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Sind Socken der neue Lippenstift?

Erfolgreiche TV-Serien beeinflussen den Stil der Jugend und in Folge davon den ganzen Modemarkt. Es macht für den Handel und auch die Produzenten Sinn, mehr Fernsehen zu gucken, meint Barbara Markert.
Barbara markert
Bar­ba­ra Mar­kert

Das jun­ge Mäd­chen hin­ter mir an der Kas­se hält zwei Pake­te à drei Socken in der Hand. Wir ste­hen bei­de in Washing­ton im Nike Store, ich kau­fe mei­nem Sohn nach drei Jah­re Bet­teln sei­ne ers­ten Nike-Snea­k­er, sie kauft Socken. Wie auch der Typ, der meh­re­re Kun­den wei­ter hin­ten in der Schlan­ge war­tet.

Zurück in Paris, im Cita­di­um, dem Ein­kaufs­pa­ra­dies der GenY- und GenZ-Gene­ra­ti­on ist es schwer, dem The­ma Socken aus dem Weg zu gehen. Zwi­schen Shop-in-Shops von Car­hartt und Obey begren­zen schlich­te Metall-Stän­der vol­ler Socken die Ver­kaufs­flä­chen: Mother­So­cker ver­kauft Modell mit Slo­gan „Fuck off“ oder „Fuck Mon­day“, Depied­fer­me hat Ein­hör­ner und klei­ne Füch­se als Motiv, Suzet­te ver­brei­tet Socken-Roman­tik mit roten Her­zen und Adi­das Sport­lich­keit mit sei­nen klas­si­schen drei Strei­fen. Das Ange­bot ist bunt, teils kin­disch, teils pein­lich – und wird gekauft. Dabei hat­te die Jugend die ver­gan­ge­nen Jah­re damit ver­bracht, selbst im tiefs­ten Win­ter die Eises­käl­te ohne Fuß­wär­mer zu durch­lei­den. Cool war, wer kei­ne Socken trug. Uncool ist heu­te, bar­fuß in die Snea­k­er oder Pla­teau-Loa­fers zu stei­gen.

So ist sie halt die Mode, könn­te man mei­nen. Trends kom­men und gehen. Das stimmt auch für Mini­rö­cke, Hüft­ho­sen und trans­pa­ren­te Blu­sen. Doch Socken? Wann waren die denn das letz­te Mal „in“? Wei­ße Socken gal­ten über Jahr­zehn­ten als No-go. Gefühlt tru­gen wir alle die letz­ten 30 Jah­re nur noch Exem­pla­re in den Far­ben schwarz und grau. Dezent und bit­te vor allem unauf­fäl­lig. Socken, ein modi­sches State­ment? Lan­ge her. Von Knie­strümp­fen ganz zu schwei­gen. Die tru­gen nur noch Men­schen wie ich  – aus der Gene­ra­ti­on, die in den 70ern auf­ge­wach­sen war. Damals ging nichts ohne Knie­strümp­fe. In den 80ern wur­den sie dann bei den Frau­en durch eine Fein­strumpf-Ver­si­on abge­löst. Ich habe noch so eini­ge Relik­te aus die­ser Zeit im Schrank. Genau die kann ich jetzt alle wie­der raus­ho­len. Denn die Lauf­ste­ge waren voll von Looks mit gut sicht­ba­ren Nylon-Knie­strümp­fen, bun­ten Socken, Ten­nis­so­cken und den klas­si­schen Baum­woll-Knie­strümp­fen.

Woher kommt das Revi­val? Wie kam die Jugend auf der Stra­ße auf die Idee, plötz­lich Knie­strümp­fe als modisch anzu­se­hen? Mei­ne Ver­mu­tung lau­tet: Es liegt an Stran­ger Things. Ich ken­ne kaum einen Jugend­li­chen, der die Net­flix-Serie nicht gese­hen hat. Die Sto­ry spielt in den spä­ten 70ern und geht dann in die Mode der 80er hin­ein. Die Haupt­fi­gu­ren sind Her­an­wach­sen­de, die von Mons­tern aus einer unter­ir­di­schen Par­al­lel­welt ange­grif­fen wer­den. Sie alle tra­gen  – ganz dem dama­li­gen Mode­stil ent­spre­chend  – Knie­strümp­fe und Socken. Die Looks von Maxi­ne, Elfe/Eleven, Robin, Will, Fin, Ste­ve und Dus­tin haben Prei­se fürs Kos­tüm­de­sign ein­ge­heimst. Die Medi­en sind vol­ler Nach­sty­ling-Tipps zur Serie, H&M und Kon­sor­ten haben lukra­ti­ve Koope­ra­tio­nen abge­schlos­sen, krea­ti­ve Händ­ler Son­der­flä­chen oder Events instal­liert. Die­sem Hype kann sich auch die Luxus­in­dus­trie kaum ent­zie­hen. Star­de­si­gner Nico­las Ghes­quiè­re, Krea­tiv­chef von Lou­is Vuit­ton, ist Stran­ger-Things-Fan der ers­ten Stun­de und hat schon vor etli­chen Sai­sons die Serie als Inspi­ra­ti­on in sei­ne Kol­lek­tio­nen ein­ge­baut.

Sind TV-Seri­en bzw. deren Kos­tüm­de­si­gner also die neu­en Trend­set­ter? Es spricht ziem­lich viel dafür. Auch „Wed­nes­day“, die vom Kult­film „Adams Fami­ly“ inspi­rier­te Serie über den weib­li­chen Adams-Spröss­ling im Gothik-Look, hin­ter­lässt gera­de sei­nen Stem­pel in vie­len Kol­lek­tio­nen. Sie­he auch die aktu­el­le Wer­bung von Dior. Dass Wed­nes­day Socken und Knie­strümp­fe trägt, ver­steht sich von selbst.

Das Socken-The­ma ist also noch lan­ge nicht durch, auch weil Net­flix für bei­de Erfolgs­se­ri­en wei­te­re Staf­feln am Start hat. Durch die Ein­gangs­preis­la­ge die­ses Acces­soires eig­nen sich Socken und Knie­strümp­fe als idea­le Umsatz­brin­ger, ähn­lich den Lip­pen­stif­ten für die Luxus­in­dus­trie. Wer sich kei­ne Cha­nel-Tasche leis­ten kann, kauft sich erst­mal einen Lip­pen­stift. Ganz nach die­ser Stra­te­gie könn­te der Socken­trend aus­ge­schlach­tet wer­den. Dies gilt sowohl für Her­stel­ler wie auch Händ­ler, die damit ein Mit­nah­me­pro­dukt für wenig Geld anbie­ten und auf ein­fachs­te Wei­se die Jugend in die Läden holen kön­nen. Es genügt ein Auf­stel­ler mit bun­ten Socken. Aber bit­te nicht die schwar­zen Knie­strümp­fe nicht ver­ges­sen, denn aus­schließ­lich die­se Far­be trägt Wed­nes­day.