Die Pandemie hat die Modeindustrie getroffen, keine Frage. Das Modesystem ist indes intakt geblieben. Im Gegenteil wurden viele Entwicklungen – Achtung: Binse! – durch Corona gar beschleunigt.
So hat die Vertreibung der Konsumenten ins Internet den Aufstieg eines Fast Fashion-Giganten wie Shein begünstigt, der mit seinen Billigstpreisen die Sustainability-Strategien der Industrie verhöhnt (der Spiegel hat diese Woche einen lesenswerten Beitrag über das TikTok der Mode gebracht). Und am anderen Ende der Preisspanne hat es die Marketing-Gigantomie der Luxury Brands befeuert. So dreht sich das Modekarussell jetzt schneller denn je. „The Great Fashion Show Boom“, schreibt BoF anlässlich der Haute Couture-Schauen in Paris. Acht Shows hat allein Dior in diesem Jahr bereits veranstaltet, Chanel und Louis Vuitton bereits fünf.
Als der Modezirkus im Frühjahr 2020 eine Vollbremsung hinlegen musste, hofften viele darauf, dass das Business zur Besinnung kommen würde. Von einer Entschleunigung des Fashion-Systems war da die Rede. Zahlreiche Branchengrößen, darunter z.B. Dries van Noten und Marine Serre, die Chefs von Bergdorf Goodman, KadeWe und La Rinascente sowie die CEOs von Jil Sander, Acne und Mytheresa, schrieben einen offenen Brief, in dem sie einen fundamentalen Wandel anregten. „Die Pandemie bietet uns die Gelegenheit, unser Geschäft zu vereinfachen und damit mit Blick auf die Umwelt und das Soziale nachhaltiger werden zu lassen.“
Auch Giorgio Armani mahnte in einem Interview, weniger zu machen, aber besser. "Während wir darauf warten, zur Normalität zurückzukehren, können wir über die Fehler nachdenken und versuchen, eine bessere Zukunft aufzubauen." Und manch einer hoffte, künftig mehr Zeit und Muße zu haben. So begründete Alessandro Michele die Absage seiner Show im Mai 2020 damit, „eine Taktung zurückzugewinnen, die meiner expressiven Berufung näher kommt.“
Längst wird der Erfolg einer Fashion Show vor allem an der Social Media-Reichweite gemessen. Und weniger an der Qualität der Entwürfe.
Das alles war bestenfalls naiv. Was bei den Kreativen Wunschdenken auslöste, war für Bernard Arnault und Francois Pinault am Ende nur ein Boxenstopp im Rennen um die höchste Begehrlichkeit. Man behalf sich mit digitalen Events. Jetzt nach der Pandemie treibt man es offline umso doller. Schon die Messen erlebten einen Aufschwung. Und in Paris war der Kampf um die Frontrow härter denn je. „Echte Luxusmode kann – wie guter Sex – nur live bewusst wahrgenommen werden“, schreibt Godfrey Deeny dazu in FashionNetwork. Die Angst vor einer neuen Corona-Welle im Herbst führe zu vorauseilender Feierlust, mutmaßt Alfons Kaiser in seinem FAZ-Bericht: „Der Champagner scheint noch besser zu schmecken als früher.“
Aber so wie es Champagner längst bei Aldi gibt, pflegen viele große Marken nur noch den Mythos von Exklusivität. Kering hat als Umsatzziel für Gucci 15 Milliarden Euro ausgegeben. Das ist weit mehr als doppelt so viel wie Primark umsetzt. Die Co-ops mit Adidas und die Kollektion mit Harry Styles zeigen, dass die Marke längst den Massenmarkt adressiert. Da ist sie dann in bester Gesellschaft mit Louis Vuitton, Rolex & Co, die natürlich Luxus sind, einen Gutteil ihres Umsatzes aber mit Produkten machen, die für Besserverdienende, die das wirklich wollen, durchaus noch erschwinglich sind.
Die Gesetze der Aufmerksamkeitsökonomie zwingen die großen Brands, die Dosis stets zu steigern. Und natürlich sind Modenschauen für Modemarken dabei das Mittel der Wahl. Längst wird der Erfolg einer Fashion Show vor allem an der Social Media-Reichweite gemessen und weniger an der Qualität der Entwürfe.
Bestes Beispiel ist Balenciaga (von Alfons Kaiser in der FAZ-Haute Couture-Berichterstattung übrigens ignoriert). SZ-Redakteurin Tanja Rest sah in Demnas jüngstem Aufschlag nicht weniger als die Zukunft der Mode: „Keinen einzigen der gezeigten Looks für Tausende, Zehntausende von Euro hätte man in das eigene Leben integrieren wollen. Must have-Potenzial: Null. (…) Die Zukunft der Mode war dies insofern, als die Show Gefühle weckte, die über die Mode selbst hinauswiesen. Existenzielle Gefühle.“
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