Die einen suchen kommerziellen Anschluss, die anderen eine Plattform für ihre Geschäfte: Warum finden Berlin und das Modebusiness trotzdem nicht zusammen?
Möglicherweise liegt es an falschen Erwartungen und Missverständnissen. Die Berlin Fashion Week begann bereits mit einem: Greenpeace schüttete am Montagfrüh einen Haufen Altkleider am Brandenburger Tor aus, um gegen Fast Fashion zu protestieren. In Berlin sind die Umweltschützer damit freilich an der falschen Adresse, denn hier wird von den Modemachern wie nirgendwo sonst das Thema Nachhaltigkeit propagiert. Die Aktivisten sollten sich lieber von der Primark-Zentrale in Dublin abseilen. Oder besser noch am DE-CIX festkleben, dem Betreiber von Deutschlands größtem Internetknoten in Frankfurt, denn darüber kommen Shein und Temu auf die Handys.
Die Greenpeace-Aktion ging aber auch an der hiesigen Industrie vorbei. Denn es war so gut wie niemand vor Ort. Einzig Marc Cain nutzte den Termin noch zur Contentproduktion. Die Schwaben schafften es erneut, eine Handvoll hochkarätiger Einkäufer zur Reise in die Hauptstadt zu bewegen. Es waren weniger als sonst. Gut vorstellbar, dass man auch in Bodelshausen über Alternativen zu Berlin nachdenkt.
Was durch den gemeinsamen Termin mit der Premium (R.I.P.) bislang verdeckt wurde, tritt jetzt offen zutage: Handel und Industrie haben Berlin als Business-Standort abgehakt. Über die Trends und das Angebot der Lieferanten informiert man sich anderswo. Wo genau, das ist zumindest für den größten Markt, die DOB, freilich unklar.
Dabei wünschen sich viele einen zentralen Treffpunkt. "Wir wollen eine große Messe", so der neue BTE-Präsident Marc Rauschen neulich in der TW fast trotzig. Mag sein, dass bei diesem Wunsch der Branche auch Nostalgie mitspielt. Ganz sicher hätte ein einziger Termin, wo sich alle über die nächste Saison austauschen können, Effizienzvorteile. Das wird es in der gehabten Form einer Messe trotzdem nicht mehr geben, jedenfalls in Deutschland. Dagegen spricht nicht nur die Infrastruktur an denkbaren Orten wie Düsseldorf, sondern auch der generelle Strukturwandel der Branche.
Was die wirtschaftliche Relevanz angeht, macht man sich in der Hauptstadt etwas vor. Subventionen brauchen eine Rechtfertigung.
Es geht also darum, über alternative Formate nachzudenken und neue Anlässe zu schaffen. Berlin wäre eigentlich der ideale Ort dafür. Denn hier gibt es all das, was die Modeleute andernorts immer vermisst haben: eine urbane Subkultur, passionierte Talente, ein modebegeistertes Publikum, ein riesiges kreatives Ökosystem, die internationale Strahlkraft einer globalen Metropole.
Allein, es sieht nicht so aus, als käme es in absehbarer Zeit zu einer solchen Wiedervereinigung von Kommerz und Kreativität. In Berlin hat sich eine modische Parallelwelt herausgebildet. Diese agiert losgelöst vom Markt, subventioniert vom Senat, in der Hoffnung, dass aus einem zarten Pflänzchen mal ein tragfähiger Baum wird. Initiativen wie der Fashion Council Germany sind zu begrüßen und leisten gute Arbeit. Aber was sagen eigentlich die Industrieverbände Germanfashion und BTE dazu, dass sich der FCG als Interessenvertretung für Mode "designed in Germany" positioniert? Reden die miteinander?
Was die wirtschaftliche Relevanz angeht, macht man sich in der Hauptstadt jedenfalls etwas vor. Subventionen brauchen eine Rechtfertigung. Was in Berlin über die Laufstege geht, ist von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht marktgerecht, schon gar nicht für die ohnehin wenig modeaffine deutsche Kundschaft. Und die internationalen Buyer fahren nach Paris und Mailand, wenn sie Designermode einkaufen wollen. Gehypte Newcomer wie GmbH oder Achtland (wer erinnert sich?) sind abgewandert oder eingestellt, kaum ein Label existiert länger als ein paar Saisons. Eine etablierte Marke wie Lala Berlin ging unlängst insolvent und wird jetzt von den Rellecke-Brüdern aus Münster kommerzialisiert.
