Matthias horx vyh

„Die Zeit des Greenwashing ist vorbei“

Die Corona-Krise zerstört ganze Branchen, andere werden zu extremen Veränderungen gezwungen, stellt Matthias Horx im SUITS. Talk mit Sabine Spieler fest. Wir bekommen einen starken ökologischen Shift, so der Trendforscher, Corona sei die „Scharnierkrise“ zur postfossilen Revolution. „Die Zeit des Greenwashing ist vorbei, es wird jetzt wirklich ernst. Mit der Verantwortung für die Zukunft, nicht nur fürs eigene Geschäft.“

In Ihrem aktu­el­len Zukunfts­re­port schrei­ben Sie, dass wir durch Coro­na unse­re Kom­fort­zo­ne hin­ter uns gelas­sen haben und dass das kei­ne schlech­te Bot­schaft sei. Wie sol­len wir das ver­ste­hen?

Wenn man von heu­te zurück auf unser altes Nor­mal schaut, führt es sich plötz­lich fremd an, eigent­lich gar nicht "nor­mal". Es kün­dig­ten sich vor Coro­na längst auf brei­ter Front Brü­che an. Die Glo­ba­li­sie­rung spitz­te sich zu, das media­le Sys­tem erzeug­te immer mehr Irr­sinn, unser Tem­po wur­de immer schnel­ler. Kri­sen legen etwas frei, was vor­her schon sicht­bar ist, aber noch ver­bor­gen bleibt. Kri­sen legen die Wahr­heit offen. Sie wir­beln alles durch­ein­an­der. Aber sie eröff­nen auch neue Mög­lich­keits­räu­me für alle Bran­chen.

Aktu­ell befin­den wir uns mit­ten im zwei­ten Lock­down. Shop­ping ist unmög­lich. Wie wird sich das auf die Kon­sum­lust danach aus­wir­ken?

Die bri­ti­sche Wochen­zei­tung The Eco­no­mist hat die The­se auf­ge­stellt, dass die alte Wirt­schaft nach der Pan­de­mie bis zu 90 Pro­zent wie­der her­ge­stellt wird. Zehn Pro­zent der Fir­men, auch der gro­ßen Brands,  wer­den vom Markt  gehen. Ich gehe eher von 20 Pro­zent aus. Die Coro­na-Kri­se hat über ver­schie­de­ne Wege in die dunk­len Sei­ten des Kon­sum­sys­tems geleuch­tet. Sie hat unser Unbe­ha­gen an Exzes­sen des Kon­sums viel sicht­ba­rer, emo­tio­na­ler gemacht. Sie zer­stört gan­ze Bran­chen, ande­re wer­den zu star­ken Ver­än­de­run­gen gezwun­gen. Durch die­se Kri­se bekom­men wir einen star­ken öko­lo­gi­schen Shift, Coro­na ist die "Schar­nier­kri­se" zur post­fos­si­len Revo­lu­ti­on.

Mat­thi­as Horx, Trend- und Zukunfts­for­scher (www.horx.com), Fotos: Klaus Vyhna­lek (www.vyhnalek.com)

Durch den Lock­down wird es zu Schlie­ßun­gen im Ein­zel­han­del kom­men. Ist die befürch­te­te Ver­ödung der Innen­städ­te unaus­weich­lich?

Die Ent­wick­lung war ja auch vor­her nicht gera­de gesund.  Es gab zu vie­le mono­to­ne Ket­ten und ein Über­an­ge­bot an Tex­ti­li­en. In Zukunft wer­den Läden real-digi­tal, das heißt sowohl online als auch off­line agie­ren. Wir brau­chen dann weni­ger Laden­flä­che, wir wer­den auch 20 Pro­zent weni­ger Büro­raum brau­chen, weil sich die Arbeits­for­men ver­än­dern, und wir sehen auch einen deut­li­chen Rück­gang des Zuzugs in Groß­städ­te in den nächs­ten Jah­ren, viel­leicht sogar Jahr­zehn­ten. Das wird die Groß­städ­te auch ein Stück lebens­wer­ter, luf­ti­ger machen kön­nen, mit mehr Grün und Lebens­qua­li­tät. Auch mit mehr Ein­kaufs-Qua­li­tät.

Die Fra­ge ist, wel­che Kon­sum-Ent­wick­lun­gen blei­ben, wenn wir in die­sem Jahr die Pan­de­mie hof­fent­lich durch den Impf­stoff in den Griff bekom­men. Wird sich die Macht der Gewohn­heit nicht durch­set­zen?

