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Online handeln (6): Vom Wettbewerb auf den ‑Stufen zur Konkurrenz der Wertschöpfungsketten

Das Inter­net beschleu­nigt die Ver­ti­ka­li­sie­rung. Es gibt heu­te schon kaum einen Lie­fe­ran­ten mehr, der das Web nicht zum Direkt­ver­trieb sei­ner Ware nutzt. Offen im eige­nen Web­shop und auch ver­steckt mit fet­ten Rabat­ten über Shop­ping Clubs wie Ven­te Pri­vee, Brands 4 Fri­ends oder Best Secrets. Da ist dann euphe­mis­tisch von “unse­rer bes­ten Filia­le” die Rede – bei Esprit steht der Web­shop für einen fett drei­stel­li­gen Mil­lio­nen­um­satz.

Man soll­te sich aber davor hüten, die Ver­ti­ka­li­sie­rung ein­sei­tig als Vor­wärts­in­te­gra­ti­on der Indus­trie zu begrei­fen. Der Zusam­men­hang ist viel wei­ter zu sehen. Tat­säch­lich erle­ben wir den Auf­bruch in die schö­ne neue Welt des Mul­tich­an­nel-Retail­ing: Über kurz oder lang wer­den die meis­ten Unter­neh­men – Han­del wie Indus­trie – meh­re­re Ver­triebs­ka­nä­le nut­zen.

Die­se Ent­wick­lung ist gar nicht neu, sie wird durch das Inter­net nur evi­dent und for­ciert: Who­le­sa­ler wie S.Oliver, Ger­ry Weber und Esprit eröff­nen seit Jah­ren eige­ne Läden. Ein­zel­händ­ler wie P&C ver­mark­ten ihre Pri­va­te Labels über ande­re Ein­zel­händ­ler. Retail­er wie Zero und Tal­ly Wei­jl eröff­nen Shops im Fach­han­del. Der sta­tio­nä­re Händ­ler H&M star­tet nicht nur online, son­dern pro­du­ziert auch noch einen Kata­log. Eben­so wie die Her­stel­ler-Mar­ke Bogner. Ver­sen­der Otto eröff­net Lasca­na-Shops im Wäsche-Fach­han­del. Und so wei­ter. Die­se Lis­te lie­ße sich lan­ge fort­set­zen.

Der rei­ne Who­le­sa­ler, der Nur-Laden­be­trei­ber, der klas­si­sche Ver­sen­der wer­den eines Tages womög­lich die Aus­nah­me sein – alle wer­den auf allen Kanä­len mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren. Weil im Inter­net jeder Anbie­ter poten­zi­ell die­sel­be maxi­ma­le Reich­wei­te hat, bekom­men wir eine Ato­mi­sie­rung des Ange­bo­tes. Such­ma­schi­nen hel­fen, die­ses Ange­bot zu erschlie­ßen und sor­gen für Trans­pa­renz. Goog­le lässt sich das teu­er bezah­len. Das Unter­neh­men nahm laut Sta­tis­ta in den ers­ten sechs Mona­ten die­sen Jah­res übri­gens 20,8 Mil­li­ar­den Dol­lar ein, mehr als die gesam­te US-Print­bran­che zusam­men­ge­nom­men an Wer­be­ein­nah­men ver­bucht hat (19,2 Mil­li­ar­den Dol­lar).

Der Mar­ke kommt in die­sem Sze­na­rio eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­funk­ti­on, wenn nicht die Schlüs­sel­funk­ti­on zu: Der Wett­be­werb, der sich in der Ver­gan­gen­heit auf den jewei­li­gen Wert­schöp­fungs­stu­fen abge­spielt hat, wird suk­zes­si­ve durch eine Kon­kur­renz der Wert­schöp­fungs­ket­ten abge­löst. Die Mar­ke gibt die­sen ver­ti­ka­len Sys­te­men Gesicht und Inhalt.

