Passiert large

H&M mit Charli XCX. Uniqlo mit Clare Waight Keller.

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Jür­gen Mül­ler

Wer zuletzt auf H&Ms Insta­gram-Account war, wird sich gewun­dert haben: Die Schwe­den haben sämt­li­che Posts gelöscht. Eine lee­re Sei­te für 38 Mil­lio­nen Fol­lower, als hät­te Marie Kon­do zum Auf­räu­men vor­bei­ge­schaut. So macht man das heu­te: Im Bil­der­me­di­um Insta­gram erzeugt das Nichts womög­lich die größ­te Auf­merk­sam­keit. Die­se Auf­merk­sam­keit soll voll und ganz Char­li XCX zugu­te­kom­men. Seit ein paar Tagen wer­den Fotos von der Sän­ge­rin und ande­ren Cele­bri­ties auf­ge­spielt. Die Col­lab-Kol­lek­ti­on kommt am 12. Sep­tem­ber in die Läden.

Die Lösch­ak­ti­on ist mehr als eine PR-Num­mer. Sie ist Aus­druck der Repo­si­tio­nie­rung, die der neue H&M‑CEO Dani­el Ervér anstrebt. H&M ist seit län­ge­rem aus dem Tritt gera­ten. Mit top­ak­tu­el­ler Mode zum güns­tigs­ten Preis sind die Schwe­den zu einem der größ­ten Beklei­dungs­an­bie­ter der Welt gewor­den. Das funk­tio­niert so nicht mehr. Preis­lich wird H&M von Fas­ter Fashion-Play­ern wie Shein unter­bo­ten. Und die modi­schen Kun­den fin­den bei Zara & Co qua­li­ta­tiv bes­se­re Alter­na­ti­ven. Anders als die Spa­ni­er mit ihrem Pre­mi­um-Appeal hat H&M weni­ger Spiel­raum für Preis­er­hö­hun­gen. Dabei wäre dies ange­sichts der Kos­ten­ex­plo­si­on in der Beschaf­fung spä­tes­tens seit der Coro­na-Kri­se ange­zeigt. So ist das Unter­neh­men gegen­über dem Wett­be­werb in der Pro­fi­ta­bi­li­tät weit zurück­ge­fal­len. Frü­her konn­te sich Fami­lie Pers­son über Umsatz­ren­di­ten von 20% und mehr freu­en, zuletzt waren es 6,2%, nach mick­ri­gen 3,2% in 2022. Zara-Mut­ter Indi­tex konn­te sei­ne EBIT-Mar­ge dage­gen im ver­gan­ge­nen Jahr von gut 16 auf fast 19% stei­gern.

Dies hat bei H&M zu hef­ti­gen Tur­bu­len­zen, nicht zuletzt im Manage­ment geführt. Der lang­jäh­ri­ge Deutsch­land-Chef Thors­ten Min­der­mann und CEO Hele­na Hel­mers­son waren nur die pro­mi­nen­tes­ten Abgän­ge. Dani­el Ervér ver­sucht jetzt, das Ruder her­um­zu­reis­sen, reor­ga­ni­siert inter­ne Pro­zes­se und lei­tet – kurz gesagt – ein Tra­ding-up ein. Man wird sehen, ob die Kun­den H&M die Neu­jus­tie­rung abneh­men. Bes­ser wäre es. Das For­mat, mit dem in Deutsch­land mitt­ler­wei­le zwei Gene­ra­tio­nen auf­ge­wach­sen sind, läuft ansons­ten Gefahr, in die C&A‑Falle zu lau­fen.

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Wie man es im kom­mer­zi­el­len Main­stream auch machen kann, zeigt Uni­q­lo. Die Japa­ner haben die­se Woche Cla­re Waight Kel­ler zur neu­en Crea­ti­ve Direc­tor ernannt. Die bri­ti­sche Desi­gne­rin arbei­te­te zuvor für Given­chy und Chloé und ist jetzt für die Haupt­kol­lek­tio­nen von Uni­q­lo ver­ant­wort­lich. Sie trifft dort auf Chris­to­phe Lemai­re, der nach Sta­tio­nen bei Lacos­te und Her­mès bereits seit acht Jah­ren als Artis­tic Direc­tor die Linie Uni­q­lo U ent­wi­ckelt und das R&D‑Center in Paris lei­tet.