Das wird oft behaup­tet, aber je län­ger die Kri­se anhält, des­to mehr wer­den Men­schen mit exis­ten­ti­el­len Erfah­run­gen und Fra­gen kon­fron­tiert. Wir ver­än­dern uns selbst. Die Kri­se "fasst uns an", und das gilt quer zu den sozia­len Schich­ten. Sicher wird es eine Grup­pe von Men­schen geben, die nach dem Abflau­en eine Art Kon­sum-Kom­pen­sa­ti­on betreibt, nach dem Mot­to: Jetzt aber erst recht. Aber das wird nir­gend­wo­hin füh­ren, denn die Wei­chen sind längst gestellt. Der obs­zes­si­ve Hedo­nis­mus, der die letz­te Kul­tur­pha­se geprägt hat, neigt sich dem Ende zu. Tief­en­kri­sen wie Coro­na lösen tie­fe Welt­bild-Ver­än­de­run­gen aus, "Seman­tic Shifts" in den Tie­fen­la­gen der Gesell­schaft.

Man kommt mit den Vor-Corona-Methoden einfach nicht mehr weiter.  Unternehmensführung in Zukunft ist Führung zum Purpose – es geht um die Frage, zu welchen Zukunfts-Fragen ein Unternehmen einen echten Beitrag leistet.

Was bedeu­tet das für Unter­neh­men? 

Ganz vie­le Fir­men fan­gen jetzt wirk­lich, ihre Wert­schöp­fungs­mo­del­le kon­se­quent zu beden­ken, sich zu Umwelt­the­men zu com­mit­ten, zu kon­se­quen­ten CO2-Zie­len, zu neu­en Zie­len. Die Zeit des Green­wa­shing ist vor­bei, es wird jetzt wirk­lich ernst. Mit der Ver­ant­wor­tung für die Zukunft nicht nur fürs eige­ne Geschäft.

Wird damit auch Unter­neh­mens­füh­rung neu defi­niert?

Die alten Füh­rungs­kräf­te, die nach dem Mot­to: ‚Augen zu und durch‘ auf Hal­ten spie­len, tre­ten ab – beson­ders in den "schwie­ri­gen" Bran­chen wie Auto­mo­bil, Tou­ris­mus, auch Fashion. Man kommt ein­fach mit den Vor-Coro­na-Metho­den nicht mehr wei­ter.  Unter­neh­mens­füh­rung in Zukunft ist Füh­rung zum Pur­po­se – es geht um die Fra­ge, zu wel­chen Zukunfts-Fra­gen ein Unter­neh­men einen ech­ten Bei­trag leis­tet.

Wel­che Kon­se­quen­zen hat das für Team­geist und Mit­ar­bei­ter?

Die ech­te Visi­on, der Sinn und Zweck eines Unter­neh­mens wird noch ent­schei­den­der. Um die rich­ti­gen Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter zu fin­den und zu hal­ten, ist ein Umden­ken erfor­der­lich: weg von Human Resour­ces hin zu Human Rela­ti­ons.

Eines der Unter­ka­pi­tel aus Ihrem Zukunfts­re­port 2021 heißt: Dan­ke, Trump. Der Nut­zen des Trum­pis­mus. Kön­nen Sie kurz skiz­zie­ren, was Sie damit mei­nen?

Trump hat uns in einer unfass­bar dras­ti­schen Wei­se vor Augen geführt, was pas­siert, wenn ein nar­zis­ti­scher Cha­rak­ter sich der Echt­zeit­me­di­en bedient und damit die Gesell­schaft spal­tet und in ungüns­ti­ge Erre­gungs­zu­stän­de führt. Wenn er noch vier Jah­re wei­ter­ge­macht hät­te, wäre irgend­wann die­se Illu­si­on zusam­men­ge­bro­chen. Es ist wich­tig, dass wir das destruk­ti­ve Wesen des Popu­lis­mus wirk­lich ver­ste­hen, und Trump war da wie ein Bil­der­buch­clown.

Apro­pos Spal­tung. Im Umgang mit Coro­na gehen die Mei­nun­gen auch hier­zu­lan­de aus­ein­an­der. Auch ich habe das Gefühl, dass die Gesell­schaft mit­un­ter gespal­ten ist.

Es gibt wüten­de Rän­der, aber das ist kei­ne Spal­tung wie in den USA. Zah­len bele­gen, dass die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung einen ver­nünf­ti­gen wis­sen­schaft­li­chen Zugang zur Pan­de­mie hat. 70 bis 80 Pro­zent sind mit der Arbeit der Bun­des­re­gie­rung ein­ver­stan­den, auch jetzt noch. Sol­che Zah­len hat­ten wir seit 20 Jah­ren nicht. Außer­dem gibt es einen para­do­xen Rebound-Effekt der Coro­na-Leug­ner. Je mehr Coro­na-Geg­ner ihre schrä­gen The­sen auf die Stra­ße tra­gen und sich mit Neo­na­zis ver­bün­den, umso mehr wis­sen die Men­schen zu schät­zen, was sie an einer demo­kra­ti­schen Kul­tur und Gesell­schaft haben. Das war zum Bei­spiel auch in den 70er und 80er Jah­ren mei­ner Jugend so: Je mili­tan­ter die Stu­den­ten­pro­tes­te wur­den, des­to mehr form­te sich eine Alli­anz der Mit­te und Ver­nunft in der Gesamt-Gesell­schaft.