Es mag sein, dass Berlin, wie Alfons Kaiser gestern in seinem FAZ-Leitartikel schwärmte, mit seiner subkulturellen Entgrenzung und inklusiven Mode eine Berechtigung hat – als Kontrapunkt zum aktuellen Schönheitsideal, das die untergewichtigen jungen Frauen von Paris verkörpern. Gut möglich, dass Berlin damit eher den Zeitgeist widerspiegelt als die Spektakel in Mailand und Paris, wo es weniger um Trends, sondern um Marken geht. Aber ob sich das für die dortigen Designer jemals auszahlt, ist fraglich. Wer heute noch medial durchdringen möchte, muss es sich leisten können, den Pont Neuf zu mieten.
Das einzige Modeunternehmen, das in der Hauptstadt wirklich groß geworden ist, ist Zalando. Und das war kein Herzensprojekt von passionierten Modemachern, sondern ein Tech-Startup von WHU-Absolventen, das heute nur deswegen Mode verkauft, weil sich Schuhkartons seinerzeit besonders gut versenden ließen. Nicht einmal zum Store Check lohnt sich aktuell ein Besuch. Der einzige deutsche Department Store von Weltruf, das KaDeWe, ist insolvent. Mehr als eine Fläche ist dort leergeräumt oder abgesperrt. Und wenn man bei einem Mode-Connaisseur wie Andreas Murkudis durch die Ständer geht, wird man ebenfalls kaum Berliner Designer finden. Er wird wissen, warum.
Für den Handel ist "Mode" ein Produkt, das sich besonders häufig verkauft. Für die Protagonisten der Berliner Modeszene ist "Mode" wahlweise Kunstform, Kulturgut, Selbstverwirklichung oder Statement.
Hier steckt womöglich ein weiteres Missverständnis: Für den Handel ist "Mode" ein Produkt, das sich besonders häufig verkauft. Für die Protagonisten der Berliner Modeszene ist "Mode" wahlweise Kunstform, Kulturgut, Selbstverwirklichung oder Statement. "Ich möchte in einer Welt leben, in der Glitzer regiert", so Kilian Kerners Lautsprecherdurchsage zum Auftakt seiner Show am Mittwoch, unterlegt von Bildern aus Gaza, von Klimaklebern, Trump und AfD. Es war der billige Versuch, neben Instagram auch in den Feuilletons vorzukommen. Namilia zeigte halbnackte Männer mit nietenbesetzem Penis-Futteral. Selbst im Homeoffice kaum tragbar.
Die Designerin Abarna Kugathasan ließ sich für ihre "Kitschy Couture" von den Buttercreme-Geburtstagstorten ihrer Mutter inspirieren. Die Pforzheimerin mit tamilischen Wurzeln erforscht damit, so die Pressemitteilung, "die intime Geschichte ihres transkulturellen Selbst", eine "Zelebrierung ihrer diasporischen Identität". Was der Senatsverwaltung immerhin ein Preisgeld wert war. Oder war die Meldung womöglich ein weiterer Scherz der Platte-Leute, die uns zuletzt mit dem Adidas-Prank genarrt hatten?
Wer Geld in Ware investiert, die er ein halbes Jahr später verkaufen möchte, wird wenig Sinn für solche Kapriolen haben. Auf der anderen Seite findet die Berliner Szene das Kommerzielle vermutlich uncool. Bof hat vor Jahren bereits von Berlins "Fetish for Failure" geschrieben (Danke für den Hinweis, Carl).
Aber vielleicht sollte man sich gar nicht so viele Gedanken über modische und kommerzielle Relevanz machen. In Italien und Frankreich haben Messen und Schauen auch nicht zwangsweise miteinander zu tun. Dort nutzt die nationale Industrie die Fashion Weeks freilich für Präsentationen. Es steht im Übrigen ja jedem frei, ein paar inspirierende Tage in der Hauptstadt zu verbringen. Adriano Sack hat möglicherweise recht, wenn er in seinem WELT-Kommentar für Gelassenheit plädiert: "Sobald die Berlin Fashion Week sich locker macht, von falschen Erwartungen löst und sich auf ihre eigenen potenziellen Stärken besinnt, gibt es gar kein Problem mehr."
Vielleicht hat er sich aber auch nur von der Berliner Nonchalance anstecken lassen. "Freiheit ist unser Markenkern", so Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey am Mittwoch auf dem FAZ-Podium. Weswegen auch die Mode so gut zur Stadt passe. Am darauffolgenden Donnerstagmorgen verteidigte sie in einem Streitgespräch im Frühstücksfernsehen vehement das Konzept des Warenhauses. Wenn Galeria oder KaDeWe Geld brauchen, dann wissen sie jetzt, wohin sie sich wenden müssen.