Am Mittwochabend schlug die Stunde der Analogen: Dieter Hieber, Inhaber der gleichnamigen Supermarktkette im Badischen, erhielt den Innovationspreis des Deutschen Einzelhandels – für ein Mehrwegsystem, das statt auf Plastiktüten auf Tupperware-Dosen setzt, und für sein Foodsharing-Konzept: Stationen mit nicht verkauften, aber noch tauglichen Lebensmittteln, an denen Bedürftige sich gratis bedienen können. Der Edekaner schlug damit in einer Publikumsabstimmung bei der Handelskongress-Gala einen onlinebasierten Bilderrahmenservice sowie eine digitales Frequenzmessungssystem aus dem Rennen. Es war der Beleg dafür, dass gute, weil nützliche Ideen nicht zwangsläufig aus der Tech-Ecke kommen müssen. Und natürlich war es eine Trotz-Reaktion auf den Deutschen Handelskongress, bei dem es den geschlagenen langen Tag um kaum etwas anderes ging als um die Digitalisierung.
Kein Wort gab es dagegen zu Karstadt und Kaufhof. Während die Beschäftigten bei einer möglichen Fusion massive Stellenstreichungen fürchten und der Städte- und Gemeindebund vor einer weiteren Verödung zahlreicher Cities im Falle eines Warenhaus-Schließungskonzerts warnt, forderte der Handelsverband flächendeckendes Breitband, schwärmten die Experten von Big Data und künstlicher Intelligenz und blubberten Buzzwords wie digital transformation, predictive analytics und agile Organisation aus jeder zweiten Präsentation. Zumindest das Vokabular der neuen Zeit hatten sie in Berlin schon drauf.
Am vergangenen Freitag haben Alibaba & Co zum Singles Day 22 Milliarden Dollar umgesetzt – in 24 Stunden. Das muss jeden Kaufmann beeindrucken. Kommende Woche soll es dann auch in hiesigen Kassen entsprechend klingeln. Der deutsche “Black Friday”- Lizenznehmer Konrad Reid rechnet am 24. November mit bis zu zwei Milliarden Euro Umsatz. Absurd genug, dass sich einer die Namensrechte an so einem Rabatt-Event sichern konnte und nun über Gebühren mitverdient. Und bezeichnend, dass ausgerechnet dieser historisch belastete Begriff sich durchgesetzt hat – der Schwarze Freitag markierte 1929 bekanntlich den Auftakt der Weltwirtschaftskrise.
Dass mit der Digitalisierung eine Revolution im Gange ist, dürfte nicht nur nach den auf der Berliner Bühne behandelten Superlativen jedem klar sein. Der Auftritt des EU-Kommissars Günther Oettinger machte es gewissermaßen amtlich: “Das ist eine schnelle Revolution. In fünf Jahren ist entschieden, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern gehört.”
Manche kennen heute schon die Antwort. Darunter die Finanzinvestoren, die sich am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion einig waren: “Einen Drittmarkenanbieter würde ich heute nicht mehr finanzieren”, so Florian Heinemann vom Venture Capital-Geber Project A. Weil Multilabel-Anbieter in einer Omnichannel-Welt keine ausreichenden Differenzierungsmöglichkeiten mehr haben. Daniel Pindur vom 17 Milliarden-Fonds-Giganten und Douglas-Eigentümer CVC blies ins selbe Horn: “Wir würden heute keine Investments in primär stationäre Handelsformate mehr tätigen.” Für Heinemann ist zugleich der Zug zur Gründung neuer Onlineplayer inzwischen abgefahren bzw. nur noch unter massivem Resourceneinsatz zu machen. “In China kommt heute keiner mehr auf die Idee, an Alibaba vorbei online zu gehen. Ich würde mir als Händler gut überlegen, ob eine Co-Existenz-Stategie nicht mehr Sinn ergibt.”
Welches Schicksal dem Einzelhandel womöglich blüht, zeigte Alexander Graf diese Woche in Kassenzone mit einem Verweis auf einen Bloomberg-Artikel, der einen Blick auf das Ladensterben in den USA wirft. Mit dem Titel “Retail Apocalypse” ist der Inhalt eigentlich schon treffend umschrieben.
Den vielleicht besten, weil hoffnungsvollen Beitrag lieferte in Berlin Pieter Haas. Der Ceconomy-CEO beschrieb die Probleme, die Mediamarkt/Saturn mit der digitalen Transformation hatte. Am Anfang habe man die neue Web-Konkurrenz ignoriert, später gehofft, dass einer den Stecker aus dem Internet zieht. Schließlich ging man das Thema grundsätzlich an. “Wir haben uns ernsthaft mit der Frage befasst, warum es uns überhaupt gibt und warum die Kunden uns weiter brauchen.” Fünf Jahre nach dem Start des neuen Online-Shops machen Mediamarkt und Saturn 2,5 Milliarden über diesen Kanal. Aber das sei nicht der Punkt, so Haas. “Wir hatten jahrelang die falsche Einstellung. Die Kunden brauchen keinen Händler, der ihnen Produkte liefert. Sondern sie brauchen jemanden, der ihnen hilft, ihr digitales Leben einfacher zu machen” , so Haas. “Es geht um Handel für die digitale Welt. Nicht um digitalen Handel.”
Der Hinweis – ausgerechnet von Otto-Chef Alexander Birken – dass 90 Prozent des Einzelhandels immer noch stationär abgewickelt werde, war mehr als ein Pfeifen im Walde. Natürlich werden Läden nicht aussterben. Aber das stationäre Einkaufen bekommt eine andere Funktion.
Vielleicht lohnt dazu der Blick nach Italien. Nicht dass das zurzeit eine Gewinner-Nation wäre. Aber während sich in Berlin die Kaufleute die Köpfe heißredeten, eröffnete in Bologna Fico. Die “Fabbrica Italiana Contadina” ist der Erlebnispark von Eataly, ein Lebensmittel-Disneyland, das italienischem Essen und handwerklichen Erzeugern eine Bühne bietet. Angefangen bei Ackerbau und Viehzucht über die Verarbeitung bis hin zu Degustation, Einkauf und Workshops über die gelungene Zubereitung. Der 140 Millionen Euro teure Themenpark ist nicht nur eine Blendgranate zum bevorstehenden Börsengang der Supermarktkette Eataly. Sondern womöglich auch ein Blick in die Zukunft des stationären Konsums. Dieter Hieber wird sich das bestimmt ganz genau ansehen.