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Brauchen wir Mode-Gesetze?

Aller Mahnrufe von Klimaschützern zum Trotz und wider jegliche Vernunft produzieren und konsumieren wir immer mehr Kleidung statt weniger. Die Regierungen haben lange tatenlos zugeschaut, aber greifen jetzt ein. Gesetze sollen die Industrie und Konsumenten in Zaum halten. Ist das der richtige Weg, fragt sich Barbara Markert.
Barbara markert
Bar­ba­ra Mar­kert

Das Pop-Up-Fens­ter kommt unver­mit­telt und mit­ten in der gemüt­li­chen Online-Shop­ping-Ses­si­on auf dem Sofa. Gera­de flim­mer­te da noch die neu­es­te Kol­lek­ti­on für den Som­mer 2027 des chi­ne­si­schen Fast­mo­de-Anbie­ters Shein über den Bild­schirm. Jetzt prangt da ein gro­ßer Bal­ken mit­ten über Klei­dern, Shorts und Blu­sen. Geo-loka­li­siert und alar­mie­rend, als ob man sich einen bösen Com­pu­ter-Virus ein­ge­fan­gen hät­te, ist dort zu lesen: „Sor­ry! Die­ser Shop ist in ihrem Land lei­der nicht ver­füg­bar.“ Das war’s dann mit dem Online-Ein­kauf. Zur Kon­kur­renz zu kli­cken, bringt nichts. Dort ist es genau­so.

An Bus­hal­te­stel­len zei­gen die Wer­be­ta­feln nun von der EU-finan­zier­te Pla­ka­te mit Bil­dern von tex­ti­len Müll­ber­gen in Accra statt wohl­ge­form­ter Super­mo­dels in den neu­es­ten H&M‑Bikinis. Zahl­rei­che Mode­ma­ga­zi­ne muss­ten ein­ge­stellt wer­den, als das Fast Fashion-Wer­be­ver­bot von Frank­reich auf die gan­ze EU über­tra­gen wur­de und den Zeit­schrif­ten die­se wich­ti­ge Ein­nah­me­quel­le weg­brach. Social-Media-PR-Agen­tu­ren begin­nen, Leu­te zu ent­las­sen. Eini­ge Influen­cer ver­kün­den stolz, dass es jetzt tren­dy sei, eine kauf­män­ni­sche oder hand­werk­li­che Aus­bil­dung zu machen.

Dafür ver­zeich­nen Second­hand-Spe­zia­lis­ten wie Vino­ki­lo neue Besu­cher-Rekor­de. Fast-Fashion-Läden sind weni­ger gewor­den, aber es gibt sie noch. Dort hängt an jedem Klei­dungs­stück nun das neue Tex­til-Ener­gie­la­bel mit den bun­ten Bal­ken von Grün über Gelb, Oran­ge bis Rot, das wir alle seit Jahr­zehn­ten von den Elek­tro­ge­rä­ten ken­nen. Meist zeigt der Ener­gie­aus­weis-Zei­ger der T‑Shirts, Jeans und Out­door-Jacken auf die unte­ren bei­den dun­kel­ro­ten Bal­ken. Das hat Kon­se­quen­zen auf den Preis. Bei einer schlech­ten Öko­bi­lanz wird ein Auf­schlag fäl­lig.

Die beschrie­be­ne Sze­ne­rie ist reins­te Fik­ti­on. Aber sie könn­te Rea­li­tät wer­den. In ganz Euro­pa regt sich Wider­stand gegen Über­pro­duk­ti­on, Über­kon­sum und die Müll­ber­ge vol­ler Klei­der. Und nicht nur da: Die star­ke Umwelt­be­las­tung durch Mode stand auch beim gera­de abge­schlos­se­nen G7-Gip­fel in Turin auf der Agen­da. Ange­regt durch Frank­reich, das sich seit gerau­mer Zeit als Vor­rei­ter bei die­ser The­ma­tik posi­tio­niert. Bereits seit Janu­ar 2022 ist dort das Ver­nich­ten von Neu­wa­re ver­bo­ten. Im März 2024 hat ein Geset­zes­an­trag gegen Ultra-Fast Fashion die ers­te legis­la­ti­ve Hür­de in der Assem­blée Natio­na­le genom­men. Es sieht

Dsc
Über­kon­sum und Über­pro­duk­ti­on: Muss der Gesetz­ge­ber ein­grei­fen?

so aus, als dass die­ses Gesetz auch die nächs­te Instanz mühe­los schafft. In Deutsch­land mit sei­nem star­ken Daten­schutz-Geset­zen ver­sucht man dem unlieb­sa­men chi­ne­si­schen Bil­lig­pro­duk­te-Anbie­ter Temu mit dem Vor­wurf „mani­pu­lier­ter digi­ta­ler Kauf­an­rei­ze“ einen Rie­gel vor­zu­schie­ben. In der Euro­päi­schen Uni­on ist vor weni­gen Wochen die Öko­de­sign-Richt­li­nie durch­ge­wun­ken wor­den, kurz nach­dem man sich nach Jah­ren der Dis­kus­si­on end­lich auf das Lie­fer­ket­ten­ge­setz geei­nigt hat­te. Ein euro­pa­wei­tes Ver­bot gegen Green­wa­shing in der Wer­bung gibt es bereits seit letz­tem Jahr.

