Jeroenvanrooijena

Eine Lanze für Läden

Jeroen van Rooijen erklärt, weshalb klassische Läden sehr wohl eine Zukunft haben. Und warum wir den Einzelhandel nicht einem anonymen Heer digitaler Raubritter überlassen dürfen.

Ich möch­te jetzt mal eine Lan­ze bre­chen für den in jüngs­ter Zeit über­all nur noch ver­schmäh­ten und ver­lach­ten sta­tio­nä­ren Ein­zel­han­del, also Bou­ti­quen, Stores, Waren­häu­ser, Fach­ge­schäf­te. Es ist gera­de Mode, die­se zu kri­ti­sie­ren und zu ver­höh­nen. Über­all höre und lese ich, dass das ein aus­ster­ben­des Geschäfts­mo­dell sei. Dass die Zukunft aus Sofa-Men­schen bestehen wird, die im Trai­nings­an­zug zu Hau­se hocken und sich durchs Inter­net kli­cken, um dann dort etwas zu bestel­len, wo es am güns­tigs­ten ist. Der Post­bo­te bringt es dann vor die Haus­tür – und holt es auch wie­der ab, wenn’s nicht passt oder gefällt. Super­be­quem sei das. Online­han­del sei die Zukunft, wird aller­orts laut­hals pos­tu­liert – klas­si­sche Läden hät­ten dage­gen kei­ne Chan­ce.

Ich bin mir da nicht so sicher. Ich wün­sche mir eine sol­che Welt nicht, die nur noch aus Show­rooms und Han­dy-Bou­ti­quen bestellt, wo man sich die Hard­ware zum vir­tu­el­len Ein­kaufs­bum­mel beschafft. Und ich glau­be, dass ich mit die­sem Wunsch nicht allei­ne bin. Auf die Gefahr hin, als Dino­sau­ri­er ver­lacht zu wer­den, sage ich: Ich mag gute Läden, und ich gehe ger­ne in schö­ne Geschäf­te. Das sinn­li­che, hap­ti­sche, drei­di­men­sio­na­le und mensch­li­che Erleb­nis, das sich mir dort im bes­ten Fall bie­tet, hat mir noch kei­ne Web-Platt­form bie­ten kön­nen. Läden sind emo­tio­na­le und kul­tu­rel­le Begeg­nungs- und Erleb­nis­räu­me. Gute Läden zumin­dest. Es gibt gewiss auch ande­re, die kön­nen von mir aus aber tat­säch­lich ger­ne ver­schwin­den.

Will­kom­men in einer ande­ren Welt

Ein gutes Geschäft begrüßt und emp­fängt mich. Nicht ser­vil und arsch­krie­che­risch, son­dern auf Augen­hö­he. Im bes­ten Fal­le ken­ne ich das Per­so­nal oder sogar den Inha­ber, und ich mag die­se Men­schen, weil sie für etwas ein­ste­hen und eine Mei­nung haben. Sie wis­sen oder füh­len, ob ich bera­ten wer­den will oder nur ein biss­chen stö­bern möch­te. Wenn ich sie fra­ge, erzäh­len sie mir Geschich­ten und ver­mit­teln mir Wis­sen. Wäh­rend ich mich durch ein sol­ches Geschäft trei­ben las­se, höre ich Musik, die mir gut tut oder mich inter­es­siert. Es riecht ange­nehm. Ich füh­le schö­ne Mate­ria­li­en, die zu ent­de­cken mich rei­zen. Ich kann Din­ge anfas­sen, dre­hen, aus­pro­bie­ren. Ich sehe inspi­rie­ren­de Arran­ge­ments, Farb­spie­le, Sil­hou­et­ten und bewe­ge mich durch eine anspre­chen­de Welt, die ein guter Laden­be­sit­zer wie ein schlau­er Dra­ma­turg auf­ge­baut hat. Oder wie ein gewief­ter Kura­tor einer Gale­rie oder eines Muse­ums.

