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Das Teuerste ist, was man nicht macht

Die Krise erfordert neue Prioritäten. Stefan Wenzel hat ein paar Denkanstöße fürs nächste Strategie-Meeting.
Stefan wenzel
Ste­fan Wen­zel

Im Busi­ness ist es wie in der Mode: The­men kom­men und gehen, man­che blei­ben. Als ich vor über einem Jahr an glei­cher Stel­le schrieb, man sol­le beim The­ma Meta­ver­se nicht den Kopf in den Sand ste­cken, aber auch nicht ins grel­le Licht flie­gen, gab es viel Zuspruch. Inzwi­schen haben die Kryp­to-Eis­zeit und die sich in ihrem Wert selbst auf­lö­sen­den NFTs den Tech-Dys­pho­ri­kern viel Rücken­wind gege­ben. Den­noch gibt es nicht weni­ge, die gleich auf den Zug auf­ge­sprun­gen sind und zuguns­ten des hel­len Web3-Lichts weni­ger strah­len­de The­men hin­ten­an­ge­stellt haben. Alles eine Fra­ge der Oppor­tu­ni­täts­kos­ten.

Seit Novem­ber gibt es mit ChatGPT ein neu­es hel­les Licht. Vie­le der selbst­er­nann­ten Web3-Exper­ten sat­teln nun auf künst­li­che Intel­li­genz um. Damit gibt es nicht nur ein neu­es Spiel­zeug für Lin­ke­dIn-Poe­ten aller Hier­ar­chie­ebe­nen und Fach­rich­tun­gen, son­dern wohl kaum eine Kon­zern­zen­tra­le, in der nicht mit Hoch­druck an PR-wirk­sa­men Cases gefeilt wird. Im Zwei­fel auch auf Kos­ten weni­ger strah­len­der The­men und damit wie­der eine Fra­ge der Oppor­tu­ni­täts­kos­ten.

Das ana­lo­ge Lager lächelt bei sol­chen Wel­len mit­lei­dig amü­siert und ver­weist ger­ne auf sein hemds­är­me­li­ges Tages­ge­schäft. Dort kämpft man zwar nicht mit strah­len­den digi­ta­len The­men, bräuch­te aber ange­sichts schwa­cher Fre­quen­zen, Umsät­ze und Ergeb­nis­se drin­gend Ideen jen­seits des gebets­müh­len­ar­tig pro­kla­mier­ten (und nicht sel­ten unver­nünf­ti­gen) Kanons von Expan­si­on und Omnich­an­nel.

So unter­schied­lich sie sind, eines haben das grel­le Licht der digi­ta­len Bla­se und die aus­ge­tre­te­nen Pfa­de der Tra­di­tio­nel­len gemein­sam: Sie len­ken ab. Aber da die Kri­se den Blick auf Oppor­tu­ni­täts­kos­ten und Prio­ri­tä­ten ver­än­dert hat, lohnt es sich, neu nach­zu­den­ken. Hier sind drei alter­na­ti­ve Denk­an­stö­ße fürs nächs­te Stra­te­gie-Mee­ting:

Hebel nut­zen: von hin­ten nach vor­ne opti­mie­ren. Wer nicht das Kapi­tal und die Res­sour­cen für die gleich­zei­ti­ge Arbeit am gesam­ten Trich­ter hat, soll­te auf Wir­kung opti­mie­ren. In der Regel dis­ku­tiert man aber mehr und län­ger über die Models auf den Wer­be­mit­teln, über die Schau­fens­ter­ge­stal­tung oder der Look der Web­shop-Start­sei­te als über die Effi­zi­enz des Check­outs, die Retou­ren­quo­te, die logis­ti­sche Effi­zi­enz der ver­schie­de­nen Omnich­an­nel-Lager oder die Über­hang- und Abschrif­ten­quo­te. Es scheint in der Natur der Sache zu lie­gen, dass wir uns mehr für den vor­de­ren Teil des Kauf­trich­ters inter­es­sie­ren. So ver­ständ­lich das ist, so falsch ist es in Bezug auf die Hebel­wir­kung. Denn je wei­ter hin­ten im Trich­ter die Maß­nah­me ansetzt, des­to höher ist der Wir­kungs­grad und damit die Ergeb­nis­wir­kung.

Die Hebel­wir­kung der Arti­kel-Detail­sei­te auf den Umsatz ist zum Bei­spiel deut­lich höher als die der vor­de­ren Ein­stiegs­sei­ten, die Opti­mie­rung des Check-Outs bringt in der Regel am meis­ten. Das Mar­ke­ting­geld für die Brut­to­be­stel­lung ist aus­ge­ge­ben, der oder die Kund:in hat sich durch den Shop und den Check-Out gear­bei­tet, die Logis­tik zum Kun­den ist bezahlt – jeder Punkt weni­ger Retou­ren­quo­te ist damit rei­nes Ergeb­nis. Und die fal­schen Men­gen der fal­schen Ware lie­gen wie Blei im Shop und wer­den image­schä­di­gend mit Rabat­ten raus­ge­drückt. Um auch nur mit 30% Rabatt das glei­che Ergeb­nis zu erzie­len wie mit vol­lem Ver­kaufs­preis, müss­te ein Her­stel­ler aller­dings 100% mehr davon ver­kau­fen. Eine rei­ne Illu­si­on. Statt also reflex­ar­tig in den nächs­ten Euro Brut­to­um­satz oder aus­schließ­lich in Wachs­tum über Neu­kun­den-Gewin­nung zu inves­tie­ren, lohnt es sich, Inves­ti­tio­nen in Bestands­kun­den-Pfle­ge, also CRM, und die sys­te­ma­ti­sche Effi­zi­enz­stei­ge­rung zu prio­ri­sie­ren, sich also zum Bei­spiel um die Redu­zie­rung von Retou­ren, Über­hän­gen und Abschrif­ten zu küm­mern. Das dankt in Zei­ten hoher Kapi­tal­kos­ten und Liqui­di­täts­an­for­de­run­gen nicht nur die GuV, son­dern auch die Umwelt.

