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Shitstorm in China. Lovestorm in Emmendingen.

Jür­gen Mül­ler

Mon­tag, 22. März. Der Klo­pa­pier-Flag­ship­s­to­re von Blum-Jundt in Emmen­din­gen sorgt für Auf­se­hen. Zei­tun­gen und Fern­se­hen berich­ten, auch pro­fa­shio­nals greift die Gue­ril­la-Akti­on auf. Im Lau­fe die­ser Woche wer­den über 500 Lin­ke­dIn-User den Bei­trag gelikt haben. Inzwi­schen haben sich auch Nach­ah­mer gefun­den. Der Love­storm ist Aus­druck der wach­sen­den Ver­zweif­lung im Ein­zel­han­del. Ein gro­ßes Aus­ru­fe­zei­chen hin­ter dem kaum mehr zu stei­gern­den Coro­na-Ver­druss. Und ein Rie­sen-Fra­ge­zei­chen, was die „Öff­nungs­stra­te­gie“ der Poli­tik angeht.

Am Wochen­en­de haben die in der „Initia­ti­ve Zukunft Han­del“ orga­ni­sier­ten Fili­al­un­ter­neh­men den im Vor­feld der MPK fast schon obli­ga­to­ri­schen Warn­brief ver­schickt. Der Han­del müs­se stell­ver­tre­tend für die Wirt­schaft ein Son­der­op­fer brin­gen, obwohl er nach­weis­lich nicht für die stei­gen­den Coro­na-Inzi­den­zen ver­ant­wort­lich sei. Es sei „das Herz der Innen­stadt“ bedroht: „Wenn die­ses Herz auf­hört zu schla­gen, ver­lie­ren auch unse­re Städ­te Lebens­wer­tig­keit und Aus­strah­lung.“ Das Köl­ner IfH wird das am Mitt­woch mit Zah­len unter­füt­tern: Dem­nach müss­ten bis über­nächs­tes Jahr 80.000 Geschäf­te schlie­ßen, das ist prak­tisch jeder fünf­te Laden.

Auch wenn die Gefahr besteht, dass die Poli­tik ange­sichts der über­all und stän­dig ertö­nen­den Alarm­glo­cken tau­be Ohren ent­wi­ckelt, ist Still­blei­ben in die­ser exis­ten­zi­el­len Situa­ti­on kei­ne Opti­on. Das Aus für etli­che City-Händ­ler und der dro­hen­de Ver­lust von Arbeits­plät­zen sind zudem nicht die ein­zi­gen Fol­gen. Die Kon­se­quen­zen eines weg­bre­chen­den Ein­zel­han­dels für das Sozio­top Innen­stadt wer­den immer noch zu wenig gese­hen.

Viel­leicht ist es auch an der Zeit, die Wahr­heit aus­zu­spre­chen: „Die Innen­stadt braucht den Han­del“, so ein Gesprächs­part­ner die­ser Tage. „Aber der Han­del braucht die Innen­stadt nicht mehr.“ Waren­ver­sor­gung lässt sich auch anders orga­ni­sie­ren, wie wir alle spä­tes­tens mit der Pan­de­mie gelernt haben. Poli­ti­ker, denen ihre Kom­mu­ne am Her­zen liegt, soll­ten das durch­aus als Dro­hung ver­ste­hen. Es geht auch um die Finan­zie­rung des Gemein­we­sens. Man braucht nur einen Blick auf die gera­de kol­por­tier­ten Ama­zon-Ergeb­nis­se wer­fen: Der US-Onlin­e­gi­gant ist in Euro­pa im ver­gan­ge­nen Jahr um 36 Pro­zent auf 43,84 Mrd. Euro gewach­sen. Und mel­det gleich­zei­tig einen Ver­lust von 1,2 Mil­li­ar­den. Nor­ma­ler­wei­se müss­te man in so einem Fall von Miss­ma­nage­ment aus­ge­hen, und es wür­den Köp­fe rol­len. Wahr­schein­li­cher ist, dass Jeff Bezos sei­nen euro­päi­schen Statt­hal­tern einen Orden fürs Steu­ern­spa­ren umhängt. Ama­zon hat der EU damit gezeigt, was die immer mal wie­der dis­ku­tier­te Digi­tal­steu­er brin­gen wür­de.

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Mitt­woch, 24. März. Das absur­de Hin und Her um das Öff­nungs­ur­teil in NRW am Mon­tag war nur die Ouver­tü­re zu dem his­to­ri­schen Stop and Go der Kanz­le­rin am Diens­tag und Mitt­woch. Oster­ru­he? Gefühlt haben wir die doch bereits das gan­ze Jahr.

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Don­ners­tag, 25. März. Nike distan­ziert sich von den Uigu­ren-Arbeits­la­gern in Chi­na. Und ern­tet damit einen rie­si­gen Shit­s­torm chi­ne­si­scher Kun­den. Das berich­tet der Spie­gel und spe­ku­liert über eine dahin­ter ste­hen­de staat­li­che Kam­pa­gne vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len EU-Sank­tio­nen. So sei auch H&M jetzt ins Visier der staat­li­chen Medi­en gera­ten und Boy­kott­auf­ru­fen aus­ge­setzt; dabei hat­ten die Schwe­den schon vor einem Jahr ange­kün­digt, kei­ne Baum­wol­le aus Xin­jiang ver­wen­den zu wol­len. „Wie kann H&M chi­ne­si­schen Reis essen und dann Chi­nas Topf zer­trüm­mern?“, zitiert der Spie­gel das chi­ne­si­sche Staats­fern­se­hen.

Die Sus­taina­bi­li­ty-Stra­te­gien der glo­ba­len Mode­play­er steu­ern auf einen Stress­test zu. Mit Blick auf die west­li­chen Kon­su­men­ten ver­pflich­ten sich die Brands einer­seits zur Wah­rung von Sozi­al­stan­dards und Men­schen­rech­ten. Ande­rer­seits ecken sie genau damit in Chi­na an, dem Markt, der für alle west­li­chen Brands Wachs­tums­trei­ber und in der aktu­el­len Coro­na-Kri­se nicht sel­ten der Pro­fit­brin­ger ist. SMCP-Chef Dani­el Lalon­de erwar­tet laut TW, dass bis 2025 Chi­na die Hälf­te des Welt­markts aus­macht. Ent­spre­chend wer­den sich die Glo­bal Play­er auf die Chi­ne­sen ein­stel­len und Rück­sicht neh­men müs­sen. “Skan­da­le“ wie Dol­ce & Gab­ba­nas Stäb­chen-Piz­za-Wer­be­spot waren noch Peti­tes­sen, die mit einem unwür­di­gen Mea Cul­pa aus der Welt zu schaf­fen waren. Beim The­ma Xin­jiang ist dies anders, hier müs­sen sich die Brands poli­tisch und mora­lisch posi­tio­nie­ren. Das wird ungleich schwie­ri­ger. Die Bör­sen­kur­se gro­ßer Mode­an­bie­ter wie H&M, Adi­das und Indi­tex sind ges­tern schon mal abge­sackt. Jetzt wird sich zei­gen, wie ernst gemeint die Sus­taina­bi­li­ty-Bekennt­nis­se sind.

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