Soll man Eva-Lotta Sjöstedt beglückwünschen oder bedauern? Die Höflichkeit gebietet zunächst Ersteres. Die Ikea-Managerin ist seit diesem Mittwoch als neue Karstadt-Chefin bestätigt. Der Top-Posten bei einem der bekanntesten deutschen Handelsunternehmen. Die erste Frau an der Spitze in der 132jährigen Unternehmensgeschichte. Eine Riesen-Verantwortung, nicht nur unmittelbar für über 20.000 Mitarbeiter und deren Familien, sondern auch für etliche auf den Vertriebskanal Karstadt angewiesene Lieferanten. Und für zahlreiche Innenstädte, wo das Warenhaus immer noch ein Anker im Kundenstrom ist. Karstadt ist eine Sanierungs-Herausforderung, die alle Anstrengung wert ist.
Das sind sicher reizvolle Motive für jeden ehrgeizigen Manager. Neben der mutmaßlichen Top-Dotierung. Dass sich in Deutschland keiner gefunden hat, der bereit gewesen wäre, den Job zu erledigen, ist zugleich bezeichnend. Das Unternehmen hat in den letzten zehn Jahren sechs CEOs zerschlissen und einen Insolvenzverwalter ertragen müssen. Das Attribut "krisengeschüttelt" weicht Karstadt seit 20 Jahren nicht von der Seite. Wer noch eine Karriere vor sich zu haben glaubt, dem ist dieser Stuhl zu heiß. Und große Bellheims vom Kaliber Andrew Jennings' gibt es in Deutschland keine mehr. Der Fähigste arbeitet für die grüne Konkurrenz und war nie weg.
Jennings' Manko war, dass er mit dem deutschen Markt nicht vertraut war. Das ist Sjöstedt offensichtlich auch nicht. Bei ihrem ersten Auftritt in der Essener Hauptverwaltung hat sie es Presseberichten zufolge wenigstens schon mal auf Deutsch versucht. Die Sprache zu lernen, ist bei diesem urdeutschen Unternehmen nicht nur im Tagesgeschäft nützlich, sondern insbesondere als vertrauensbildendes Signal an die Mitarbeiter wichtig, dass Sjöstedt sich langfristig in Essen einzurichten gedenkt. Pep Guardiola hat es vorgemacht.
Die große Frage ist freilich, welche Rolle der CEO im Überlebenskampf von Karstadt überhaupt noch spielt. Das Unternehmen ist zum Spielball von Finanz- und Immobilieninvestoren geworden. Das fing mit Thomas Middelhoff an. Nicolas Berggruen ist ebenso wenig Retailer, sondern wie Big‑T ein Dealmaker. Und auch den Signa-Geldgebern dürfte es weniger um Waren als um Häuser gehen.
Karstadt wird aller Wahrscheinlichkeit nach in absehbarer Zeit ein anderes Unternehmen sein. Da ist vieles denkbar, auch das Undenkbare. Die Wirtschaftswoche hat die Szenarien in einer Infografik zusammengefasst. Die sieht fast aus wie der Schaltplan des Frankfurter Flughafens. Hoffen wir, dass Eva-Lotta Sjöstedt den Überblick hat.
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Spannend auch die Vorgänge bei dem anderen großen, erst vor fünf Jahren gegründeten Warenhaus, das – wenn es so weiter wächst – Karstadt demnächst im Umsatz überholen wird und inzwischen vielleicht sogar weniger Geld verbrennt: Zalando.
Der Online Retailer bereitet sich auf den Börsengang vor. Es sieht jedenfalls schwer danach aus. Die Umfirmierung zur AG ist beschlossene Sache, das Management hat sich auf ein Beteiligungsmodell geeinigt, und Baustellen wie Emeza und Kiomi werden nach nicht einmal einem Jahr dichtgemacht, bevor man die neugierige Öffentlichkeit über den Bauzaun schauen lassen muss. Noch eiert man in Berlin herum und raunt etwas von Flexibilität im Hinblick auf künftiges Wachstum oder so ähnlich. Aber man muss kein Andre Kostolany sein, um die Zeichen zu lesen. Das Börsenklima ist zurzeit bestens, die Investoren haben sich beim Twitter-IPO neulich auch nicht von Verlusten abschrecken lassen, Zalando hat aufgrund der hohen Bekanntheit und breiten Kundenbasis das Zeug zur Volksaktie, es geht jetzt um das richtige Timing. Es ist wahrscheinlicher denn je, dass die Zalando-Geldgeber demnächst vor Glück schreien werden.
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