Eine Strategie definiert das Spielfeld und legt fest, wie man dort gewinnen möchte. Konkret, spezifisch, handlungsorientiert. Welche Leistung  biete ich wem, wie, wo, damit ich besser bin als die Nummer Eins? Eine solche Klarheit haben die wenigsten. Und damit auch keine Strategie.

Kun­den zuhö­ren, Basics repa­rie­ren. Kaum ein Unter­neh­men, das nicht von sich behaup­tet, kun­den­freund­lich oder gar kun­den­zen­triert zu sein. Aber was weiß man jen­seits von Ziel­grup­pen-Slides und Per­so­nas-Pos­tern wirk­lich über sei­ne Kund:innen? Was nervt sie bei jedem Besuch, bei jeder Bestel­lung? Was ist so gut, dass es sich nie ändern darf? Wel­che The­men haben im letz­ten Monat im Kun­den­ser­vice für Ärger gesorgt, und wer löst die Ursa­chen dahin­ter nach­hal­tig für alle ande­ren? Mit wel­chen Kund:innen machen Sie 80% des Ergeb­nis­ses? Wer sind die zehn Bes­ten und was kau­fen sie wann und war­um am liebs­ten?

Je öfter man bei sol­chen Fra­gen mit den Schul­tern zucken muss, des­to grö­ßer ist die Oppor­tu­ni­tät. Bit­ten Sie Ihre Kund:innen sys­te­ma­tisch und an allen wich­ti­gen Stel­len im Pro­zess um Feed­back. Vor allem dort, wo es weh tut. Sam­meln Sie nicht nur Ster­ne für die Selbst­dar­stel­lung, son­dern bit­ten Sie auch um freie Ant­wor­ten. Wer­ten Sie das Feed­back kon­ti­nu­ier­lich aus, reagie­ren Sie ins­be­son­de­re auf jede mit­tel­mä­ßi­ge oder schlech­te Bewer­tung mit einem Fol­low-Up, das von einer ver­tie­fen­den Klä­rung über einen Kor­rek­tur­be­richt bis hin zur Wie­der­gut­ma­chung reicht.

Dafür gibt es Tools und Lösun­gen, zu hoher Auf­wand ist kein Argu­ment. Füh­ren Sie ein Ticket­sys­tem für alle kun­den­re­le­van­ten The­men und Pro­zes­se ein, damit Sie sehen, was nicht funk­tio­niert und wie schnell die Ursa­chen beho­ben wer­den. Was zwi­schen den Teams per Email läuft, liegt im toten Win­kel für Opti­mie­rung. Und: Fül­len Sie min­des­tens 50 Pro­zent der Pro­jekt-Road­map für die nächs­ten zwölf Mona­te kon­se­quent und kon­ti­nu­ier­lich mit den Top 3‑Themen aus dem Kun­den­feed­back. Das ist so ein­fach wie es sich anhört. Macht aber kaum jemand.

Stra­te­gie statt Plä­ne. Stra­te­gie, das klingt abge­dro­schen und nach theo­re­ti­scher Pflicht­übung. Haben wir, ist doch alles klar. Wirk­lich? Eine Stra­te­gie defi­niert das Spiel­feld und legt fest, wie man dort gegen die ande­ren gewin­nen möch­te. Kon­kret, spe­zi­fisch, hand­lungs­ori­en­tiert. Wel­che Leis­tung, wel­ches Ange­bot bie­te ich wie wel­chen Kun­den­seg­men­ten in wel­chen Län­dern, damit ich bes­ser bin als die jewei­li­ge aktu­el­le Num­mer Eins? Eine sol­che Klar­heit haben die wenigs­ten. Und damit eben auch kei­ne hilf­rei­che Stra­te­gie.

Klingt pro­fan? Schrei­ben Sie es spon­tan kurz auf, es wird Ihnen über­ra­schend schwer­fal­len. Klingt zu groß, weil Sie nicht die Num­mer Eins sein wol­len? Um die füh­ren­de Läu­fe­rin auch nur ein­zu­ho­len, muss man schnel­ler lau­fen als sie. Inso­fern wird auch etwas mehr Ehr­geiz nicht scha­den. Expan­si­on, Tech­no­lo­gie­ein­füh­rung, Markt­platz, Rebran­ding, neue Mar­ke­ting­ka­nä­le oder die Opti­mie­rung all des­sen sind übri­gens Plä­ne zum Mit­spie­len, kei­ne Stra­te­gie. Aber gut mit­spie­len wird auf Dau­er für vie­le nicht rei­chen. Und gewin­nen macht nicht nur Spaß.

Ste­fan Wen­zel ist seit mehr als 20 Jah­ren im Digi­ta­len Han­del und einer der pro­fi­lier­tes­ten Köp­fe der Bran­che. Sei­ne Vita beinhal­tet unter ande­rem Sta­tio­nen als Geschäfts­füh­rer für Unter­neh­men wie Ebay, brand4friends, Otto, Mexx und Tom Tail­or Digi­tal. Ste­fan Wen­zel unter­stützt Fir­men, Grün­der und Geschäfts­füh­rer als digi­ta­ler Bei­rat, ist regel­mä­ßi­ger Spre­cher auf Fach­kon­fe­ren­zen, Inter­­­­­­­view- und Pod­­­­­­­cast-Gast. www.stefanwenzel.com

Bei­trä­ge von Ste­fan Wen­zel