All die­ses Regel­werk betrifft mehr oder min­der stark die Tex­til- und Beklei­dungs­in­dus­trie, aber ver­mehrt auch den Kon­su­men­ten. Nur hat der das noch nicht wirk­lich begrif­fen. Wie Lies­chen Mül­ler reagie­ren wird, wenn man ihr die Ultra-Fast Fashion weg­nimmt, kann man nicht vor­her­sa­gen. Aber dass Ver­brau­cher auf einen staat­lich vor­ge­schrie­be­nen Kon­sum­ver­zicht mit Pro­test reagie­ren, ist durch­aus mög­lich. Manch­mal reicht ein klei­ner Anlass bzw. eine lächer­li­che Ein­schrän­kung der per­sön­li­chen Frei­heit mit dem heh­ren Ziel, den Pla­ne­ten zu ret­ten, um eine Pro­test­be­we­gung aus­zu­lö­sen. Der Ursprung der Gelb­wes­ten-Demos in Frank­reich war ein Tem­po­li­mit von 90 auf 80 km/h auf Land­stra­ßen, und wenig spä­ter schwapp­te eine Wel­le der Wut und Ver­wüs­tung durchs Land.

Die Fra­ge ist: Brau­chen wir wirk­lich die­se gan­zen Mode-Regle­men­tie­run­gen und Anti-Kon­sum-Geset­ze? Bekom­men wir es nicht selbst hin, weni­ger und bes­ser zu shop­pen, bzw. bes­ser und mit weni­ger Über­hang zu pro­du­zie­ren? Schafft es der Markt nicht selbst, sich zu mehr Nach­hal­tig­keit zu regu­lie­ren? Kurz­um: Muss wirk­lich der Staat Ver­brau­cher und Indus­trie mit Ver­bo­ten und Geset­zen zur Ver­nunft brin­gen?

Die Kon­su­men­ten zei­gen ger­ne mit dem Fin­ger auf ande­re: Schuld sind die Fast Fashion-Her­stel­ler, die Händ­ler, die Wer­be­trei­ben­den, die Influen­cer… Doch Fakt ist auch, das alle die­se pro­fes­sio­nel­len Akteu­re bereits seit län­ge­rem im Visier der Gesetz­ge­ber sind. Für sie exis­tie­ren bereits Auf­la­gen, Ein­schrän­kun­gen und Rege­lun­gen. Die unbe­grenz­te Frei­heit ist längst vor­bei. Die Indus­trie weiß das und passt sich an. Spricht man mit Zara-Mana­gern über den Kli­ma­wan­del, bekommt man immer die glei­che Ant­wort: „Wir hal­ten uns immer an die neu­es­te Gesetz­ge­bung und wer­den die­se so schnell wie mög­lich in unse­ren Kol­lek­tio­nen umset­zen.“

Erstens ist der Vorwurf des Protektionismus nicht von der Hand zu weisen. Zweitens kostet die Umsetzung von Gesetzen Geld, was sich in höheren Preisen niederschlagen wird. Und drittens ist unsicher, ob allein mit Verteuerung auch wirklich der Überkonsum eingeschränkt werden kann.

Ganz so unnütz ist das Regel­werk also nicht. Alle Her­stel­ler, die nicht wirk­lich was mit Nach­hal­tig­keit am Hut haben, wer­den dank Gesetz dazu ver­don­nert, bes­ser zu pro­du­zie­ren, kei­ne Unwahr­hei­ten mehr über angeb­lich grü­ne Mode zu ver­brei­ten, kei­ne Lager­be­stän­de mehr zu ver­bren­nen etc. Wenn die unlieb­sa­me Bil­lig­kon­kur­renz aus Chi­na wirk­lich teue­rer oder sogar ver­bo­ten wird, kann dies durch­aus auch zum Vor­teil für hei­mi­sche Mar­ken wer­den. Aber: Ers­tens ist der Vor­wurf des Pro­tek­tio­nis­mus nicht von der Hand zu wei­sen. Zwei­tens kos­tet die Umset­zung der Geset­ze Geld, was sich in höhe­ren Waren-Prei­sen nie­der­schla­gen wird. Und drit­tens ist unsi­cher, ob allein mit Ver­teue­rung und Weg­fall bestimm­ter Anbie­ter auch wirk­lich der Über­kon­sum ein­ge­schränkt wer­den kann.

