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Zeitenwende für die Innenstädte

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Jür­gen Mül­ler

So eine Nach­richt hat­ten wir lan­ge nicht: Da nimmt ein Inves­tor eine Mil­li­ar­de in die Hand und baut ein inner­städ­ti­sches Ein­kaufs­zen­trum. Die­se Woche wur­den die Plä­ne für den „Calat­rava-Bou­le­vard“ in Düs­sel­dorf vor­ge­stellt, gestal­tet von und benannt nach dem berühm­ten spa­ni­schen Archi­tek­ten, ein neu­es Shop­ping-Quar­tier mit Kö-Anschluss, das ins­ge­samt 15.000 m² Platz für Luxu­ry Brands bie­tet. Nichts weni­ger als „ein neu­es Wahr­zei­chen für die schöns­te Ein­kaufs­stra­ße Euro­pas“ hat Bau­herr Uwe Rep­pe­ga­ther im Sinn, der die Königs­al­lee damit an die Spit­ze der euro­päi­schen Ein­kaufs­stra­ßen brin­gen möch­te.

Nun könn­te man den­ken, Immo­bi­li­en­pro­fi Rep­pe­ga­ther habe zuviel Geld und ver­wirk­li­che jetzt einen lang­ge­heg­ten Traum. Vor neun Jah­ren, als der Pro­jekt­ent­wick­ler anfing, die Grund­stü­cke an und nahe der Düs­sel­dor­fer Kö zusam­men­zu­kau­fen, war die Welt schließ­lich eine ande­re.

In den Neun­zi­ger und Nuller Jah­ren waren in Deutsch­land Dut­zen­de neue Ein­kaufs­zen­tren gebaut wor­den. Inves­to­ren hat­ten die­se Flä­chen­ex­plo­si­on mit Mil­li­ar­den befeu­ert. Ohne Rück­sicht auf den tat­säch­li­chen Bedarf und orga­nisch gewach­se­ne Struk­tu­ren ent­stan­den vie­ler­orts neue Ver­kaufs­flä­chen, die die Pro­duk­ti­vi­tä­ten der loka­len Han­dels­be­trie­be drück­ten und deren Immo­bi­li­en­ei­gen­tum ent­wer­te­ten. Die­ser Boom ist längst vor­bei. Statt­des­sen floss das Kapi­tal in den Online­han­del, buch­stäb­lich ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te und des­we­gen gleich­falls wett­be­werbs­ver­zer­rend; immer in der Hoff­nung auf den künf­ti­gen gro­ßen Rei­bach, der, wie sich in den letz­ten Mona­ten her­aus­ge­stellt hat, in vie­len Fäl­len noch wei­ter in die Fer­ne gerückt ist.

Spä­tes­tens mit Coro­na lie­ßen die Inves­to­ren end­gül­tig die Fin­ger von Sta­tio­när; der Lock­down war für sie ein Mene­te­kel, dass das Wachs­tum vor­bei ist. Von lan­ger Hand geplan­te Aus­nah­men wie die West­field Mall im Ham­bur­ger Über­see­quar­tier bestä­ti­gen die Regel. Selbst René Ben­ko inves­tiert die Mil­li­ar­den sei­ner Anle­ger größ­ten­teils in die Bestands­op­ti­mie­rung und weni­ger in zusätz­li­che Ein­zel­han­dels­flä­chen.

All das bedeu­tet nicht, dass der Calat­rava-Bou­le­vard in Düs­sel­dorf nicht funk­tio­nie­ren wird, auch wenn an der Königs­al­lee, mit Breu­nin­ger im Kö-Bogen und dem­nächst mit dem neu­en Carsch-Haus der Kade­We Group ein star­ker Wett­be­werb exis­tiert. Es gibt vie­le Brands, die noch nicht an der Kö ver­tre­ten sind. Auch ist die Miet­preis­ent­wick­lung im Luxus­seg­ment immer noch sta­bil. Nach einer gera­de erschie­ne­nen BNP-Stu­die wer­den in vie­len Luxus­la­gen inzwi­schen höhe­re Qua­drat­me­ter­prei­se auf­ge­ru­fen als in den fre­quenz­stär­ke­ren Kon­sum­mei­len. Die­se Flä­chen wer­den halt nicht sel­ten aus dem Wer­be­etat quer­sub­ven­tio­niert. Ein Kil­ler könn­te das neue Quar­tier indes für die in die Jah­re gekom­me­ne Kö-Gale­rie wer­den. All­zu vie­le Luxus-Mie­ter beher­bergt die von der ECE gema­nag­te Mall nicht mehr, aber der zusätz­li­chen Fre­quenz­ver­la­ge­rung hät­te die Ein­kaufs­pas­sa­ge mit ihrem 80er Jah­re-Ambi­en­te wenig ent­ge­gen­zu­set­zen.

