Dieses Thema wurde mir nach meiner letzten Veröffentlichung bei profashionals quasi vorgegeben: „Ok Leute, das System ist am Arsch, aber wie sieht denn das neue aus?“ Hm. Ich hole erst einmal aus, was alte Männer ja gerne machen:
In den 80ern hießen sie Jeans-Stores. In den 90ern wurde der Begriff Fashion Sport geprägt. Dann wurde daraus der Streetwear Store. Dann kamen die 00er Jahre und die Shop-in-Shop-Manie hat alles flach gebombt. Esprit waren die ersten, und die Zauberlehrlinge von Heinz Krogner sind ausgeschwärmt, um diesen Geist mit den restlichen Marken des Landes umzusetzen. Eine Flut von Vertriebs-Schlaumeiern hat dann dem modischen Bauchgefühl der Händler den Krotzen rumgedreht. Wie? Mit Auswertungen der Vergangenheit, die die Zukunft modellieren. Das klappt bis zu einem gewissen Grad ganz gut, wenn man modisch auf normal Null unterwegs ist.
Von Esprit hatte man gelernt, dass man auch eigene Läden braucht, und H&M zeigte gleich allen, wie man es in extenso macht. Ein paar Jahre später, glichen sich Deutschlands Innenstädte wie ein Ei dem anderen. Und alle ECE-Center ebenso. Die Kids rannten zu H&M und die Fashionbranche schottete sich ab.
Dann war der spannende Moment gekommen, an dem die Marken so ziemlich jeden Fleck der Republik bespielt hatten und nicht mehr auf Messen gehen mussten. Zalando wurde irgendwann nicht mehr ausgelacht und versprühte sein eigenes Gift. Bei aller Aufregung hatte man noch den Ebay-Effekt vergessen, der das Sediment der zu vergammelnden Altware wieder an die Oberfläche spülte. Der Markt war verteilt, und die „Geschäfte“ gingen schlechter. Gefühlt gehen sie übrigens schlecht, seit ich 1985 in die Branche kam und jedes Jahr noch schlechter. Das „Geht schlecht-Barometer“ müsste schon so tief wie der Marianengraben sein.
Der Witz ist: Die Geschäfte gehen wirklich immer schlechter. Während Fashion-Vertreter in den 80ern zweimal im Jahr für vier Wochen arbeiten mussten und den Rest des Jahres auf Ibiza jungen Mädels nachstiegen, hat sich dieser Job inzwischen so gut wie in Luft aufgelöst. Nun gut, den Schmied gibt es ja auch nicht mehr, und keiner vermisst ihn, weil kaum noch jemand mit dem Pferd durch die Stadt reitet. So schlimm wird es mit unserer Branche nicht kommen. Klamotten sind nur in Teilbereichen auf Sylt ohne Bedeutung. Es kann also Entwarnung gegeben werden.
Oder doch nicht?
Wenn ein Musiker wie Kanye West Millionen von Sneakern verkaufte oder Virgil Abloh die Luxusfashion a tergo nehmen konnte, musste dort für alle Nicht-Designer ja auch was zu holen sein.
Es war stets die Jugend und die deren Marken, die den Fashion-Handel angetrieben haben. Die Suche nach dem Neuen. Dem Besonderen. Die Einkäufer pflügten wie Trüffelschweine über Messen und ließen ihrem Bauchgefühl freien Lauf. Gierig auf neue Trends. Die Schnellsten und Mutigen waren die Gewinner. Ihre Kunden haben es ihnen gedankt. Das ist Aus und vorbei. Die Welt ist eine andere geworden. Wir alle wissen, wie sie derzeit aussieht.
Die Frage, die sich stellt: Wo sind denn eigentlich die "jungen" Marken hingekommen? Im klassischen Handel sind sie nicht. Und auf Messen auch nicht. Oder nicht mehr.
Ich springe: Vor einigen Jahren wollte in Deutschland jeder junge Kerl ein Hip Hop-Star werden. Es war eine regelrechte Lawine. Viele wurden es sogar, was die anderen beflügelte. Man sah, dass man mit wenig viel erreichen konnte. Natürlich von Haftbefehl abgesehen. Diese Welle hat sich totgelaufen.
Heute wollen alle Designer werden. Mode machen. Streetwear. Wenn ein Musiker wie Kanye West Millionen von Sneakern verkaufte oder Virgil Abloh die Luxusfashion a tergo nehmen konnte, musste dort ja auch für alle anderen Nicht-Designer was zu holen sein. Es hat sich ein Markt entwickelt, der mit unzähligen „Marken“ die Jugend abgreift. Dies findet aber nicht im klassischen Einzelhandel statt. Es passiert in einer Parallelwelt: online, Direct-to-Consumer. In die Öffentlichkeit geschoben durch Instagram. Ein T‑Shirt, ein Foto mit einer coolen 08/15 Pose (die übrigens alle, aber auch wirklich alle, von Stone Island geklaut haben), ein kleiner DIY-Webshop und fertig ist die Laube. Messen? Drauf geschissen. Wholesale? Ebenfalls drauf geschissen. Geht ja auch so. Und das viel schneller, mutiger, letztendlich präziser und ertragreicher.
LFDY, von der Textilwirtschaft übrigens ordentlich gehyped, obwohl die ja gar nicht an die Abonnenten des Blattes verkaufen, ist ein schönes Beispiel. Die scheissen auch auf Messen und Wholesale und machen kolportierte 50 Millionen Euro Umsatz. Oder 100. Oder was auch immer. Da kommt dann noch Achraf mit 6PM oder der Hybrid Pegador und schwupps sind das dann mal, was weiß ich, 200 Millionen Euro. Dann kommen alle anderen Europäer dazu und es wird eine Milliarde. Wollen wir es mal nicht so genau nehmen…
Unsere Branche fährt Auto, in dem sie in den Rückspiegel schaut. Nach vorne gucken, würde der Fahrlehrer sagen.
Die Botschaft ist klar. Die gehören auch zum Markt, wollen ihre Marge aber nicht mit dem Handel teilen. Den jungen Kunden – und das sind viele – fehlt dabei nichts. Denen reicht es, sich zweimal im Jahr in die Schlange vorm Louis Vuitton-Laden zu stellen, und die Welt ist in Ordnung. Und irgendwann, wenn die Best Ager alle tot sind, kommt die Geschichte vom Schmied wieder in die Erzählung. „Früher gab es so Klamottenläden. Keine Ahnung wie man die damals genannt hat. Klamottenläden halt. Kaum zu glauben, oder?“, wird es heißen.
Es kann aber auch sein, dass es ganz anders sein wird, weil sich ein paar Einzelhändler besonnen haben und der Jugend wieder ihren Platz gegeben haben. Aber ich bin skeptisch, nach fast 40 Jahren in der Branche. Die müssten ja Bauchentscheidungen getroffen haben. Unmöglich. Unsere Branche fährt Auto, in dem sie in den Rückspiegel schaut. Nach vorne gucken, würde der Fahrlehrer sagen. Da fällt mir gerade ein, dass es in den 90ern Trendscouts gab. Wie konnte das denn passieren? Ich springe schon wieder.….
Jürgen Wolf ist Gründer und Mastermind von Homeboy. Er hob das Skatewear-Label 1988 aus der Taufe und gehörte damit zu den Streetwear-Pionieren in Deutschland. In den 90er Jahren erlebte Homeboy einen rasanten Aufstieg, in den vergangenenen Jahren war es faktisch vom Markt verschwunden. 2015 hat Wolf die Marke wiederbelebt. Und startet mit seinem Sohn Julian damit durch.