Sie schrei­ben auch, dass 2021 Unter­neh­men ihre Wer­te­sys­te­me neu defi­nie­ren müs­sen. Was bedeu­tet das für Mode­fir­men?

Mode ver­kauft Jugend­lich­keit, Ero­tik, Kör­per­ge­stal­tung, sie ist letz­ten Endes ein wich­ti­ger Teil unse­rer Kul­tur. Aber jetzt gilt es, auch über den Rand der Bran­che zu bli­cken und sich zu fra­gen, was die Mate­ria­li­en mit der Umwelt machen, und in wel­chen kul­tu­rel­len Kon­tex­ten Mode viel­leicht auch schwie­ri­ge Effek­te erzielt. Ich erin­ne­re mich an die Mager­sucht-bei Models-Debat­te. Es gibt neben ästhe­ti­schen immer mehr auch ethi­sche Fra­gen.

Wenn die Pandemie nicht gekommen wäre, hätte etwas anderes ähnliche Effekte erzielt. Wir haben in so vielen Wirtschaftsbereichen Marktsättigungen und fatale Preiskämpfe.

Wür­den Sie sagen, dass es Nischen­brands unter öko­lo­gi­schem Aspekt leich­ter haben als Big Play­er? 

Das ist immer ein Katz- und Maus­spiel, in allen Bran­chen. Ein Rie­sen­kon­zern wie Zara oder H&M zer­legt sich in ganz vie­le Brands, man­che die­ser Sub­brands gehen in Öko­tex­ti­li­en ohne Ende. Aber wie in der Food-Bran­che kom­men die kon­se­quen­ten Inno­va­tio­nen tat­säch­lich aus der Start­up-Sze­ne. Eigent­lich haben wir eine sehr inno­va­ti­ve Zeit.

Das klingt, als gewän­nen Sie Coro­na durch­aus etwas Posi­ti­ves ab?

Kri­sen bie­ten gene­rell die Mög­lich­keit, Raum zu öff­nen für das, was bis­lang unter Rou­ti­nen und fla­chem Den­ken ver­schwand, was nicht heißt, dass ich die Pan­de­mie "gut" fin­de. Es ist nur so: Wenn die Pan­de­mie nicht gekom­men wäre, hät­te etwas ande­res ähn­li­che Effek­te erzielt. Wir haben in so vie­len Wirt­schafts­be­rei­chen Markt­sät­ti­gun­gen und fata­le Preis­kämp­fe. Den­ken Sie etwa an die Fleisch­bran­che, was da abläuft.

2021 ist für Sie das Jahr der Ent­schei­dun­gen. War­um?

In die­sem Jahr­zehnt ent­schei­det sich, ob wir es schaf­fen, die Erd­er­hit­zung zu mode­rie­ren. Durch die Tief­en­kri­se, in der wir uns befin­den, erle­ben wir Ver­än­de­run­gen in all unse­ren Lebens­be­rei­chen, in Poli­tik, Gesell­schaft, Wirt­schaft, unse­rer Wer­te­ebe­ne. Jetzt stel­len sich die Wei­chen. Wol­len wir wie­der ins alte fal­sche Nor­mal oder in eine bes­se­re Rich­tung?

Was sind für Sie die Schlüs­sel­fra­gen für das neue Jahr?

Wie machen  wir unse­re Gesund­heits­sys­te­me adap­ti­ver, wie kön­nen wir unse­re öko­no­mi­schen Sys­te­me umbau­en in eine bes­se­re, huma­ne­re, eben zukünf­ti­ge­re Rich­tung? Wie machen wir die post­fos­si­le Wen­de sexy, attrak­tiv und lukra­tiv, so dass wir nicht dau­ernd nur Angst vor Ver­zicht und Ein­schrän­kung haben? Wie codie­ren wir den gras­sie­ren­den Pes­si­mis­mus, die Zukunfts­feind­lich­keit in mehr Zuver­sicht um?

Was ist für Sie die größ­te Her­aus­for­de­rung?

Nicht die Ner­ven zu ver­lie­ren. Und zu ver­ste­hen, dass die Welt nicht so nega­tiv ist, wie die Medi­en uns das immer vor­gau­keln.

2021 ist das Jahr der Ent­schei­dun­gen. Das alte „Nor­mal“ ist end­gül­tig aus den Fugen gera­ten. Denn eigent­lich war es schon lan­ge ein „Unnor­mal“. Jetzt geht es um alles: Rebel­li­on, Demo­kra­tie, Glo­ba­li­sie­rung, unter­neh­me­ri­sche Ver­ant­wor­tung – und Frei­heit. In sei­nem Jahr­buch für gesell­schaft­li­che Trends und Busi­ness-Inno­va­tio­nen ana­ly­siert Mat­thi­as Horx mit aus­ge­wähl­ten Exper­ten und Zukunfts­for­sche­rin­nen die prä­gends­ten Ent­wick­lun­gen unse­rer Zeit und lie­fert gewohnt pro­vo­kan­te The­sen, die neue Per­spek­ti­ven auf die Welt eröff­nen.