Passiert large

Wo Glitzer regiert

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Jür­gen Mül­ler

Die einen suchen kom­mer­zi­el­len Anschluss, die ande­ren eine Platt­form für ihre Geschäf­te: War­um fin­den Ber­lin und das Mode­busi­ness trotz­dem nicht zusam­men?

Mög­li­cher­wei­se liegt es an fal­schen Erwar­tun­gen und Miss­ver­ständ­nis­sen. Die Ber­lin Fashion Week begann bereits mit einem: Green­peace schüt­te­te am Mon­tag­früh einen Hau­fen Alt­klei­der am Bran­den­bur­ger Tor aus, um gegen Fast Fashion zu pro­tes­tie­ren. In Ber­lin sind die Umwelt­schüt­zer damit frei­lich an der fal­schen Adres­se, denn hier wird von den Mode­ma­chern wie nir­gend­wo sonst das The­ma Nach­hal­tig­keit pro­pa­giert. Die Akti­vis­ten soll­ten sich lie­ber von der Pri­mark-Zen­tra­le in Dub­lin absei­len. Oder bes­ser noch am DE-CIX fest­kle­ben, dem Betrei­ber von Deutsch­lands größ­tem Inter­net­kno­ten in Frank­furt, denn dar­über kom­men Shein und Temu auf die Han­dys.

Die Green­peace-Akti­on ging aber auch an der hie­si­gen Indus­trie vor­bei. Denn es war so gut wie nie­mand vor Ort. Ein­zig Marc Cain nutz­te den Ter­min noch zur Con­tent­pro­duk­ti­on. Die Schwa­ben schaff­ten es erneut, eine Hand­voll hoch­ka­rä­ti­ger Ein­käu­fer zur Rei­se in die Haupt­stadt zu bewe­gen. Es waren weni­ger als sonst. Gut vor­stell­bar, dass man auch in Bodels­hau­sen über Alter­na­ti­ven zu Ber­lin nach­denkt.

Was durch den gemein­sa­men Ter­min mit der Pre­mi­um (R.I.P.) bis­lang ver­deckt wur­de, tritt jetzt offen zuta­ge: Han­del und Indus­trie haben Ber­lin als Busi­ness-Stand­ort abge­hakt. Über die Trends und das Ange­bot der Lie­fe­ran­ten infor­miert man sich anders­wo. Wo genau, das ist zumin­dest für den größ­ten Markt, die DOB, frei­lich unklar.

Dabei wün­schen sich vie­le einen zen­tra­len Treff­punkt. “Wir wol­len eine gro­ße Mes­se”, so der neue BTE-Prä­si­dent Marc Rau­schen neu­lich in der TW fast trot­zig. Mag sein, dass bei die­sem Wunsch der Bran­che auch Nost­al­gie mit­spielt. Ganz sicher hät­te ein ein­zi­ger Ter­min, wo sich alle über die nächs­te Sai­son aus­tau­schen kön­nen, Effi­zi­enz­vor­tei­le. Das wird es in der gehab­ten Form einer Mes­se trotz­dem nicht mehr geben, jeden­falls in Deutsch­land. Dage­gen spricht nicht nur die Infra­struk­tur an denk­ba­ren Orten wie Düs­sel­dorf, son­dern auch der gene­rel­le Struk­tur­wan­del der Bran­che.

Was die wirtschaftliche Relevanz angeht, macht man sich in der Hauptstadt etwas vor. Subventionen brauchen eine Rechtfertigung.

Es geht also dar­um, über alter­na­ti­ve For­ma­te nach­zu­den­ken und neue Anläs­se zu schaf­fen. Ber­lin wäre eigent­lich der idea­le Ort dafür. Denn hier gibt es all das, was die Mode­leu­te andern­orts immer ver­misst haben: eine urba­ne Sub­kul­tur, pas­sio­nier­te Talen­te, ein mode­be­geis­ter­tes Publi­kum, ein rie­si­ges krea­ti­ves Öko­sys­tem, die inter­na­tio­na­le Strahl­kraft einer glo­ba­len Metro­po­le.

