter sein. Metapher-Chaos, sorry, aber Sie wissen schon, was ich meine.

Was mich zu einem weiteren Argument führt, das meines Erachtens keinem reality check standhält: der Glorifizierung der Nische als Plan B, mehr noch, Rettungsboot für Magazine, die sich mit den schicken und schönen Dingen des Lebens beschäftigen. Sie kennen sie alle, die Mär von den prächtigen Stil-Bookazines, die man in Eppendorf oder Brooklyn auf den Coffee Table italienischer Provenienz legt. Nothing could be further from the truth. Punkt. Konkret: Ein nicht-englischsprachiges Stand-alone-Magazin aus der Kategorie Lifestyle mit rein nationaler Distribution und zwischen einer bis vier Ausgaben im Jahr ist in den seltensten Fällen (!) ein belastbarer Business Case.

Die wenigsten Nischentitel sind ohne Nebengeschäfte überlebensfähig. Oft zahlt ein Mäzen die Zeche, viel zu oft erscheinen fantastische Nischenmagazine einzig deshalb, weil alle Mitwirkenden sich aus purer Leidenschaft oder gezwungenermaßen selbst und gegenseitig ausbeuten.

Und alle Gegenbeispiele, die Sie jetzt aus Ihrem Gedankenarchiv hervorkramen, lohnen einen zweiten und dritten Blick, der meist sehr individuelle Gründe offenbart, warum selbst die Ausnahme die Regel bestätigt. Oft zahlt ein Mäzen die Zeche, es soll zudem rein steuerlich motivierte Soloverleger geben, deren publizistischer Anspruch sich mit dem Wort Steuerersparnis summieren lässt, und viel zu oft erscheinen fantastische Nischenmagazine einzig deshalb, weil alle Mitwirkenden sich aus purer Leidenschaft oder gezwungenermaßen selbst und gegenseitig ausbeuten. Ja, es gibt sie natürlich, die Projekte, wo mehr als Salär fließt als Luft, Liebe und Chateau Lafitte.

Die wenigsten dieser Titel sind jedoch ohne Nebengeschäfte überlebensfähig: Videos auf YouTube, Events, Onlinekurse, buchbare Beratungs- und Kreativleistungen, eigene Produkte wie Bücher oder Spirituosen, Podcasts … Meinen unbedingten Respekt für alle diese Ideen und Initiativen! Nicht zu vergessen eine noch junge Spezies von Magazinen, die als Visitenkarte und Akquise-Tool der herausgebenden (Werbe- oder Content-)Agentur fungieren. Das ist weder „Igitt“ noch der Untergang des Abendland-Kiosks, sondern fordert von allen jetzt Medienmachern viel mehr Schaffenspower, das Nehmen steiler Lernkurven, crossmediale Expertise und den Optimismus, aus den Zitronen, die ihnen in den Weg rollen, jeden Tag aufs Neue möglichst köstliche Limonade zu mischen. Ein Aufgaben-Potpourri, das, mit Verlaub, die wenigsten der gern zitierten Grande Dames et Messieurs je über Jahre und Jahrzehnte stemmen mussten. Glück gehabt.

Nun glauben Sie bitte nicht, dass mir als mit Druckerzeugnissen sozialisierter Journalist nicht gelegentlich das Herz blutet, wenn Storys mehr und mehr den Halt von Papier und Tinte verlieren, flüchtig werden, wie Erzählungen am Lagerfeuer. Wenn investigative Recherchen bestenfalls zu einem Artikel, einer Bildergalerie, einer Podcastfolge, einem Sachbuch und einem Fernsehfilm werden können, dürfen, sollen. Ist das die schöne neue Welt oder eine Dystopie?

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Magazinsterben: Die Zukunft liegt nicht in der Egomanie ihrer Macher.

Ich meine: Ist egal, weil der „Erst die Geschichte, dann der Kanal“-Ansatz sich im Grunde viel mehr mit unserem Rezipientenverhalten deckt. Wie sehr trifft das Bild vom Sonntag auf dem Balkon mit Espresso, glutenfreien Croissants, dicker Zeitung und Golden Retriever zu den Füßen wirklich noch auf ein reales Leben zu – und wie viel davon ist Kitsch fürs Instagram-Foto? Sprich: Wie sehr verhalten wir uns alle bei der Mediennutzung längst so wie die ach so „verstrahlten“ Generationen am Ende des Alphabets, also X, Y und Z? Und spielt es wirklich noch eine entscheidende Rolle, ob ich über Theranos oder Wirecard lese, etwas dazu sehe oder höre – oder mir die irrwitzigen Facetten dieser Wirtschaftskrimis aus allen drei Mediengattungen zusammenpuzzle? Wichtiger ist und bleibt doch, dass es großartige Journalisten gibt, die sich in diese labyrinthischen Skandale wagen und Licht hineinbringen können. Oder Designer in Ateliers besuchen dürfen, um zu erspüren, wie er oder sie tickt.

Sie merken, ich kann auch beim besten Willen den Vintage-Theorien der Kollegen keine neuen Blaupausen entgegensetzen, allenfalls hastige Skizzen, naive doodles. Sorry. Und ebenso leid tut es mir um jeden Kollegen, jede Kollegin, die in der seit Jahren andauernden und sich beschleunigenden Transformation der Medienlandschaft und ‑nutzung ihren Job verlieren. Das ist schrecklich. I‘ve been there, I know! Nur, und das soll keineswegs ketzerisch klingen, ist es natürlich eine paradoxe Haltung, sich einerseits jeden Tag mit einer Welt im rapiden Wandel zu beschäftigen, darüber zu berichten, sie zu bebildern und zu ergründen – und gleichzeitig zu glauben, diese Veränderungsdynamik mache vor dem eigenen shared desk plötzlich eine Vollbremsung.

Gerade in der Mode sollte jeder wissen, dass nichts älter ist als die letzte Saison, in der Fast Fashion entspricht das der letzten Woche. Dass es keine Garantie dafür gibt, irgendwann wieder als Retro-Trend aufzuerstehen. Nicht mal in der Nische. Leider. Oder Gott sei Dank, wenn man sich einige der in den letzten Jahren als vanity projects wach geschockten Magazinzombies so anschaut. Eins weiß ich nämlich mit Sicherheit: Die Zukunft gedruckter Zeitschriften liegt nicht in der Egomanie ihrer Macher. Und ich finde, das sind zum Schluss mal richtige good news, oder?