In der Blogosphäre hat der Beitrag natürlich Wellen geschlagen. Bei Profashionals hat der Link auch ein paar Likes produziert. Dann hat sich Rebecca Casati sogar die Mühe gemacht, den Text aus der New York Times für die Wochenend-Ausgabe der SZ ins Deutsche zu übersetzen.
Modekritikerin Menkes: Mode unter dem Joch der PöbelherrschaftEs ist ja auch eine zutreffende Analyse: In "Pfauen in der Manege" rechnet Suzy Menkes mit dem Modezirkus ab, der von einem nur für Profis zugänglichen Hochamt der Mode zu einem Event der eitlen Selbstdarstellung von Amateuren geworden ist. "Es gab mal eine Zeit, da glichen wir Modemenschen einem Schwarm Krähen, uniformiert in Comme des Garcons oder Yohji Yamamoto. Wenn heute Modewoche ist, versammeln sich vor den Veranstaltungsorten keine Krähen mehr; mittlerweile sind es Pfauen, die dort, in siebzehnfach gemusterten Kleidern posierend, auf und ab stolzieren."
In der Arena der Modeprominenz würden heute vor allem jene gefeiert, die berühmt fürs Berühmtsein sind. Statt sachkundiger Analysen würden Geschmacksurteile kolportiert. Und die ganze Welt liest online mit. Einkäufer und Journalisten, die sich Modenschauen aus professionellen Gründen ansehen, stünden heute in Konkurrenz zu einer Art Online-Gerichtsbarkeit. "In gewisser Weise ist die Mode damit unter das Joch der Pöbelherrschaft geraten."
Modezirkus: Buntes Volk bei der Berlin Fashion WeekMenkes Analyse ist richtig. Aus dem wortgewaltigen Text trieft zugleich Larmoyanz. Ist es nicht schrecklich, dass all diese Amateure mitreden dürfen? Am Ende wünscht sich Menkes, die Schauen an einen geheimen Ort zu verlegen, wo man unter sich ist, und der Online-Pöbel draußen bleiben muss. So wie früher.
Dazu wird es nicht kommen.
Denn wozu sind die Modenschauen da? Am allerwenigsten fürs Feuilleton.
Mode ist für die meisten Menschen ein Gebrauchsartikel. Man nutzt sie zu Identifikations- und Distinktionszwecken. Man könnte auch sagen: es geht darum, sich und anderen zu gefallen. Für die interessierte Masse ist Modeberichterstattung Unterhaltung, bestenfalls Lebenshilfe: Wer trägt was? Was steht wem? Wo geht's lang?
Dann gibt es gar nicht mal so wenige Menschen, für die Mode ein Geschäft ist: in der Industrie, im Handel, in den Medien. Die sind auch an Trends interessiert, vor allem aber daran, wie sich diese zu Geld machen lassen.
Nur eine Minderheit betrachtet Mode als Kulturphänomen oder gar als Kunst. Für letztere schreibt die studierte Literaturwissenschaftlerin und Esmod-Absolventin Menkes aber in erster Linie.
"Es ist nicht gut, weil es Dir gefällt, sondern es gefällt Dir, weil es gut ist", lautet ihr journalistisches Mantra. Mode kritisieren heißt in diesem Sinne, Entwürfe an Anspruch und Entwicklung eines Designers zu messen und dies bestenfalls auch noch im Kontext mit anderen Designern, modischen Trends oder gar dem Zeitgeist zu tun. Um sich der Mode auf diese Weise zu nähern, braucht es Bildung und Erfahrung. Menkes' Auseinandersetzung mit Mode wird von vielen geschätzt, weil sie dieses Wissen eben hat und in ihren Beiträgen vermitteln kann.
In der ersten Reihe sitzt sie aber auch nur, weil ihre Artikel im International Herald Tribune und der New York Times eine weltweite Verbreitung finden. Schriebe Menkes lediglich Vorwörter für Ausstellungskataloge, und seien sie noch so brillant, sie müsste in Paris und Mailand draußen bleiben.
Die Modeindustrie will keine Modekritik, sondern Modepromotion. Und da zählt vor allem Reichweite. Wenn Bryanboy mit seinem Gelaber genauso viele Menschen erreicht wie Suzy Menkes, sitzt er halt neben ihr. So einfach ist das.