Allein, es sieht nicht so aus, als käme es in abseh­ba­rer Zeit zu einer sol­chen Wie­der­ver­ei­ni­gung von Kom­merz und Krea­ti­vi­tät. In Ber­lin hat sich eine modi­sche Par­al­lel­welt her­aus­ge­bil­det. Die­se agiert los­ge­löst vom Markt, sub­ven­tio­niert vom Senat, in der Hoff­nung, dass aus einem zar­ten Pflänz­chen mal ein trag­fä­hi­ger Baum wird. Initia­ti­ven wie der Fashion Coun­cil Ger­ma­ny sind zu begrü­ßen und leis­ten gute Arbeit. Aber was sagen eigent­lich die Indus­trie­ver­bän­de Ger­m­an­fa­shion und BTE dazu, dass sich der FCG als Inter­es­sen­ver­tre­tung für Mode “desi­gned in Ger­ma­ny” posi­tio­niert? Reden die mit­ein­an­der?

Was die wirt­schaft­li­che Rele­vanz angeht, macht man sich in der Haupt­stadt jeden­falls etwas vor. Sub­ven­tio­nen brau­chen eine Recht­fer­ti­gung. Was in Ber­lin über die Lauf­ste­ge geht, ist von weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen nicht markt­ge­recht, schon gar nicht für die ohne­hin wenig mode­af­fi­ne deut­sche Kund­schaft. Und die inter­na­tio­na­len Buy­er fah­ren nach Paris und Mai­land, wenn sie Desi­gner­mo­de ein­kau­fen wol­len. Gehyp­te New­co­mer wie GmbH oder Acht­land (wer erin­nert sich?) sind abge­wan­dert oder ein­ge­stellt, kaum ein Label exis­tiert län­ger als ein paar Sai­sons. Eine eta­blier­te Mar­ke wie Lala Ber­lin ging unlängst insol­vent und wird jetzt von den Relle­cke-Brü­dern aus Müns­ter kom­mer­zia­li­siert.

Es mag sein, dass Ber­lin, wie Alfons Kai­ser ges­tern in sei­nem FAZ-Leit­ar­ti­kel schwärm­te, mit sei­ner sub­kul­tu­rel­len Ent­gren­zung und inklu­si­ven Mode eine Berech­ti­gung hat – als Kon­tra­punkt zum aktu­el­len Schön­heits­ide­al, das die unter­ge­wich­ti­gen jun­gen Frau­en von Paris ver­kör­pern. Gut mög­lich, dass Ber­lin damit eher den Zeit­geist wider­spie­gelt als die Spek­ta­kel in Mai­land und Paris, wo es weni­ger um Trends, son­dern um Mar­ken geht. Aber ob sich das für die dor­ti­gen Desi­gner jemals aus­zahlt, ist frag­lich. Wer heu­te noch medi­al durch­drin­gen möch­te, muss es sich leis­ten kön­nen, den Pont Neuf zu mie­ten.

Das ein­zi­ge Mode­un­ter­neh­men, das in der Haupt­stadt wirk­lich groß gewor­den ist, ist Zalan­do. Und das war kein Her­zens­pro­jekt von pas­sio­nier­ten Mode­ma­chern, son­dern ein Tech-Start­up von WHU-Absol­ven­ten, das heu­te nur des­we­gen Mode ver­kauft, weil sich Schuh­kar­tons sei­ner­zeit beson­ders gut ver­sen­den lie­ßen. Nicht ein­mal zum Store Check lohnt sich aktu­ell ein Besuch. Der ein­zi­ge deut­sche Depart­ment Store von Welt­ruf, das KaDe­We, ist insol­vent. Mehr als eine Flä­che ist dort leer­ge­räumt oder abge­sperrt. Und wenn man bei einem Mode-Con­nais­seur wie Andre­as Mur­ku­dis durch die Stän­der geht, wird man eben­falls kaum Ber­li­ner Desi­gner fin­den. Er wird wis­sen, war­um.