Anders als die ande­ren Brands im Mas­sen­markt nut­zen die Japa­ner die gro­ßen Desi­gner-Namen nicht nur vor­über­ge­hend, für Aktio­nen und PR-Zwe­cke (gera­de hat auch Zara für die­sen Herbst eine Cap­su­le Coll­ec­tion mit Ste­fa­no Pila­ti ange­kün­digt). Son­dern Uni­q­lo holt sich den Sach­ver­stand der Top-Krea­ti­ven dau­er­haft ins Haus. Waight Kel­ler und Lemai­re sind der mode­inter­es­sier­ten Öffent­lich­keit sicher geläu­fig, und man wird mit der anste­hen­den Cock­tail-Prä­sen­ta­ti­on zur New York Fashion Week und ein paar Edi­to­ri­als in Vogue & Co sicher punk­ten kön­nen. 95% der Uni­q­lo-Kun­den dürf­ten die Namen aber eher nichts sagen. Das Enga­ge­ment ist von daher weni­ger eine Inves­ti­ti­on ins Mar­ke­ting als pri­mär ins Pro­dukt. Ganz neben­bei signa­li­siert die dau­er­haf­te Ver­bin­dung natür­lich auch, dass man beim hek­ti­schen Mode­zir­kus nicht mit­spielt, son­dern im klas­si­schen Sin­ne nach­hal­tig arbei­tet.

Das passt zum Anspruch Uni­q­los, Life­wear anzu­bie­ten – “ein­fa­che, hoch­wer­ti­ge All­tags­klei­dung mit einem prak­ti­schen Sinn für Schön­heit, die bis ins Detail aus­ge­klü­gelt ist, sich an den Bedürf­nis­sen des Lebens ori­en­tiert und sich stän­dig wei­ter­ent­wi­ckelt”, wie Euro­pa-Chef Taku Mori­ka­wa das Kon­zept in der TW umschrieb. Wo ande­re Mar­ken – auch im Pre­mi­um- und Luxu­ry-Markt – mit teu­ren Tes­ti­mo­ni­als oder bloß schö­nen Bil­dern wer­ben, lockt Uni­q­lo mit durch­dach­ten Pro­duk­ten; mit Stoff-Inno­va­tio­nen wie dem was­ser­ab­wei­sen­den Block­tech, dem atmungs­ak­ti­ven Airism oder dem flau­schi­gen Souf­flé-Garn, die ech­ten Tra­ge­kom­fort bie­ten. Und statt alle paar Wochen neue Arti­kel auf den Markt zu wer­fen, ver­fei­nern und opti­mie­ren die Japa­ner ihre Basics und set­zen auf ein best­mög­li­ches Preis/­Leis­tungs-Ver­hält­nis. Für die Moder­ni­tät sor­gen dann Top-Krea­ti­ve wie Waight Kel­ler und Lemai­re, die bei Uni­q­lo womög­lich ver­stän­di­ge­re Ansprech­part­ner und bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen vor­fin­den als in den Ate­liers der Mar­ke­ting­ma­schi­nen Kering und LVMH.

Viel­leicht ist dies etwas, von dem der Rest des Mark­tes ler­nen kann. Wel­che Mode­mar­ke inves­tiert denn wirk­lich noch in die Pro­dukt­qua­li­tät bzw. ver­sucht, sich über Funk­ti­on und Tra­ge­kom­fort statt über „Life­style“ zu pro­fi­lie­ren? Wo gibt es in die­ser Bran­che (jen­seits der gro­ßen Sport­ar­tik­ler viel­leicht) eine ech­te For­schung- und Ent­wick­lungs­ab­tei­lung, die über die nächs­te Sai­son hin­aus denkt und mehr als eine tech­ni­sche Pro­dukt­ent­wick­lung dar­stellt? Dass sich jemand wie Mey dar­an gemacht hat, ein pro­fa­nes Unter­hemd zu einem “Drun­ter­hemd” wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, gehört zu den löb­li­chen Aus­nah­men. Bei all­zu vie­len Anbie­tern besteht die Krea­ti­vi­tät indes vor allem dar­in, den immer enge­ren Kos­ten­vor­ga­ben des Pro­dukt­ma­nage­ments so zu ent­spre­chen, dass die Kun­den die Qua­li­täts­ein­bu­ßen nicht wahr­neh­men.

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