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Ist Shein die Zukunft des Modegeschäfts?

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Jür­gen Mül­ler

Die Simpsons haben neu­er­dings ein Fai­ble für Mode. Im Okto­ber mach­ten Homer und Mar­ge noch Wer­bung für Balen­cia­ga. Jetzt feu­ern sie eine Breit­sei­te gegen Fast Fashion. In einer kürz­lich aus­ge­strahl­ten Fol­ge lässt sich ein Tex­til­pro­du­zent in Spring­field nie­der, der sich als aus­beu­te­ri­scher Umwelt­ver­schmut­zer her­aus­stellt und die Hei­mat­stadt der Simpsons zum neu­en Tscher­no­byl macht. “Wenn ich Klei­der für Tom­my Tar­get und Wen­dy Walm­art mache, müs­sen sie bil­lig sein. Denn in der Fast Fashion gewinnt, wer am effi­zi­en­tes­ten Kos­ten kürzt!”

Das kann eigent­lich nie­man­den mehr über­ra­schen. Über die nega­ti­ven Begleit­erschei­nun­gen von Fast Fashion wird viel geschrie­ben und noch mehr gere­det. Nicht zuletzt haben die Umwelt­skan­da­le und die viel­fach fata­len Zustän­de in der Pro­duk­ti­on die gesam­te Mode­bran­che in Ver­ruf gebracht. Der Kauf von eigent­lich Freu­de spen­den­den Pro­duk­ten geht heu­te mit einem schlech­ten Gewis­sen ein­her. Zumin­dest bei auf­ge­klär­ten Ver­brau­chern. Den Mas­sen­markt scheint das indes nicht wirk­lich zu beein­träch­ti­gen. „Ich sehe vie­le Men­schen, die bei Fri­days for Future mit­lau­fen und anschlie­ßend zu H&M gehen“, so Deutsch­land-Chef Thors­ten Min­der­mann kürz­lich in der Wirt­schafts­Wo­che.

Oder bei Shein ein­kau­fen. Die­ses chi­ne­si­sche Unter­neh­men haben die meis­ten Fach­leu­te erst seit Kur­zem auf dem Schirm, obwohl die Shein-App längst auf Mil­lio­nen Tee­nie-Han­dys hier­zu­lan­de instal­liert ist und glo­bal für einen zwei­stel­li­gen Mil­li­ar­den­um­satz sorgt. Social Media hat die­sen rasan­ten Auf­stieg mög­lich gemacht. Pull­over für 7 Euro, Hosen für 6 Euro, Snea­k­er für 15 Euro – sol­che extre­men Bil­lig­prei­se erre­gen natür­lich Ver­dacht. „Wer bezahlt den Preis?“, frag­te unlängst die FAZ. Auf FUNK, dem Online Con­tent-Netz­werk von ARD und ZDF, haben sich die­se Woche über 900.000 den 18minütigen Shein-Ver­riss ange­schaut.

Tat­säch­lich igno­riert Shein so ziem­lich alles, was heut­zu­ta­ge im CSR-Hand­buch steht. Das Unter­neh­men ist so intrans­pa­rent wie die Ent­schei­dungs­pro­zes­se in der chi­ne­si­schen Par­tei­füh­rung. Nicht ein­mal, wem Shein gehört und wo es Büros hat, ist so rich­tig klar. Von Grün­der Chris Xu ist eben­so wenig bekannt, außer, dass er ein in den USA auf­ge­wach­se­ner Chi­ne­se ist. Shein hat sich bis­lang um Kri­tik nicht groß geschert. Das wird anders wer­den müs­sen, wenn das Unter­neh­men, wie bereits spe­ku­liert wur­de, dem­nächst an die Bör­se gehen soll­te. Seit kur­zem ist nun ein neu­er „Head of Envi­ron­men­tal, Social & Gover­nan­ce“ an Bord. Das dürf­te ein ziem­lich undank­ba­rer Job sein.

Kuri­os ist, dass Shein in Chi­na, wo die Pro­duk­ti­on statt­fin­det, kei­ne Pro­duk­te ver­kauft. Es han­delt sich um ein rei­nes Export-Modell. Das ist natür­lich eine schö­ne Poin­te. Denn die Chi­ne­sen, die über Jahr­zehn­te ledig­lich als Werk­bank aus­län­di­scher Brands fun­gier­ten, haben immer wie­der ver­sucht, eige­ne Mar­ken nach west­li­chem Vor­bild auf­zu­bau­en. Das hat nicht funk­tio­niert. Nun rol­len sie den Welt­markt trotz­dem auf, mit einem neu­en, tech­no­lo­gie­ba­sier­ten Geschäfts­mo­dell. Auch des­halb ist „Tik Tok der Mode“, als das Shein wegen des knal­li­gen Web­shops ger­ne titu­liert wird, ein pas­sen­der Ver­gleich.