Wer sein Geschäft auf frem­den Mar­ken auf­baut, kommt in die­sem Sze­na­rio in die Bre­douil­le. Mul­ti­la­bel-For­ma­te wer­den sich schwe­rer damit tun, ange­sichts der Ver­gleich­bar­keit ihrer Sor­ti­men­te ihren USP klar­zu­ma­chen. Mar­ken­an­bie­ter wer­den ihre Ent­schei­dung, bei einem Händ­ler im Sor­ti­ment ver­tre­ten zu sein, mehr noch als bis­her davon abhän­gig machen, ob die­se Zusam­men­ar­beit Mar­ken­be­kannt­heit und ‑sym­pa­thie stärkt. Bei einer Sport-Auto­ri­tät wie Engelhorn.de gelis­tet zu sein, ist aus Adi­das-Sicht künf­tig mehr eine Fra­ge der Mar­ken­po­si­tio­nie­rung als des Umsat­zes. Denn das Geschäft wird größ­ten­teils über den eige­nen Adi­das-Web­shop gemacht. Der Ein­zel­händ­ler wird also mehr noch als bis­her zu einer Art “Ser­vice Pro­vi­der” für die Mar­ken. Der die­se nicht nur ver­treibt, son­dern mit einem image­för­dern­den Auf­tritt, mit sei­ner Wer­bung und mit Daten dazu bei­trägt, die Bezie­hun­gen zwi­schen Mar­ken und Kon­su­men­ten zu ver­tie­fen.

Soweit das Sze­na­rio. Das zumin­dest fürs Mas­sen­ge­schäft gilt. Bis dahin ist es aber natür­lich noch ein wei­ter Weg. Denn mit jedem zusätz­li­chen Ver­triebs­ka­nal stei­gen nicht nur die Umsät­ze, son­dern zugleich und vor allem die Kom­ple­xi­tät. Eine Mar­ke wie Ger­ry Weber bedient heu­te den klas­si­schen Who­le­sa­le, sie ver­kauft über Shops, Depots und Con­ces­si­ons, man belie­fert Part­ner-Stores und eige­ne Läden, und man hat einen Web­shop. Dem­nächst kom­men womög­lich Mobi­le und ein Face­book-Shop dazu. Weil die Kun­den zwi­schen die­sen Ein­kaufs­mög­lich­kei­ten swit­chen, erwar­ten sie ein kon­sis­ten­tes Ange­bot. Und in jedem Fall eine effi­zi­en­te Abwick­lung. Die dazu not­wen­di­ge Ver­zah­nung der Ver­triebs­ka­nä­le ist ein orga­ni­sa­to­ri­scher Kraft­akt, bei dem es auf jedes Detail ankommt. Da geht es um schein­bar so bana­le Din­ge wie Gut­schei­ne, die über­all ein­lös­bar sein müs­sen. Da geht es um eine ein­heit­li­che Preis­po­li­tik. Da geht es um ein effi­zi­en­tes Retou­ren­ma­nage­ment und nicht zuletzt eine wirt­schaft­li­che Retou­ren­fi­nan­zie­rung. Da geht es um eine wider­spruchs­freie Kom­mu­ni­ka­ti­on am POS wie im Web­shop wie im Call-Cen­ter.

Die meis­ten Who­le­sa­ler dürf­ten mitt­ler­wei­le rea­li­siert haben, dass die Bäu­me im eige­nen Retail nicht in den Him­mel wach­sen. Sie haben ihr sta­tio­nä­res Geschäft kaum im Griff, und nun wird mit dem Online-Retail­ing die nächs­te Wel­le des Direkt­ver­triebs ange­sto­ßen. Das wird man­che Orga­ni­sa­ti­on über­for­dern. Und so wie wir bis­wei­len Schlie­ßungs­wel­len in den schnell auf­ge­zo­ge­nen Fil­al­net­zen der Nach­wuchs­ver­ti­ka­len erle­ben, wer­den wir sehen, dass etli­che Web­shops wie­der vom Netz gehen wer­den. Der ein­zi­ge Vor­teil ist, dass man danach kei­nen Zehn-Jah­res-Miet­ver­trag erfül­len muss.

Fol­ge 1: Was, wenn es ein­mal 50% sind?

Fol­ge 2: Neue Nach­barn im Glo­bal Vil­la­ge

Fol­ge 3: Der Preis ist heiß

Fol­ge 4: Der Sarg­na­gel für den Land-Han­del

Fol­ge 5: Der Gene­ra­list gewinnt. Die Spe­zia­lis­ten auch.

Fol­ge 6: Vom Wett­be­werb auf den ‑Stu­fen zur Kon­kur­renz der Wert­schöp­fungs­ket­ten

Fol­ge 7: Com­mer­ce, Con­tent und Com­mu­ni­ty sind die Inno­va­ti­ons­trei­ber

(Foto: Goog­le-Daten­cen­ter)