Zunehmend wird deutlich, dass die Prognosen für die nächsten zehn Jahre Ende 2021 bereits eingetreten sein werden – sofern die Pandemie nicht weitergeht. Niemand will, dass der stationäre Einzelhandel verschwindet und die Innenstädte veröden. Allerdings stimmen die Bürger mit den Füßen und zunehmend mit dem Daumen ab. Wenn die Kunden sich gegen den innerstädtischen Einzelhandel entscheiden, dann gibt es dafür Gründe.
Aber völlig abgeschrieben werden sollte der stationäre Einzelhandel keinesfalls. Er muss sich nur neu erfinden. Was er dafür tun kann, zeigt prägnant der Begriff des „Intelligent Retail“ auf. Es geht darin um die fünf zentralen Themen, die den Handel der Zukunft prägen. Zunächst sind (1.) die Basisvoraussetzungen zu schaffen, die ein datenbasiertes Arbeiten ermöglichen. Dieses wiederum ermöglicht (2.) den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und damit kundendatenbasiertes One-to-One-Marketing. Um damit überhaupt arbeiten zu können, bedarf es (3.) einer intelligenten Mitarbeiter-Qualifizierung und ‑Rekrutierung. Qualifizierte Mitarbeiter werden auch für (4.) eine digitale Supply Chain sowie (5.) die zukunftsfähige Geschäftsmodellierung inklusive Entwicklung von Smart Stores benötigt.
Basisvoraussetzung für intelligenten Einzelhandel sind vor allem systemtechnische und organisatorische Aspekte. Ohne leistungsfähige Warenwirtschafts- und Kassensysteme, die es eigentlich schon seit den 60er Jahren gibt, können keine gültigen Produktverfügbarkeiten angezeigt und auch keine effiziente Bestandsführung ermöglicht werden. Sind performante Systeme im Einsatz und können Daten generiert werden, heißt das noch lange nicht, dass intelligente Kundendaten erhoben werden. Was im Online-Handel schon Gang und Gäbe ist, stellt sich im stationären Einzelhandel als das wohl größte Hindernis dar. Doch nur mit eigenen und identifizierbaren Kundeninformationen lässt sich künstliche Intelligenz sinnvoll an der Kundenfront einsetzen.
Der Einsatz künstlicher Intelligenz erfordert den Einsatz intelligenter und hochqualifizierter Mitarbeiter. Der Handel hat gute Chancen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren, wenn er durch geschicktes Employer Branding seinen digitalen Bedarf sichtbar macht.
Der Einsatz künstlicher Intelligenz erfordert den Einsatz intelligenter und hochqualifizierter Mitarbeiter. Von der digitalen Transformation ist der Handel an einigen seiner heutigen Kernkompetenzen besonders stark betroffen. Zu den wichtigsten Schwachstellen gehört seine geringe Attraktivität als Arbeitgeber für qualifizierte Arbeitskräfte. Gleichzeitig hat der Handel aber sehr gute Chancen, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren, wenn er durch geschicktes Employer Branding seinen digitalen Bedarf sichtbar macht. Digitale High-Potentials, die es gerne zu Zalando und Amazon zieht, werden auch für eine Digitalisierung der Supply Chain benötigt. Zukunftsfähige Geschäftsmodelle bis hin zur Entwicklung von intelligent und durchdigitalisierten Smart Stores bedeuten für stationäre Händler vielfach einen Kulturschock.
Eines ist klar: Der stationäre Einzelhandel hat eine Zukunftschance, wenn er sich neu erfindet. Im Handel der Zukunft werden vor allem intelligente System benötigt, die er bisher überwiegend nicht nutzte. Auch lokale Einzelhändler müssen heute datenbasiert arbeiten, was bisher kein großes Thema war. Sie müssen ihre Ausrichtung von produktzentrischen hin zu konsumentenzentrischen Geschäftsmodellen ändern, bei denen das ultimative Kundenerlebnis im Vordergrund steht.
Prof. Dr. Gerrit Heinemann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, Management und Handel und leitet das eWeb Research Center an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. In seinem gerade erschienen neuen Buch erklärt er, wie intelligentes Handeln den stationären Einzelhandel in den Innenstädten und in Shopping-Centern retten kann.