Einkaufen dürfte für die Innenstädte künftig weniger von Bedeutung sein. Es bedarf einer neuen Vision, Gestaltungswillens und viel Kapitals, um diese Standorte auch im wirtschaftlichen Interesse vital zu halten.

Trotz­dem hat der Düs­sel­dor­fer OB Grund, sich über die leben­di­ge Han­dels­sze­ne sei­ner Stadt zu freu­en. Andern­orts wird die Ent­wick­lung den Kom­mu­nal­po­li­ti­kern dage­gen eher Sor­gen­fal­ten auf die Stirn trei­ben. Der Ein­zel­han­del durch­lebt gera­de eine his­to­ri­sche Schlie­ßungs­wel­le. Allen vor­an die Waren­häu­ser. Wie­vie­le Stand­or­te Gale­ria auf­ge­ben wird, ist noch unklar. In Medi­en­be­rich­ten ist mal von 60, mal von 80 die Rede. Bei der letz­ten Insol­venz vor zwei Jah­ren waren es bereits ein­mal 40 Häu­ser. Orsay und Con­rad sind größ­ten­teils abge­wi­ckelt. Auch Görtz schließt etli­che Filia­len, Sala­man­der ist insol­vent. Schlie­ßungs­pro­gram­me lau­fen offen­bar auch bei C&A und Pri­mark. Von den vie­len unbe­kann­ten Ein­zel­kämp­fern nicht zu reden. Seit 2019 haben in Deutsch­land 41.000 Geschäf­te geschlos­sen, bald drei­mal so vie­le wie in so einem Zeit­raum üblich. Die Zahl der Läden ist auf 312.000 gesun­ken. Expan­si­ve Filia­lis­ten wie Pep­co und Wool­worth wer­den die ent­ste­hen­den Lücken nicht fül­len kön­nen. Für das Bild der Innen­städ­te sind die­se Anbie­ter ohne­hin meist eher kein Gewinn. Mit stei­gen­dem Leer­stand sinkt die Attrak­ti­vi­tät von Han­dels­stand­or­ten. Vie­ler­orts wird sich die Abwärts­spi­ra­le jetzt noch schnel­ler dre­hen. Es ist eine Zei­ten­wen­de für die Innen­städ­te.

Das eröff­ne auch Chan­cen, schreibt Archi­tek­tur­kri­ti­ker Ger­hard Mat­zig dazu die­se Woche in der SZ. Über­all in den Städ­ten wer­de beklagt, dass es kei­nen Platz gebe für bezahl­ba­re Woh­nun­gen, eine Renais­sance des Hand­wer­ker­tums in der zuvor ent­misch­ten Stadt oder lebens­not­wen­di­ge Grün­zo­nen. Ange­trie­ben von Mega­trends wie Kli­ma­wan­del und Ver­kehrs­wen­de, Digi­ta­li­sie­rung und ande­ren gesell­schaft­li­chen Dyna­mi­ken stün­den ange­stamm­te Raum­mus­ter zuneh­mend unter Druck. Es ent­stün­den dadurch Frei­räu­me, sprich: “qua­drat­ki­lo­me­ter­gro­ße Chan­cen, Städ­te neu und bes­ser zu erfin­den”, so Mat­zig.

Aus Sicht eines Ein­zel­händ­lers, der von sei­nem Stand­ort lebt, klingt das natür­lich zynisch. Aber es liegt auf der Hand, dass Ein­kau­fen für die Innen­städ­te künf­tig weni­ger von Bedeu­tung sein wird und es einer neu­en Visi­on, Gestal­tungs­wil­lens und viel Kapi­tals bedarf, um die­se Stand­or­te auch im wirt­schaft­li­chen Inter­es­se vital zu hal­ten.