Schöffel wurde 1804 gegründet. Das Unternehmen hat zwei Weltkriege, Währungsreformen und diverse Finanz- und Wirtschaftskrisen überstanden. Begegnet man als Unternehmen nach sieben Generationen Krisen mit einer gewissen Gelassenheit?
Ganz so alt bin ich dann noch nicht (lacht). Aber im Ernst: Mein Großvater war sechs Wochen in Dachau eingesperrt. Es ist für uns wohl schwer nachvollziehbar, was das bedeutet. Nach dem Krieg haben ihn die Amerikaner dann für eineinhalb Jahre als Bürgermeister in Schwabmünchen eingesetzt. Ich empfände es als höchst vermessen, wenn ich als jemand, der das Glück hatte, 30 Jahre auf der Sonnenseite zu segeln, jetzt klagen würde. Wir bekommen die aktuelle Krise natürlich wie viele andere schmerzhaft zu spüren. Aber wir verstehen sie auch als Chance.
Eine Pandemie ist ja schon eine ganz neue Herausforderung.
Es stimmt. Und wir erleben die Auswirkungen der Pandemie anders als zum Beispiel damals die Effekte aus der Finanzkrise. Wir sind heute mehr Passagier und nicht Pilot. Aber einfach nur zu klagen, macht nichts besser. Ganz im Gegenteil: Chancenmanagement ist aus meiner Sicht in einer Situation wie der jetzigen für einen Unternehmer alternativlos.
Wie sieht es aktuell bei Schöffel aus?
Es gibt zurzeit kein Bekleidungsunternehmen, das behaupten könnte, es laufe gut. Bei uns muss man differenzieren. Unser Outdoor-Segment wird durch Corona eher beflügelt. Im Alpin-Ski sieht es dagegen deutlich bitterer aus. Wenn Skifahren nicht geht, braucht man auch keine neue Jacke. Das schmerzt, ist aber ein temporäres Thema.
Wie sind Deine Erwartungen für die kommenden Wochen und Monate?
Wir hoffen angesichts des Dauer-Lockdowns sehr, dass nicht auch noch die nächste Saison ins Wasser fällt. Insgesamt sind wir aber ein gesundes Unternehmen. Es geht dieses Jahr und vermutlich auch noch nächstes Jahr an die Reserven. Aber dafür sind die ja da. Und nachdem ich mein eigener Shareholder bin, habe ich es etwas leichter, als wenn ich als angestellter Vorstand tausende Aktionäre im Nacken sitzen habe.
Wie sieht denn die Welt nach Corona aus?
Corona ist kein Game Changer. Aber die Krise beschleunigt Entwicklungen. Wenn wir in fünf Jahren zurückblicken, werden wir wahrscheinlich sagen: Die Krise hatte langfristig auch einen positiven Effekt. Bitte nicht falsch verstehen! Aber die Krise zwingt uns zur Weiterentwicklung. Wir hinterfragen unsere Geschäftsmodelle und Grundsätzliches viel radikaler als wir das ohne Krise tun würden. Das wird langfristig positiv sein.
Was stellt Ihr denn bei Schöffel in Frage?
Vor 14 Monaten haben wir beispielsweise noch von Begriffen wie dezentral, digital und agil geredet. Mit Beginn der Krise haben wir auch wirklich danach gearbeitet. In der ersten Woche nach dem Shutdown hat es noch gehakt, in der zweiten lief es besser, ab der dritten Woche war es super. Oder so Themen wie der digitale Showroom: Da hat man vor der Krise zu den Großen der Modebranche geschaut und gedacht, das ist irgendwie ganz cool und vielleicht eine Sache, die man in fünf Jahren mal angehen sollte. Inzwischen haben wir eine ganze Reihe solcher digitalen Maßnahmen aus dem Boden gestampft – und das jeweils in einem sportlichen Zeitrahmen.