Die Achillesferse des Shein-Modells sind die langen Lieferzeiten, erst recht in einem zunehmend an Same Day Delivery gewöhnten Konsum-Umfeld. Es ist deshalb gut möglich, dass damit Nearshoring attraktiver wird.

Shein ana­ly­siert Social Media-Posts, Such­ergeb­nis­se und die Web­sites der Kon­kur­renz und über­setzt die mit­tels künst­li­cher Intel­li­genz erkann­ten modi­schen Signa­le in Pro­duk­te. So gehen jede Woche Tau­sen­de neu­er Arti­kel online. Die­se wer­den im Web­shop ange­tes­tet und bei ent­spre­chen­der Nach­fra­ge nach­ge­zo­gen. Eine hoch­fle­xi­ble Pro­duk­ti­on ermög­licht die schnel­le Ska­lie­rung. Es ist im Prin­zip die alte Arbeits­wei­se der Kata­log­ver­sen­der, nur nicht mit gedruck­ten Test­ka­ta­lo­gen und risi­ko­aver­ser Nach­dis­po­si­ti­on, son­dern online in größt­mög­li­cher Echt­zeit.

Direct 2 Con­su­mer (D2C) ist der­zeit eine der Lieb­lings­phra­sen der Bran­che. Immer mehr Mar­ken suchen den direk­ten Weg zum Ver­brau­cher, was auch mit dem wach­sen­den Online-Geschäft zusam­men­hängt. Das D2C-Kon­zept wird bald über­holt sein, soweit allein ein alt­her­ge­brach­tes Push-Den­ken dahin­ter steht. Letz­te­res kön­nen sich nur ech­te Mar­ken im Luxus­be­reich und weni­ge ton­an­ge­ben­de Trend­set­ter leis­ten. Im Mas­sen­markt wird Cus­to­mer 2 Manu­fac­tu­rer (C2M) rele­vant wer­den. Shein ist der Pio­nier für ein sol­ches Pull-Modell, die ers­ten Klo­ne wie z.B. Ally­li­kes sind bereits am Markt, und auch Mode­rie­sen wie H&M befas­sen sich mit den Mög­lich­kei­ten.

Natür­lich kann die­ses Kon­zept sei­ne Stär­ken im Fast Fashion-Bereich beson­ders gut aus­spie­len, denn hier ist der Trend­wech­sel häu­fig und das Bud­get der Ziel­grup­pe begrenzt; wer viel Mode kon­su­miert, kann zwangs­läu­fig nicht so viel für ein Teil aus­ge­ben. Aber es wird nicht auf die­ses Markt­seg­ment beschränkt blei­ben. So wie das ver­ti­ka­le Geschäfts­mo­dell der Fast Fashion Anbie­ter die Arbeits­wei­se der gesam­ten Indus­trie ver­än­dert hat, wird das C2M-Modell von Fas­ter Fashion brei­te Anwen­dung fin­den und eine nach­fra­ge­ge­rech­te­re und damit Über­hän­ge ver­mei­den­de und Resour­cen scho­nen­de Pro­duk­ti­on ermög­li­chen. Viel­leicht hat Shein damit – ohne das zu beab­sich­ti­gen – eine Blau­pau­se für ein nach­hal­ti­ge­res Geschäfts­mo­dell für das Mode­busi­ness geschaf­fen. Müs­sen nur noch Sozi­al- und Umwelt­stan­dards Beach­tung fin­den.

Das Kon­zept ent­fal­tet sei­ne vol­len Mög­lich­kei­ten frei­lich online. Läden sind ein ver­gleichs­wei­se unfle­xi­bles User Inter­face. Aber auch die Sta­tio­nä­ren wer­den digi­ta­le Tools für effi­zi­en­te­re Pla­nungs- und Pro­dukt­ent­wick­lungs­pro­zes­se nut­zen kön­nen. Die Achil­les­fer­se des Shein-Modells sind auf der ande­ren Sei­te die lan­gen Lie­fer­zei­ten, erst recht in einem zuneh­mend an Same Day Deli­very gewöhn­ten Kon­sum-Umfeld. Es ist des­halb gut mög­lich, dass damit Near­sho­ring – also eine absatz­markt­na­he Pro­duk­ti­on – wie­der attrak­ti­ver wird. Indi­tex nutzt seit jeher Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten auf der ibe­ri­schen Halb­in­sel, um tren­d­re­ak­ti­ons­fä­hig zu sein, und auch ein Boo­hoo hat die tra­di­ti­ons­rei­che Tex­til­in­dus­trie in Mit­tel­eng­land für sich ent­deckt (wenn auch nicht so, wie CSR-Mana­ger sich das wün­schen). Wer wie ein Mey, ein Marc Cain oder ein Tri­gema noch über Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten hier­zu­lan­de ver­fügt, soll­te sich jeden­falls zwin­gend mit den Chan­cen aus­ein­an­der­set­zen, die in die­sem The­ma lie­gen.

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