Wer­den irgend­wel­che Mar­ken oder Ver­kaufs­me­tho­den ver­bo­ten, erfin­den krea­ti­ve Mar­ke­ting-Mana­ger eben Neu­es, um die Shop­ping-Lei­den­schaft der Kund­schaft zu befrie­di­gen. Ein gutes Bei­spiel ist das chi­ne­si­sche “3‑Se­cond-Live­stream-Sel­ling”. Welt­weit bekannt wur­de es durch die Influen­ce­rin Zheng Xiang Xiang, die mit dem Ver­kauf bil­ligs­ter Mas­sen­wa­re, die sie für exakt drei Sekun­den in die Kame­ra hielt, in sie­ben Tagen angeb­lich über 12 Mio. Euro ver­dien­te. Die hüb­sche Chi­ne­sin im klei­nen Schwar­zen öff­ne­te mit rasen­der Geschwin­dig­keit und benei­dens­wer­ter Ele­ganz Kar­tons über Kar­tons in der Far­be des Luxus-Täsch­ners Her­mès, aus denen sie Poly­es­ter-Mor­gen­män­tel, Acryl-Socken, Spit­zen-BHs, Sham­poos und sogar Rega­le wie auch Hocker zau­ber­te. Das Geschäft flo­rier­te, bis der Social-Media-Kanal Douy­in (die chi­ne­si­sche Ver­si­on von Tik­tok) Zheng Xiang Xiang im wahrs­ten Sinn des Wor­tes im Novem­ber 2023 den Kanal abdreh­te. Seit­dem hat das 3‑Se­cond-Live­stream-Sel­ling sei­ne Front­frau und damit sei­ne Attrak­ti­vi­tät ver­lo­ren.

So was Ver­rück­tes gibt es nur in Chi­na? Na, da wäre ich mir nicht so sicher. Neue Shop­ping-Trends und ‑Inno­va­tio­nen kom­men und gehen, vie­le blei­ben. Ein­kau­fen war noch nie so ein­fach. Wir shop­pen inzwi­schen in Sekun­den auf Kre­dit (Klar­na), erlie­gen Influen­cern und Algo­rith­men, die uns im Netz genau das zum Kauf anbie­ten, was wir zuletzt gegoo­gelt haben, brau­chen nicht mal mehr einen Geld­beu­tel zum Ein­kauf, weil wir mit dem Han­dy zah­len, und las­sen uns von den soge­nann­ten „limi­t­ed drops“ zu Spon­tan­käu­fen hin­rei­ßen, weil wir kein Schnäpp­chen oder kei­ne Desi­gner-Cap­su­le-Kol­lek­ti­on ver­pas­sen wol­len (aktu­ell schon aus­ver­kauft: Man­go x Vic­to­ria Beck­ham, H&M x Rokh, Supre­me x Mai­son Mar­gie­la).

Gera­de geis­tert das „Doom Spen­ding“ durch die Medi­en. Doom heißt über­setzt „Schick­sal“ und kurz umris­sen geht es dar­um, dass Mil­le­ni­als und GenZ so von den aktu­el­len Kri­sen in der Welt über­for­dert und ver­ängs­tigt sind, dass sie sich ins Shop­ping ret­ten. Ein­kau­fen – und das wis­sen wir alle seit Jahr­zehn­ten – ist kurz­fris­tig gut für die Psy­che, es wer­den Feel­good-Hor­mo­ne wie Dopa­mi­ne und Endor­phi­ne aus­ge­schüt­tet, die uns die Kri­sen ver­ges­sen las­sen und unse­re Lau­ne heben. In den USA ist bereits ein Drit­tel der GenZ und fast die Hälf­te der Mil­le­ni­als die­sem Mecha­nis­mus erle­gen. Dass die­ses Ein­kaufs­ver­hal­ten kom­plett dem selbst pro­pa­gier­ten Umwelt­be­wusst­sein die­ser Gene­ra­tio­nen zuwi­der­läuft, muss man gar nicht mehr erklä­ren.

Wie sehr der Kon­sum unser Leben über­nom­men hat, hat auch Pata­go­nia in einem PR-Film namens „The Shit­tro­po­ce­ne“ the­ma­ti­siert. Ob die­ser Film nun als Selbst­kri­tik, Iro­nie oder Hypo­k­ri­sie zu deu­ten ist, las­se ich dahin­ge­stellt. Fakt ist: Noch nie wur­de mehr Klei­dung geshop­pt als jetzt. Mode war aber auch noch nie so bil­lig und so über­all und immer erhält­lich wie jetzt. Gegen die­se per­ma­nen­te Ver­füh­rung stand­haft zu blei­ben, ist aus Sicht der Ver­brau­cher nicht ein­fach. Manch­mal braucht es dazu viel­leicht dann doch eine Hil­fe­stel­lung von außen. Regeln, Geset­ze, Ver­bo­te ­ – das ist viel­leicht nicht sexy, aber even­tu­ell doch not­wen­dig. Wenn nicht zur Ret­tung des Pla­ne­ten, dann doch zum Erhalt und der För­de­rung einer nach­hal­ti­gen und ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten (und even­tu­ell auch hei­mi­schen) Mode­indus­trie.