Für den Handel ist “Mode” ein Produkt, das sich besonders häufig verkauft. Für die Protagonisten der Berliner Modeszene ist “Mode” wahlweise Kunstform, Kulturgut, Selbstverwirklichung oder Statement.

Hier steckt womög­lich ein wei­te­res Miss­ver­ständ­nis: Für den Han­del ist “Mode” ein Pro­dukt, das sich beson­ders häu­fig ver­kauft. Für die Prot­ago­nis­ten der Ber­li­ner Mode­sze­ne ist “Mode” wahl­wei­se Kunst­form, Kul­tur­gut, Selbst­ver­wirk­li­chung oder State­ment. “Ich möch­te in einer Welt leben, in der Glit­zer regiert”, so Kili­an Kerners Laut­spre­cher­durch­sa­ge zum Auf­takt sei­ner Show am Mitt­woch, unter­legt von Bil­dern aus Gaza, von Kli­makle­bern, Trump und AfD. Es war der bil­li­ge Ver­such, neben Insta­gram auch in den Feuil­le­tons vor­zu­kom­men. Nami­lia zeig­te halb­nack­te Män­ner mit nie­ten­be­set­zem Penis-Fut­te­ral. Selbst im Home­of­fice kaum trag­bar.

Die Desi­gne­rin Abar­na Kuga­tha­san ließ sich für ihre “Kit­schy Cou­ture” von den But­ter­creme-Geburts­tags­tor­ten ihrer Mut­ter inspi­rie­ren. Die Pforz­hei­me­rin mit tami­li­schen Wur­zeln erforscht damit, so die Pres­se­mit­tei­lung, “die inti­me Geschich­te ihres trans­kul­tu­rel­len Selbst”, eine “Zele­brie­rung ihrer dia­spo­ri­schen Iden­ti­tät”. Was der Senats­ver­wal­tung immer­hin ein Preis­geld wert war. Oder war die Mel­dung womög­lich ein wei­te­rer Scherz der Plat­te-Leu­te, die uns zuletzt mit dem Adi­das-Prank genarrt hat­ten?

Wer Geld in Ware inves­tiert, die er ein hal­bes Jahr spä­ter ver­kau­fen möch­te, wird wenig Sinn für sol­che Kaprio­len haben. Auf der ande­ren Sei­te fin­det die Ber­li­ner Sze­ne das Kom­mer­zi­el­le ver­mut­lich uncool. Bof hat vor Jah­ren bereits von Ber­lins “Fetish for Fail­ure” geschrie­ben (Dan­ke für den Hin­weis, Carl).

Aber viel­leicht soll­te man sich gar nicht so vie­le Gedan­ken über modi­sche und kom­mer­zi­el­le Rele­vanz machen. In Ita­li­en und Frank­reich haben Mes­sen und Schau­en auch nicht zwangs­wei­se mit­ein­an­der zu tun. Dort nutzt die natio­na­le Indus­trie die Fashion Weeks frei­lich für Prä­sen­ta­tio­nen. Es steht im Übri­gen ja jedem frei, ein paar inspi­rie­ren­de Tage in der Haupt­stadt zu ver­brin­gen. Adria­no Sack hat mög­li­cher­wei­se recht, wenn er in sei­nem WELT-Kom­men­tar für Gelas­sen­heit plä­diert: “Sobald die Ber­lin Fashion Week sich locker macht, von fal­schen Erwar­tun­gen löst und sich auf ihre eige­nen poten­zi­el­len Stär­ken besinnt, gibt es gar kein Pro­blem mehr.”

Viel­leicht hat er sich aber auch nur von der Ber­li­ner Non­cha­lance anste­cken las­sen. “Frei­heit ist unser Mar­ken­kern”, so Wirt­schafts­se­na­to­rin Fran­zis­ka Gif­fey am Mitt­woch auf dem FAZ-Podi­um. Wes­we­gen auch die Mode so gut zur Stadt pas­se. Am dar­auf­fol­gen­den Don­ners­tag­mor­gen ver­tei­dig­te sie in einem Streit­ge­spräch im Früh­stücks­fern­se­hen vehe­ment das Kon­zept des Waren­hau­ses. Wenn Gale­ria oder KaDe­We Geld brau­chen, dann wis­sen sie jetzt, wohin sie sich wen­den müs­sen.

