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Von wegen Entschleunigung

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Jür­gen Mül­ler

Die Pan­de­mie hat die Mode­indus­trie getrof­fen, kei­ne Fra­ge. Das Mode­sys­tem ist indes intakt geblie­ben. Im Gegen­teil wur­den vie­le Ent­wick­lun­gen – Ach­tung: Bin­se! – durch Coro­na gar beschleu­nigt.

So hat die Ver­trei­bung der Kon­su­men­ten ins Inter­net den Auf­stieg eines Fast Fashion-Gigan­ten wie Shein begüns­tigt, der mit sei­nen Bil­ligst­prei­sen die Sus­taina­bi­li­ty-Stra­te­gien der Indus­trie ver­höhnt (der Spie­gel hat die­se Woche einen lesens­wer­ten Bei­trag über das Tik­Tok der Mode gebracht). Und am ande­ren Ende der Preis­span­ne hat es die Mar­ke­ting-Gigan­to­mie der Luxu­ry Brands befeu­ert. So dreht sich das Mode­ka­rus­sell jetzt schnel­ler denn je. „The Gre­at Fashion Show Boom“, schreibt BoF anläss­lich der Hau­te Cou­ture-Schau­en in Paris. Acht Shows hat allein Dior in die­sem Jahr bereits ver­an­stal­tet, Cha­nel und Lou­is Vuit­ton bereits fünf.

Als der Mode­zir­kus im Früh­jahr 2020 eine Voll­brem­sung hin­le­gen muss­te, hoff­ten vie­le dar­auf, dass das Busi­ness zur Besin­nung kom­men wür­de. Von einer Ent­schleu­ni­gung des Fashion-Sys­tems war da die Rede. Zahl­rei­che Bran­chen­grö­ßen, dar­un­ter z.B. Dries van Noten und Mari­ne Ser­re, die Chefs von Berg­dorf Good­man, Kade­We und La Rina­s­cen­te sowie die CEOs von Jil San­der, Acne und Mythe­re­sa, schrie­ben einen offe­nen Brief, in dem sie einen fun­da­men­ta­len Wan­del anreg­ten. „Die Pan­de­mie bie­tet uns die Gele­gen­heit, unser Geschäft zu ver­ein­fa­chen und damit mit Blick auf die Umwelt und das Sozia­le nach­hal­ti­ger wer­den zu las­sen.“

Auch Gior­gio Arma­ni mahn­te in einem Inter­view, weni­ger zu machen, aber bes­ser. “Wäh­rend wir dar­auf war­ten, zur Nor­ma­li­tät zurück­zu­keh­ren, kön­nen wir über die Feh­ler nach­den­ken und ver­su­chen, eine bes­se­re Zukunft auf­zu­bau­en.” Und manch einer hoff­te, künf­tig mehr Zeit und Muße zu haben. So begrün­de­te Ales­san­dro Miche­le die Absa­ge sei­ner Show im Mai 2020 damit, „eine Tak­tung zurückzu­ge­win­nen, die mei­ner expres­si­ven Beru­fung näher kommt.“

Längst wird der Erfolg einer Fashion Show vor allem an der Social Media-Reichweite gemessen. Und weniger an der Qualität der Entwürfe.

Das alles war bes­ten­falls naiv. Was bei den Krea­ti­ven Wunsch­den­ken aus­lös­te, war für Ber­nard Arnault und Fran­cois Pinault am Ende nur ein Boxen­stopp im Ren­nen um die höchs­te Begehr­lich­keit. Man behalf sich mit digi­ta­len Events. Jetzt nach der Pan­de­mie treibt man es off­line umso dol­ler. Schon die Mes­sen erleb­ten einen Auf­schwung. Und in Paris war der Kampf um die Front­row här­ter denn je. „Ech­te Luxus­mo­de kann – wie guter Sex – nur live bewusst wahr­ge­nom­men wer­den“, schreibt God­frey Deeny dazu in Fashion­Net­work. Die Angst vor einer neu­en Coro­na-Wel­le im Herbst füh­re zu vor­aus­ei­len­der Fei­er­lust, mut­maßt Alfons Kai­ser in sei­nem FAZ-Bericht: „Der Cham­pa­gner scheint noch bes­ser zu schme­cken als frü­her.“

Aber so wie es Cham­pa­gner längst bei Aldi gibt, pfle­gen vie­le gro­ße Mar­ken nur noch den Mythos von Exklu­si­vi­tät. Kering hat als Umsatz­ziel für Guc­ci 15 Mil­li­ar­den Euro aus­ge­ge­ben. Das ist weit mehr als dop­pelt so viel wie Pri­mark umsetzt. Die Co-ops mit Adi­das und die Kol­lek­ti­on mit Har­ry Styl­es zei­gen, dass die Mar­ke längst den Mas­sen­markt adres­siert. Da ist sie dann in bes­ter Gesell­schaft mit Lou­is Vuit­ton, Rolex & Co, die natür­lich Luxus sind, einen Gut­teil ihres Umsat­zes aber mit Pro­duk­ten machen, die für Bes­ser­ver­die­nen­de, die das wirk­lich wol­len, durch­aus noch erschwing­lich sind.

Die Geset­ze der Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie zwin­gen die gro­ßen Brands, die Dosis stets zu stei­gern. Und natür­lich sind Moden­schau­en für Mode­mar­ken dabei das Mit­tel der Wahl. Längst wird der Erfolg einer Fashion Show vor allem an der Social Media-Reich­wei­te gemes­sen und weni­ger an der Qua­li­tät der Ent­wür­fe.

Bes­tes Bei­spiel ist Balen­cia­ga (von Alfons Kai­ser in der FAZ-Hau­te Cou­ture-Bericht­erstat­tung übri­gens igno­riert). SZ-Redak­teu­rin Tan­ja Rest sah in Dem­nas jüngs­tem Auf­schlag nicht weni­ger als die Zukunft der Mode: „Kei­nen ein­zi­gen der gezeig­ten Looks für Tau­sen­de, Zehn­tau­sen­de von Euro hät­te man in das eige­ne Leben inte­grie­ren wol­len. Must have-Poten­zi­al: Null. (…) Die Zukunft der Mode war dies inso­fern, als die Show Gefüh­le weck­te, die über die Mode selbst hin­aus­wie­sen. Exis­ten­zi­el­le Gefüh­le.“

Wer mit­füh­len möch­te, kann hier die You­Tube-Klicks hoch­trei­ben hel­fen.