Posing: Es geht bei den Designerschauen schon lange nicht mehr ausschließlich um ModeEs geht bei den Schauen ohnehin schon lange nicht mehr ausschließlich um Mode. Sondern mindestens ebenso um Marketing und Branding. Paris und Mailand sind für Yves Saint Laurent und Armani, was die Olympischen Spiele für Adidas und Nike darstellen: Geschichten-trächtige Bühnen, die einen Imagetransfer auf ansonsten nicht selten profane Produkte ermöglichen. Hennes & Mauritz hat sich neulich in Paris dieses Mechanismus' bedient. Der Kopist in einem Line-up mit den angeblichen Originalen – das entbehrte nicht der Ironie.
Die Exklusivität, die bei den Schauen rituell gepflegt wird, ist zudem hohl. Die Fotos der Kollektionen gibt es Minuten danach bei style.com oder anderen Online-Plattformen. Burberry und Hugo Boss übertragen ihre Shows gleich via Live Stream ins Netz. Sie werden nicht die letzten sein. Wenn Tom Ford Blogger und Fotografen von seiner Schau in New York fern hält, dann steht dahinter nur scheinbar eine medienkritische Verweigerungshaltung, sondern das soll im Gegenteil den Hype anheizen. Was ihm auch bestens gelungen ist.
Globaler Laufsteg: Hohle ExklusivitätMan kann diese Entwicklung natürlich mit Menkes beklagen. Das ändert aber nichts. Das Internet ist nunmal ein globaler Laufsteg. Übers Web verbreiten sich Trends heute schneller als früher, zugleich verkürzt sich deren Halbwertszeit, wahrscheinlich gibt es auch eine globale Angleichung von modischen Entwicklungen. Wenn Mode früher vielleicht mal das Ergebnis einer kreativen Einzelleistung war, die über elitäre Zirkel langsam in die Gesellschaft diffundierte, gilt spätestens seit den 60er Jahren zunehmend das Gesetz der Straße. Mode ist massenfähig geworden, und mehr als das, was sich ein Designer in Paris ausdachte, gilt, was die Freunde auf dem Schulhof und abends im Club tragen. Fast Fashion-Anbieter wie H&M und Zara förderten diese Demokratisierung der Mode und verdienen bestens daran.
Mit dem Internet nehmen wir jetzt die nächste Stufe. Der modische Meinungsbildungsprozess verlagert sich von den Produzenten, Händlern und Modemedien immer stärker hin zu den Konsumenten. Auf Plattformen wie Stylefruits und Stylight findet eine permanente Abstimmung über das richtige Outfit statt. Auf Pinterest legen User ihre persönlichen Bildwelten an und damit individuelle Stilpräferenzen offen. Fashion-Blogger lassen ihrem Mitteilungs- und Selbstdarstellungsdrang freien Lauf. Was sonst außer ihrem eigenen Geschmack sollen sie zum Maßstab nehmen?
Wer sich – wie Menkes – kritisch zu dieser Entwicklung äußert, setzt sich dem Verdacht aus, ein Kulturpessimist, wenn nicht gar ein Neider mit eigener Agenda zu sein. Und riskiert, einen Shitstorm zu provozieren. So ging es etwa dem Werber Jean-Remy von Matt, als er die Blogs vor Jahren als „Klowände des Internets“ bezeichnete. Dabei ist unbestreitbar, dass im Web – um im Bild zu bleiben – auch unglaublich viel Scheiß produziert wird. Journalisten ätzen über „loser generated content“. Der ist leider Gottes mittlerweile auch in vielen Lokalzeitungen zu finden. Und bei so renommierten Blätter wie der FR oder der FTD – RIP! Aber ich schweife ab…
In der Lebensphase, in der die meisten Blogger stecken, ist Mode ein Thema von hohem Stellenwert. Deshalb gibt es so viele Fashion-Blogs, und aus demselben Grund finden diese auch ihr Publikum. Das ist zunächst mal ungeheuer positiv und zeigt die hohe Relevanz, die Mode für viele Menschen hat. Mit Sicherheit wurde niemals zuvor soviel von so vielen über Mode veröffentlicht. Und vielleicht sogar gelesen.
