Eine der interessantesten Neueröffnungen der Saison findet sich im Untergeschoss des Münchner Karlsplatzes. In den Stachus-Passagen hat Decathlon Ende Februar seine jüngste Filiale aufgemacht. Ein zunächst unscheinbarer Laden in frequenzstarker, aber wenig repräsentativer Lage. Normalerweise kommen Flagships und Pilotstores anders daher.
Der französische Sportriese (fast 70.000 Mitarbeiter, 9 Milliarden Euro Umsatz, über 1000 Filialen in 29 Ländern) expandiert bekanntlich seit den 80er Jahren auch hierzulande, sehr lange sehr zaghaft, in letzter Zeit aber zunehmend dynamisch. Das Format ist mit Riesen-Flächen auf der Grünen Wiese groß geworden.
Ein so kleiner Store in zentraler City-Lage ist für die Franzosen neu. Neu ist vor allem das Konzept von Decathlon Connect: Es gibt auf den gut 200 m² eine kleine Auswahl von Artikeln zum Anfassen und Kaufen. Vor allem aber hat man die Möglichkeit, das komplette Sortiment auf einem Riesen-Screen online zu sichten und zu ordern. Und es gibt eine Abholstation für Bestellungen. Bei dem in Stuttgart geplanten, lediglich 50 m² großen Decathlon Connect-Store dürfte der Showroom-Charakter noch mehr im Vordergrund stehen.
Decathlon bringt mit dem Store sein riesiges Sortiment via Internet auf ein Boutiquen-Format. Der Laden schafft Präsenz in Innenstadtlagen, wo ein 10.000 m² großer Fachmarkt kaum profitabel zu betreiben wäre. Er erreicht damit auch Kunden, die nicht auf der Grünen Wiese einkaufen und Decathlon womöglich gar nicht kennen. Und er ist natürlich eine Werbefläche, die der innovativen Positionierung der Marke Decathlon dient.
Ob die Kunden das Angebot wahrnehmen, wird man sehen. Auf jeden Fall wird es nicht das letzte Showroom-Format gewesen sein, das in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren aufpoppt. In den USA betreibt der Online-Retailer Bonobos bereits 20 solcher Filialen, in Asien expandiert Zalora mit der Idee. Die Digitalisierung bringt damit nicht nur globale Konkurrenz für den lokalen Einzelhandel. Sondern sie verändert insbesondere die Art und Weise, wie Ware stationär angeboten und verkauft wird. Dabei geht es nicht nur um Multimedia-Gimmicks, mit denen Geschäfte aufgepimpt werden, oder um Technologien, die Verkaufsfläche und Webspace integrieren. Sondern es werden völlig neue, innovative Formate entstehen. Es müssen nicht gleich roboterbetriebene Läden wie bei Hointer oder vollautomatische Umkleiden wie bei Apparently Different sein. Auch Ikea nutzt die neuen Möglichkeiten. So sind die Schweden dabei, weiße Flecken auf der Landkarte unter Umgehung der meist langwierigen Genehmigungsverfahren für Handelsflächen auf der Grünen Wiese zu besetzen. Sie expandieren mit Pick up-Märkten, wo die Kunden die online bestellte Ware abholen können. Sind das nun Läden? Oder Läger? Auf jeden Fall ist es Einzelhandel.
Was bedeutet das für das stationäre Geschäft? Für Einzelhändler, Immobilienbesitzer und Kommunen? Das ist kaum absehbar. “In einigen Jahren wird man keinen Unterschied mehr machen zwischen physischer und virtueller Welt”, so David Bosshart vom GDI. Der Laden werde zur Ableitung vom Gerät. “Das Gerät dominiert. Läden werden unwichtiger.”
Ziemlich sicher ist: Der Laden der Zukunft wird tendenziell kleiner sein – Lagerhaltung in 1a-Lagen ist zu teuer, die Versorgerfunktion übernimmt das Web, das Verkaufsflächenwachstum wird sich verlangsamen, die Zentralisierung geht weiter. Der Laden der Zukunft muss andererseits aufregender werden – insbesondere die Großflächen haben nur eine Zukunft, wenn sie übers Einkaufen hinaus soziale Interaktion, Entertainment und Verführung bieten. Jeroen van Rooijen hat das neulich auf Profashionals in eine Liebeserklärung für Läden gekleidet. Das bedeutet Investments in Ladengestaltung, in Warenpräsentation, in Events und in Mitarbeiter. Und ein Verständnis vom Standort als Destination, die von allen Anbietern gemeinsam geprägt wird.
Das heißt nicht, dass Handel zum Zirkus werden muss. Sein Geschäft wird er immer mit Ware machen. Die muss attraktiv sein. Und auch das Schnäppchen kann ein Erlebnis sein. Zara und Deichmann, H&M und Primark werden auch so weiterhin ihr Geschäft machen. Aber insbesondere Großflächenformate im Multilabel-Segment werden ihre Existenzberechtigung täglich durch ihre herausragende Verführungskraft am POS unter Beweis stellen müssen.
Vom Erlebnishandel redet die Branche seit 40 Jahren. Jetzt muss sie Ernst damit machen.
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