Man erinnert sich: Von dem Genre der Mode- und Lifestyle-Blogs hieß es noch vor gut fünf Jahren, dass es die herkömmliche Presse nicht nur alt aussehen lässt, sondern diese bald verdrängen wird. Modeblogs seien die neue Macht in der Rezeption von Mode und Lebensart, sie würden die etablierten Player alt aussehen und verschwinden lassen. Blogger waren damals so hip, dass sogar Medienkonzerne wie RTL auf den Zug aufsprangen und einen „Blogwalk“ ins Leben riefen (2017 wieder eingestellt).
Daher die Frage: Was ist aus dem Hype geworden? Wir haben nachgeschaut und stellen verblüfft fest: Modeblogs gibt es zwar noch, aber die rasante Entwicklung dieses vor kurzem noch vielversprechenden Publishings-Zweigs ist zu einem eher abrupten Ende gekommen. Neue, relevante Formate sind mir trotz ausschweifender Suche keine begegnet. Bloggen ist offenbar schon wieder aus der Mode.
Das liegt an verschiedenen Faktoren – die Corona-Pandemie und die dadurch härter gewordene Erwerbs-Realität ist nur eine davon, wenngleich wohl die wichtigste. Es gibt seit einem Jahr schon keine Bühnen mehr, auf denen sich Blogger produzieren können. Dazu kommt: Bloggen lohnt sich kaum noch. Man bekommt dafür nichts mehr. Nicht einmal das, was früher noch für mangelnde Entgelte entschädigte, ist heute noch erhältlich: öffentliche Anerkennung in der Szene, ein gutes Seating an Modenschauen und ab und zu ein Handtäschchen umsonst.
Die Marketingbudgets sind zusammengestrichen worden, und wo dennoch etwas in digitale Multiplikatoren investiert wird, dann in die gut aussehenden Influencer auf Instagram, Snapchat oder Tiktok. Die Mühe, sich einen Artikel auszudenken, zusammenhängende Sätze zu formulieren und das alles noch halbwegs attraktiv gestaltet auf eine eigene Seite zu laden, macht sich keiner mehr. Ein cooles Selfie und eine hashtag-reiche Bildlegende reichen völlig.
Gelesen wird kaum noch. Also ist Schreiben nicht mehr nötig. Warum tun es manche dennoch?
Gelesen wird kaum noch. Also ist Schreiben nicht mehr nötig. Warum tun es manche dennoch? – Vielleicht, weil es ihnen Spaß macht und sie ein Sendungsbewusstsein haben. Vielleicht, weil sie einen Anker brauchen, um sich in dieser haltlosen Zeit selbst zu verorten. Vielleicht, weil sie ihren Lesern und Followern gegenüber Verantwortungsbewusstsein verspüren.
Schauen wir doch mal exemplarisch in fünf Blogs rein, was da noch läuft:
HORSTSON (horstson.de): Hier schaue ich ab und zu gerne vorbei – auch wenn sich das Portal von Sascha Pietsch aus Hamburg formal kaum noch entwickelt, findet man hier manchmal überraschende Texte und Meinungen. Auch bleibt man gut auf dem Laufenden, wenn es darum geht, welche Marke gerade mit welchem anderen Nischenlabel zusammenarbeitet. Leider wird aber oft nur diese oder jene Neuheit von Dior, Chanel, Uniqlo, H&M oder Levi’s verkündet, ohne den Bogen weiter zu spannen. Und für die Live-Streams der großen Labels brauche ich kein zusätzliches Durchgangsportal.
JOURNELLES (journelles.de): Dieses 2012 von Jessie Weiß gegründete Portal sollte nach Les Mads (2007 bis 2015) die neue Referenz in Sachen deutschsprachiger Blogs werden. Große Ambition! In den letzten Jahren drehte sich vieles auf dem Blog um die sich verändernden Lebensumstände der Autorin und ihrer wachsenden Familie – wenn einen das interessiert, sicher spannend. Wir wollen aber nicht nur meckern: Das Format „Closet Diary“, mit dem Jessie Weiss in die Kleiderschränke anderer Frauen blickt, ist originell, charmant und sorgfältig gemacht.
THIS IS JANE WAYNE (thisisjanewayne.com): Die beiden Journalistinnen Sarah Gottschalk und Nike van Dinther, seit 2010 zusammen im Netz tätig, gehören schon bald zu den Veteraninnen der Szene und haben den Finger noch immer gut am Puls der Zeit. Ihre Seite liest sich schmissig, macht deutlich mehr als nur Affiliate-Marketing und hat sogar ein eigenes Register zum Thema Feminismus. Gestalterisch leider aber ein bisschen nervig, mit all den wackelnden Elementen.
MODEPILOT (modepilot.de): Kathrin Bierling vom Modepilot ist schlagfertig, denkt schnell und hat das nötige Maß an Selbst-Ironie, die man sich heute von Bloggerinnen wünscht. Sie wagt es, auch mal quer in der Landschaft zu stehen, etwa als sie über den Weggang von Christiane Arp bei der Vogue schrieb: „Ich wundere mich, warum man sie so lange hat werkeln lassen.“ Peng! Originell sind wiederkehrende journalistische Formate wie „Porentief nachgefragt“ (Beauty-Talk) und „Wenn ich bei Null anfangen müsste“.
DANDY DIARY (dandydiary.de): Der einst wichtigste deutsche Style-Blog, betrieben von zwei heiteren Querköpfen, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Alle paar Wochen wird noch ein neuer Artikel aufgeschaltet. David Kurt Karl Roth ist nach dem verfrühten Tod seines Schulfreundes und Mittäters Carl Jakob Haupt die Lebenslust abhanden gekommen. Am 13.11.2020 schrieb Roth: „Es gab Zeiten, da schrieben wir an dieser Stelle über Modeerscheinungen. Doch das ist vorbei, denn die Mode ist tot.“
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Außerdem haben wir in unserer Recherche bei folgenden Adressen vorbeigeschaut:
- Fabian Hart (fabianhart.com) – cooler Typ, aber kaum noch neue Inhalte auf der Seite
- Caro Daur (carodaur.com) – tragische Seite, leblos wie ein verlassenes Kreuzfahrtschiff
- Nova Lana Love by Farina Opoku (novalanalove.com) – austauschbar, dröge und veraltet
- Ohh Couture by Leonie Hanne (leoniehanne.com) – hübsche Frau, aber beliebiger Style
- Fashion Hippie Loves (fashionhippieloves.com) – Handtaschen, Stöckelschuhe, Parfum
- Nina Suess (nina-suess.com) – Seite wirkt verlassen, aktuellster Eintrag vom Juli 2020
- Lisa Hahnbück (lisahahnbueck.com – offenbar tot, letzte News datiert vom März 2020
Und natürlich gibt es auf profashionals jede Menge zu diesem Thema zu lesen. Eine Auswahl:
Krähen gegen Pfauen: Die Modemedien-Revolution geht weiter
Wenn das mal keinen Shitstorm in der Blogosphäre provoziert, Siems Luckwaldt
Markenmaskottchen-Debatte: Roland Schweins antwortet Stefan Gessulat
Modejournalismus – ein Fall fürs Museum?
Vom Ego-Blogger zum Zielgruppen-Infuencer
Die Tränen der Sweatshopaholics
Vergesst Tavi. Jetzt kommt Stylemma!