Ich sage bewusst: vielleicht. Unter Mode-Profis wird wahrscheinlich immer noch mehr über Blogs geredet, als dass diese wirklich angeschaut werden. Es steckt eine gehörige Portion Hype in dem Thema. Mode-Menschen finden halt per se alles gut, was neu ist.
Dass das Marketing die Blogger liebt, ist ebenso nachvollziehbar. Sie schreiben schnell und auf Augenhöhe ihrer Zielgruppe. Und nicht von oben herab wie manche Journalisten. Da wird getratscht wie unter besten Freundinnen. Da gibt es keine journalistischen Relevanzfilter, in denen sich Werbebotschaften verfangen können. Da sind Modebegeisterte am Werk, die häufig gar nicht anders können, als zu loben. Und die Tausenderkontaktpreise sind unschlagbar günstig.
Fashion-Bloggerin: Neue Konkurrenz aus dem InternetDie neue Konkurrenz aus dem Internet verändert die Modemedien-Landschaft. Es sind ja nicht nur die mehr oder weniger sachverständigen Blogger. Auch der Online-Retailing-Boom gebiert massenhaft neue, professionell gemachte Medienangebote, die um die Aufmerksamkeit der Konsumenten buhlen. Net-a-porter beispielsweise ist genauso ein Web-Kaufhaus wie ein Modemagazin; der CEO nennt sich dort Editor in Chief.
Die Verlage reagieren auf diese Entwicklung immer noch vielfach hilflos. Die Übertragung der Medien-Marken ins Internet, auch wenn sie noch so gut gemacht sind, ist allein nicht die Lösung. Denn die Geschäftsmodelle werfen im Web nicht annähernd die Deckungsbeiträge ab wie in Print. Die braucht es aber, um professionell arbeitende Redaktionen zu finanzieren.
Deshalb entwickeln die Medienhäuser neue Geschäftsfelder – brigitte.de, Cover und harpersbazaar.com sind längst auch Online-Stores. Und sie investieren in andere Unternehmen. Burda beispielsweise ist Mehrheitsaktionär bei Xing und mit Zooplus die Nummer 1 im Online-Tierfutter-Handel. Burda-Kapital steckt auch in den OnlineRetailern Mytheresa und Frontlineshop. Gruner & Jahr stieg erst diese Woche beim Online-Start-up Tausendkind ein. Conde Nast investierte unlängst Millionen in den Mode-Marktplatz Farfetch, steckte Geld in den Online-Schmuck-Händler RenéSim und den Designshop Monoqi und ist am Kleiderverleih Rent the Runway beteiligt. In den USA hat man gerade gemeinsam mit Macy‘s eine Teen Vogue-Modekollektion gelauncht.
Der Königsweg für die Verlage ist, ihre bestehenden Kundenbeziehungen für neue Geschäfte zu nutzen. Die Integration von Community, Content und Commerce. Mit ihren Medien kontrollieren sie den Zugang zu Zielgruppen und damit einen Schlüsselfaktor, wenn es darum geht, neue Marken und Services zu etablieren: Brands4friends beispielsweise konnte nur durch die Unterstützung des sozialen Netzwerks StudiVZ so schnell wachsen; an beiden Unternehmen war die Holtzbrinck-Gruppe beteiligt. Der rasante Aufstieg von Zalando gelang insbesondere mit der aufsehenerregenden Werbung. Kein Venture Capital-Geber hätte die dreistellige Millionensumme aufgebracht, mit der die Marke in die Köpfe gehämmert wurde. Das hat ProSiebenSat1-Gruppe erledigt, die statt Werbegeld Umsatzanteile erhielt.
Den Verlagen bleibt für den Umbau ihrer Geschäftsmodelle nicht unbegrenzt Zeit. In dem Maße, wie die Medienvielfalt zunimmt, verlieren die etablierten Medienmarken an Bindungskraft in ihren Communities.
Die Nöte der Medienhäuser können der Markenindustrie egal sein. Natürlich besteht dort die Sorge, dass im Netz über ihre Produkte hergezogen wird und die mit viel Geld und Gehirnschmalz aufgebauten Markenimages von unbedarften Laien beschädigt werden könnten. Diese Angst ist im real existierenden Online-Mode-„Journalismus“ aber meist unbegründet. Mit der neuen Medienvielfalt und den Bloggern ändert sich zwar das gewohnte Zusammenspiel mit den Medien. Die Spielregeln bleiben aber dieselben.
