Eigentlich wären wir ja im Januar nach Berlin gereist. Aber die Modemessen fanden dort nicht statt, und das bekanntlich nicht, weil sie schon in Frankfurt angekommen wären. Stattdessen treffen wir uns jetzt im digitalen Raum.
Dort versuchen in diesen dunklen Corona-Tagen auch die Messeveranstalter zu überwintern. Die „Neonyt on Air“ vergangene Woche war indes nicht viel mehr als eine Erinnerung daran, dass es diese Veranstaltung gibt. Die Premium hat selbst auf dieses kleine Lebenszeichen verzichtet. Und die virtuelle MBFW mit dem Berliner Salon beeindruckte in erster Linie den Berliner Senat, der dafür 3,5 Millionen Subventionen locker machte.
Und so hatte die Digital Fashion Week diese Woche freie Bahn. Dort zeigten rund 200 Marken ihre Kollektionen. Man konnte Werbevideos schauen, Diskussionsrunden lauschen, Ansprechpartner kontaktieren und untereinander chatten. Technisch hat das alles in allem reibungslos funktioniert, wenngleich der Rahmen so nüchtern daher kam, dass zwischendurch nostalgische Erinnerungen an das Kettenkarussell bei der Bread & Butter aufkamen. Kaufmännisch dürfte es ebenso funktioniert haben, jedenfalls für den Veranstalter. Denn das Kommunikationsbedürfnis von Handel und Industrie ist in der aktuellen Ausnahmesituation so hoch wie nie, und budgetfreundlich wird der virtuelle Auftritt im Vergleich zu einer Präsenzmesse auch gewesen sein.
Hinter der Digital Fashion Week steht der Datentransfer-Dienstleister Fashion Cloud. Das 2015 in Hamburg gegründete Start-up hat sich in Windeseile in der Branche etabliert. Aktuell teilen über Fashion Clouds Web-Plattform nach eigenen Angaben 500 Wholesale-Partner Marketingmaterial und Produktdaten mit 15.000 Einzelhändlern, man kann mit den Fashion Cloud-Apps Orders erfassen und Nachorders initiieren. Eine tolle Erfolgsstory, die jetzt mit dem virtuellen Event nicht zuletzt für sich selbst wirbt. Und vielen in der Branche aufs digitale Fahrrad hilft. Wie so oft im Zeitalter der Digitalisierung ist es keine etablierte Organisation, sondern ein externer Player, der eine Branche aufmischt.
Ist Fashion Cloud nun der Disruptor, der die Messeszene zerstört wie Amazon den Retail? Eher nicht. Vielleicht auch: noch nicht. Wer weiß das schon heutzutage, wo sich nicht nur Pandemien exponentiell entwickeln. Eine Plattform wie die Digital Fashion Week deckt viele Kommunikationsbedürfnisse von Handel und Industrie ab. Aber sie wird dem ganzheitlichen Anspruch nach einem „Order-Erlebnis“ nicht gerecht. Dazu gehört – im B2B-Kontext mehr noch als beim privaten Shopping – auch die Inspiration und das zufällige Entdecken, die beiläufige Wahrnehmung von Trendentwicklungen, das Anfassen der Ware und Prüfen von Qualitäten, die non-verbale Kommunikation in Verhandlungssituationen, das informelle Socializing auf Events und so weiter. All das ist – vorläufig jedenfalls – nur im Offline-Modus möglich. Dazu braucht es nicht zwangsläufig Messen, schon gar nicht in einem sich vertikalisierenden Markt. Aber es braucht doch die persönliche Erfahrung und Begegnung. Das gilt zumindest jenseits des Basic-Geschäfts; das wird künftig mit Sicherheit noch datengetriebener werden.
Mindestens ebenso wie die Messen tangiert eine Digital Fashion Week nebenbei die Fachmedien. Nicht nur, weil die digitale Präsenz auf Seiten der Marken Budgets bindet, die sonst vielleicht in Anzeigen- und Banner-Werbung geflossen wären. Sondern auch, wenn es darum geht, das konkrete Informationsbedürfnis der Einkäufer nach dem modischen Angebot der Industrie zu bedienen. Hier bietet der digitale Raum Potenziale, die ein Anbieter wie Fashion Cloud zu heben versteht. Die Digital Fashion Week ist in diesem Sinne Medienangebot und Messeformat zugleich. Um mit Marshall McLuhan zu kalauern: The Medium is the Messe.