Unsere Branche wird in zwölf bis 18 Monaten nicht mehr mit dem Engpass „Verkaufen können“ konfrontiert sein, sondern mit Kostenerhöhungen in der Supply Chain. Es wird um Pricing-Power gehen: Wer ist in der Lage, Preise zu erhöhen? Wer das nicht kann, wird kein Geld mehr verdienen.
Und werden diese Dinge nach Corona auf der Tagesordnung bleiben?
Ganz bestimmt. Auf der anderen Seite ist der persönliche Kontakt unverzichtbar.
Werden Handel und Industrie dann auch wieder auf Messen gehen?
Das hängt nicht von Corona ab, sondern davon, welchen Content die Messen bieten und inwieweit sie sich neu erfinden können. Ich glaube, dass noch etwas anderes passieren wird: Unsere Branche wird in zwölf bis 18 Monaten nicht mehr mit dem Engpass „Verkaufen können“ konfrontiert sein, sondern mit Kostenerhöhungen in der Supply Chain. Es wird um Pricing-Power gehen: Wer ist in der Lage, Preise zu erhöhen? Wer das nicht kann, wird kein Geld mehr verdienen.
Wo zu viel Ware am Markt ist, werden die Preise doch eher sinken.
Das stimmt. Aber die Kostenerhöhungen in der Beschaffung und Logistik sind ebenso Fakt. Wer das nicht wegfedern kann, der wird wieder nach Unterstützung rufen müssen.
Du bist 1986 mit 25 Jahren ins Familienunternehmen eingestiegen. Kam für Dich jemals etwas anders in Frage? Überwog das Pflichtgefühl oder die Lust?
Meine Eltern haben nie Druck gemacht oder eine Erwartungshaltung formuliert. Natürlich war die vorhanden, das ist ja logisch. Meine Eltern haben mir aber letztlich vorgelebt, dass es sich um eine schöne Aufgabe handelt. Nicht jeden Tag, aber überwiegend. Das macht Familienunternehmen aus: LeidenSchaft. Das versuchen meine Frau und ich mit unseren Kindern genauso zu halten. Es kommt darauf an, was man als Eltern vermittelt. Ist das ein positives Bild? Oder ist man permanent genervt vom Alltag und den sogenannten Stakeholdern, mit denen man zu tun hat?
Gab es den einen Moment, wo Dein Vater Dich beiseite genommen hat und Dich gefragt hat: Willst Du es machen?
Ich kann erzählen, wie das eine Generation vorher bei meinem Vater war. Der war jüngstes von vier Kindern, es gab noch zwei Schwestern und den ältesten Sohn Ludwig. Hubert sollte Pfarrer werden oder Mathematikprofessor oder so. Als Ludwig in Russland gefallen war, hieß es: Hubert, du übernimmst dieses Unternehmen. Da gab es gar keine Diskussion. Das war dann 30 Jahre später glücklicherweise etwas anders. Mein Vater hat den Generationswechsel sehr gut gemanagt, er hat ziemlich radikal losgelassen und mich machen lassen. Was gut war. Es war für mich die normalste Sache, und ich habe es nie bereut.
Nun läuft sich bei Schöffel die nächste Generation warm. Ich nehme an, dass Du Dir schon wünschst, dass Deine Kinder das Unternehmen auch in der 8. Generation weiterführen?
Klar. Es wäre falsch, diese Frage zu verneinen. Aber ich wünsche es mir nicht so laut, dass es zur Bürde wird. Es ist ein Angebot. Glücklicherweise sind meine beiden Kinder interessiert. Unsere Tochter Johanna arbeitet im Unternehmen, sie hat aber gesagt, sie wolle keine unternehmerische Verantwortung tragen, das sei nicht ihrs. Mein Sohn Jakob dagegen hat richtig Bock drauf. Der braucht mit seinen 22 Jahren aber noch etwas Zeit, um sein Studium in St. Gallen zu beenden und sich in anderen Unternehmen zu beweisen. Aus heutiger Sicht sind die Weichen für die 8. Generation jedenfalls gestellt.
In 30 Jahren genügt es mit Sicherheit nicht mehr zu wissen, wie man Jacken produziert und vermarktet, sondern da werden ganz andere Dinge relevant sein. Da wird darauf ankommen, die Branche zu challengen.