Die meisten Hochglanz-Magazine gelten nicht gerade als Bastionen des unabhängigen Journalismus. Sie sind vor allem Verkaufsförderungs-Prospekte der Markenindustrie. Was an sich nichts Verwerfliches ist, die mediale Glaubwürdigkeit aber nicht unbedingt stärkt. Da müssen die Anzeigenkunden in den Produktionen bedient werden. Da lächeln die Kommunikationschefs nicht zufällig von den People-Seiten. Da gibt es Berater- und Styling-Aufträge für die Redakteure. Nur selten zeigt der industriell-journalistische Komplex seine hässliche Fratze so offen wie vor zweieinhalb Jahren in Paris: Bei Ungaro spazierte die Modechefin der japanischen Vogue, Anna Dello Russo, über den Laufsteg. Wenn sie jetzt schon aus Reihe Eins verdrängt werden, ist der Schritt auf den Catwalk für die um Bedeutung bangenden Redakteurinnen vielleicht ein Ausweg.
Journalistisch-industrieller Komplex: Anna Dello Russo bei UngaroZu glauben, dass der Aufstieg der unabhängigen Blogger den Anfang vom Ende der Käuflichkeit markiert, ist dennoch naiv. Die meisten wollen gar nicht unabhängig sein. In den Genuss von Einladungen und Geschenken oder wenigstens von Aufmerksamkeit zu kommen, ist für manchen Blogger die Hauptmotivation. Der Industrie ist das recht, das nennt sich dann Social Media Marketing.
Die Blogs sind für viele Autoren zudem das Sprungbrett für eine Business-Karriere. Julia Knolle, Mitbegründerin des erfolgreichen Modeblogs LesMads arbeitet inzwischen für vogue.de, ihre ehemalige Partnerin Jessica Weiß startete nach einem Ausflug zum Magazin Interview ihr neues Projekt Journelles und tritt seit Neuestem als Mode-Ratgeberin beim TV-Sender EinsPlus („It’s Fashion“) auf. The Sartorialist-Macher Scott Schuman war Testimonial in der Gap-Werbung und für eine eigene TV-Show im Gespräch. Die schwedische Bloggerin Elin Kling hat eine Kollektion für H&M entwickeln dürfen. Die Betreiberinnen von Fashionproofed vertrieben eine mit Iris von Arnim entwickelte Cashmere-Linie. Etliche Blogger verdingen sich als Content-Lieferanten für Online-Shops.
Und so wird sich aus Sicht der Marken nicht viel ändern. Es kommen lediglich ein Haufen neue Adressen für die PR-Abteilung dazu. Die freilich zugleich neue Inhalte und einen anderen Umgang erfordern. Die Szene wird unübersichtlicher, bunter, mit Sicherheit unberechenbarer. Aber das System wird weiter funktionieren.
Front Row: Modepromotion statt ‑KritikSuzy Menkes weiß all das natürlich genau. Früher war nicht alles besser. Nur anders. Dem Bedeutungsverlust kann man nur mit inhaltlicher Qualität begegnen.
Und was die eitlen Pfauen im Schauenzirkus angeht: die haben lediglich verinnerlicht, was das Geschäft seit jeher an Selbstinszenierung verlangt. Ihre Vorbilder halten das nicht anders, allenfalls dezenter. Zum Beispiel die strenge Chefredakteurin mit dem Bob, die ohne Sonnenbrille nicht aus dem Haus geht. Oder die nette ältere Dame mit der Haartolle.
Wie hieß sie doch gleich?
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Wer bis hier gelesen hat und jetzt auch noch Zeit und Lust hat, sich mit den Folgen der Online-Revolution für den Modehandel zu befassen, dem empfehle ich die Serie Online Handeln:
Folge 1: Was, wenn es einmal 50% sind?
Folge 2: Neue Nachbarn im Global Village
Folge 4: Der Sargnagel für den Land-Handel
Folge 5: Der Generalist gewinnt. Die Spezialisten auch.
Folge 6: Vom Wettbewerb auf den ‑Stufen zur Konkurrenz der Wertschöpfungsketten
Folge 7: Commerce, Content und Community sind die Innovationstreiber