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5 Antworten zu “Wo Glitzer regiert

  1. als die Bun­des­re­gie­rung Ber­lin anstatt Bonn zu Ihrer Haupt­stadt erklaer­te, hat Sie ein State­ment gesetzt.

    die wich­tigs­ten ame­ri­ka­ni­schen, fan­zoe­si­schen oder ita­lie­ni­schen Pre­mi­um und Luxus­mar­ken haben Head­quar­ter aehn­li­che Orga­ni­sa­ti­on in NY, Paris und Mai­land. Wo sind die­se Bekennt­nis­se bei den deut­schen Pre­mi­um Mar­ken zur Haupt­stadt – wo auch zusaetz­li­che Talen­te ange­lockt wer­den koenn­ten…

  2. Dear Jürgen…mal wie­der super gut getrof­fen!!!!
    Ein­ge Dei­ner Punk­te habe ich mit Kol­le­gen die Tage auch dis­ku­tiert.
    Wir haben als Mar­ke Next G+U.R+U Now nur über 8 Sai­sons mit inter­na­tio­na­lem Ver­trieb nach Japan, USA, UK, und Deutsch­land mit Mien­tus Ber­lin, Ham­burg) Respect­man, und ande­ren muss­te unse­re Kol­lek­ti­on in einer Art auch kom­mer­zi­ell sein, ver­käuf­lich sein. Unse­re Per­fu­me release Gala Moden­schau mit Boy Geor­ge wur­de OHNE jeg­li­che Sub­ven­ti­on durch­ge­führt (Kon­gers­shal­le am Alex). Wir erhiel­ten 2 mal vom Senat als Wir­sct­hafts­för­de­rung einen redu­zier­ten Stand­preis auf der Mes­se SEHM in Paris. Das war es was wir je von Ber­lin als Jung­de­si­gner Unter­stüt­zung erhal­ten haben. Wir haben aber auch nicht mehr erwar­tet. Es war für uns nor­mal das wir unse­re Fir­ma sel­ber stem­men muss­ten. Was auch den Bereich Cat­walk Shows in Paris betraf. Före­drun­gen hal­ten wir exterm wich­tig für auf­stre­ben­de Talen­te. Ein Wort zu NAMILIA: dies ist einer der weni­gen Mar­ken die exterm gut glo­bal ver­kau­fen. Ihre Pro­duk­te sind in den USA, Asi­en und welt­weit begehrt, und preis­lich sehr erschwing­lich (PU und Kunst­fa­sern sind natür­lich auch real­tiv güns­tig). Ver­kauft wer­den vor allem die Pro­duk­te die auf der Show in Ber­lin nur sel­ten gezeigt wur­den. Hoo­dies, Biker Pants, Tee­es, Caps, klei­ne PU Taschen (ja auch in Penis Form, die ver­kauft sich auch ordent­lich). Also funk­tio­niert es bei Nami­lia wie bei den meis­ten ande­ren Show Kol­lek­tio­nen: Show OFF ist das eine aber das was im Show­room hängt ist oft etwas ande­res. UND: Esther Per­bandt (einer der Ber­li­ner Desi­gner die wie ein Fels in der Bran­dung steht!!! RESPEKT) hat die­se Sai­son nicht gezeigt. Es gibt Grün­de dafür.…für wen??? Für Ihre Fans ??? die schät­zen Sie sowieso…Ihre Kun­den ? Sie macht kei­ne Order Kol­lek­ti­on mehr, da der Markt für inde­pen­dent Desi­gner Modes­welt­weit geschrumpft ist. Sie ver­kauft online und Ihrem Store in Mit­te, sie macht kei­nen Sale, rich­tig so. Dan­ke Dir für Dei­nen Arti­kel, ich woll­te nur auf den Erfolg hgin­ter dem NAMILIA Show Off hin­wei­sen. Dafür bewun­de­re ich die bei­den Grün­der sehr. Best Gruss, Mar­tin

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