Erst Lockdown, jetzt auch noch Flockdown. Vor Corona hätte ein Winterausbruch wie in dieser Woche den Einzelhandel in Katastrophenstimmung versetzt. Von wegen Erreichbarkeit der Innenstädte, Interesse an neuer Frühjahrsware und so weiter. Aber das Wetter, diese Standardausflucht der Kaufleute für Umsatzminus und Missmanagement, interessiert zurzeit keinen. Außer vielleicht die bemitleidenswerten Kuriere, die die Online-Bestellungen bei Schneesturm und Eisglätte ausliefern müssen.
Genießen kann man das perfekte Winterwetter freilich kaum, wenn man nicht weiß, wie’s weitergehen soll. Die Regierung redet zwar neuerdings von „Perspektivplan“, was so klingt, als habe man die Situation im Griff. Aber es ist weder eine klare Perspektive noch ein konkreter Plan da. Dass die Politik weiterhin auf Sicht fährt und Festlegungen scheut, wo die Mutanten sich auch hierzulande breit machen, ist verständlich. Allein, es strapaziert die Nerven der Bevölkerung und verlängert die Depression der Kaufleute.
Denen bleibt nur die Hoffnung auf einen Nachholeffekt, wenn die Geschäfte dann mal wieder öffnen sollten. Die Bilder aus Österreich, wo die Kunden diese Woche vor Modeläden Schlange standen, nähren diese Hoffnung. Geld ist ja da. Die Sparquote ist von 11 auf 16 Prozent gestiegen. 330 Milliarden haben die Deutschen allein in 2020 zurückgelegt, was nicht nur mit Angst und Geldnot zu tun hat, sondern auch mit dem erzwungenen Konsumverzicht. Soviel Klopapier können die Leute gar nicht verbrauchen, wie sie sonst für Reisen, Kleidung und Restaurantbesuche ausgeben. Stattdessen kaufen sie sich Haustiere; schätzungsweise eineinhalb Millionen Hunde wurden 2020 zusätzlich angeschafft (womöglich auch, um einen Grund mehr zu haben, mal an die frische Luft zu gehen). Gefragt sind Putzmittel (die Hunde sind halt anfangs nicht stubenrein). Der anfängliche Run auf Sexspielzeug soll hingegen nachgelassen haben (man hat ja jetzt den Hund… okay – extrem geschmackloser Witz). Positiv: Auch die Spendenbereitschaft hat zugenommen. Offenbar denken die Menschen im Ausnahmezustand nicht nur an sich, sondern auch an andere. Ein schönes Signal.
Wir gönnen den Friseuren den früheren Termin, aber für alle anderen ist die Verlängerung des Lockdowns bis zum 7. März eine Katastrophe. Dass manche nun dagegen juristisch vorgehen und auf Schadenersatz klagen wollen, ist ein verständlicher Ohnmachtsreflex. Auf 15 Milliarden schätzt der BTE den Verlust für den Modehandel bis Ende Februar. In vielen Fällen wird die bisher in Aussicht gestellte Unterstützung nicht ausreichen, um das Überleben zu sichern. S.Oliver-Chef Claus Dietrich Lahrs beklagte am Montag in der FAZ und am Mittwoch im Deutschlandradio zu Recht, dass größere Unternehmen von vielen staatlichen Hilfen ausgeschlossen sind. „Sind unsere 12.000 Mitarbeiter weniger wert als die 12 in der Boutique?", sekundierte Ernsting's Family-CEO Timm Homann laut TW in einem Clubhouse-Talk. "Hier werden Unternehmen willkürlich zwangsenteignet, das ist frustrierend." „Hauptsache die Toten haben die Haare schön“, so der bittere Tweet von Olaf Kohlbrück (LZ).
Die Krise schlägt im zweiten Lockdown nun auch voll auf die Industrie durch. „Einkauf? Jetzt?“ titelte die TW neulich, und die Fragezeichen sind fast noch zu klein ausgefallen. Die Läger sind voll und die Kassen leer. Es ist die härteste Orderrunde aller Zeiten. Weil viele Handelskunden ihre Warenannahme geschlossen haben, stapeln sich bei den Lieferanten die Container auf dem Hof oder auf zu immens gestiegenen Preisen angemieteten Lagerflächen, und anders als der Einzelhandel kann die Industrie den Wertverlust von Winter-Saisonware nicht auf die Fixkosten aufschlagen. Die Abschleuskanäle sind ebenfalls verstopft, die Kilopreise im Keller, wenn die Aufkäufer überhaupt noch Ware annehmen. Und am Ende wird massenhaft Markenware aus unkontrollierbaren Quellen zu Billigpreisen die Geschäfte verderben. Auch wenn die Pandemie eines Tages überwunden sein wird, wird der Markt noch lange brauchen, um sich von dieser Verstopfung zu erholen.