Das Wollen ist das Eine. Entscheidend ist aber auch das Können. Wie bereitest Du Deinen Sohn vor?
Jakob plant seine Karriere schon selbst. Eltern sollten lediglich Coach sein. Man braucht zudem eine neutrale Draufsicht. Denn natürlich ist das eigene Kind das tollste, schlauste, schönste. Aber das kann eine neutrale Instanz definitiv klarer bewerten. Das macht bei uns der Beirat. Ich finde im Übrigen eine umfassende Ausbildung und internationale Erfahrung wichtig, durchaus auch in anderen Branchen, um eine möglichst unabhängige Sicht auf unser Unternehmen zu bekommen. In 30 Jahren genügt es mit Sicherheit nicht mehr zu wissen, wie man Jacken produziert und vermarktet, sondern da werden ganz andere Dinge relevant sein. Da wird darauf ankommen, die Branche zu challengen. Die Werte, die Kultur unseres Familienunternehmens bekommen unsere Kinder eh mit.
Kann man Menschen zum Unternehmer ausbilden? Oder muss einem das im Blut liegen?
Man kann alles lernen. Die wichtigste Eigenschaft für einen Unternehmer ist sicherlich Beharrlichkeit. Man muss einmal mehr aufstehen können als man hinfällt. Daran erinnert uns die aktuelle Situation wieder. Natürlich hilft Sport, da lernt man auch verlieren. Unternehmertum entscheidet sich an den Schlechtwettertagen. Bei Schönwetter segeln, das kann jeder. Aber Beharrlichkeit, die muss man schon mitbringen.
Welche Fähigkeiten braucht es, um ein Unternehmen wie Schöffel zu führen?
Im mittelständischen Familienunternehmen ist eine Gefahr sehr groß: dass man als Unternehmerin oder Unternehmer auf Claqueure hört oder sie sogar einfordert. Man darf sich selbst nicht so wichtig nehmen, dass man sich zum Maß aller Dinge macht. Ganz im Gegenteil: Als Unternehmer hat man dann einen guten Job gemacht, wenn man ein Team führt, in dem jeder in seinem Bereich besser ist als man selbst. It‘s all about people. Eine wichtige Eigenschaft dabei: Man muss zuhören können. Ansonsten läuft man Gefahr, sich die Welt schönzureden und die Baustellen zu ignorieren.
Was werden denn aus heutiger Sicht für Schöffel die Themen sein, mit denen Du und auch Deine Nachfolger sich beschäftigen werden müssen?
Für uns steht Customer Centricity ganz oben: das Unternehmen konsequent an den Bedürfnissen des Kunden auszurichten, ihn idealerweise zu begeistern. Das ist kein neuer Gedanke, aber die technologische Entwicklung erlaubt es, hier ganz neu zu denken. Das kostet immens Kraft, weil es eine Kulturänderung bedingt. Damit hängen viele andere Themen eng zusammen, die Digitalisierung, die agile Organisation, die sich prozessual am Kunden ausrichtet und sich flexibel auf neue Geschäftsmodelle einzustellen vermag, und so weiter.
Wir haben noch gar nicht über Nachhaltigkeit geredet.
Das ist für mich ein No Brainer. Natürlich ist Nachhaltigkeit gerade in unserer Branche ein Riesen-Thema. Da sitzen bei uns auch die richtigen Leute dran. Aber das Ziel dahinter reicht viel weiter. Als Unternehmer geht es für mich um die Frage: Wie muss ich die Organisation und alles, was damit in Zusammenhang steht, ausrichten, um zukunftsfähig zu sein? Ohne Nachhaltigkeit geht das nicht – das sagt schon das Wort selbst.
Peter Schöffel ist Familienunternehmer in der siebten Generation. Die Firma mit Sitz in Schwabmünchen bei Augsburg wurde 1804 von Georg Schöffel gegründet und gehört heute zu den führenden Anbietern von Outdoorbekleidung in Deutschland.