Es geht nicht um eli­tä­res Getue oder Luxus – das inter­es­siert sogar Gut­be­tuch­te heu­te nicht mehr. Es sind die emo­tio­na­len Momen­te, auf die es ankommt. Man bie­tet mir einen Kaf­fee oder ein Was­ser an, ganz ohne Ver­pflich­tung. Ich kann mich set­zen und ein­fach ein biss­chen schau­en, wenn ich möch­te. Und wenn ich etwas kau­fe, bekom­me ich es schön ver­packt und mit einem war­men Dank aus­ge­hän­digt. Wenn ich das nächs­te Mal wie­der­kom­me, über­rascht mich mein Lieb­lings­la­den wie­der neu. Er for­dert mich zum Den­ken her­aus. Ein guter Laden schafft neue ästhe­ti­sche Kon­tex­te, die mei­nen Hori­zont erwei­tern und mein Wis­sen ver­tie­fen. Aber er schreit mich nie an, ich sol­le jetzt etwas kau­fen, weil es gera­de extra­güns­tig sei. Dar­auf reagie­re ich schon lan­ge nicht mehr. Der Preis allein ist mir kein aus­rei­chen­der Kauf­im­puls. Schlim­mer noch: Es stößt mich ab, wenn Läden kei­ne ande­re Argu­men­te als Rabat­te haben, um mich anzu­lo­cken. Viel mehr freut es mich, wenn mir unge­fragt und als Beloh­nung für mei­ne Treue mal ein Vor­teil zuteil wird.

Ist Online so viel coo­ler?

Gegen all die­se Fak­to­ren des leben­di­gen, real exis­tie­ren­den Ein­zel­han­dels ist ein Online-Ein­kaufs­er­leb­nis auf dem Screen ein Witz. Ich gucke in ein Bild­schirm­chen und zoo­me stän­dig ein und aus. Ich bin nie sicher, ob etwas auch wirk­lich schön ist, oder nur gut foto­gra­fiert und prä­sen­tiert. Ich zap­pe her­um, bin stän­dig abge­lenkt, ver­glei­che auf ande­ren Sei­ten die Prei­se und Fotos. Am Schluss kli­cke ich irgend­wo auf „kau­fen“ und muss lan­ge Zah­len­rei­hen ein­tip­pen und Boxen ankli­cken. Und schwupp, schon ist wie­der eine Stun­de in ein­sa­mer Mono­to­nie vor dem Lap­top ver­bracht, wo ich sowie­so schon viel zu viel Zeit ver­brin­ge. Scha­de. Sicher, wenn ich im Inter­net ein­kau­fe, dann muss ich mei­ne Tüten nicht nach Hau­se tra­gen. Das ist sicher ein prak­ti­scher Vor­teil von Online-Stores. Dafür muss ich spä­ter eine Kar­ton­kis­te zum Ent­sor­gungs­hof brin­gen. Ob das so viel coo­ler ist? Ich bemit­lei­de die­se Men­schen mit ihren Zalan­do-Päck­chen unter dem Arm irgend­wie.

Natür­lich bestel­le auch ich gewis­se Din­ge des all­täg­li­chen Bedarfs im Netz. Din­ge, die ich ken­ne und nicht mehr aus­pro­bie­ren muss. Sachen, deren Erwerb mir zwar kei­nen Spaß macht, die ich aber benö­ti­ge. Kaf­fee, Papier, Dru­cker­pa­tro­nen oder ande­res Com­pu­ter­zeugs. Aber all das, was ich nicht unbe­dingt brau­che, son­dern haben will, kau­fe ich lie­ber im Ein­zel­han­del. Bei Pro­fis, die etwas von ihrem The­ma ver­ste­hen und sich für etwas ein­set­zen. Ich will aus­wäh­len kön­nen – nicht theo­re­tisch, son­dern tat­säch­lich. Ich will die Online-Händ­ler kei­nes­wegs gering­schät­zen, aber: Das ist ein ande­res Geschäft. Es geht um Lager­be­wirt­schaf­tung und Logis­tik, und das sind Din­ge, die erst ab einer gewis­sen Grö­ße über­haupt Ertrag abwer­fen.

Erfolg ist ein har­tes Brot

Ich weiß aus eige­ner Erfah­rung und eini­gen mehr oder min­der erfolg­rei­chen Feld­ver­su­chen und Betei­li­gun­gen: Guter Ein­zel­han­del ist eine Kunst für sich. Wir haben bei­lei­be auch (noch) lan­ge nicht alles rich­tig gemacht. Ein­zel­han­del ist ein per­ma­nen­ter Lern­pro­zess. Es braucht eine sehr sub­ti­le Abstim­mung aller Fak­to­ren, damit es klappt. Man braucht den rich­ti­gen Ort, ein stim­mi­ges Sor­ti­ment, ein schö­nes Ambi­en­te, schlau­es Per­so­nal, eine durch­dach­te Kom­mu­ni­ka­ti­on, treue Kun­den und eine gute Por­ti­on Glück. Es ist alles ande­re als ein­fach, einen guten Laden zu füh­ren. Und es wird immer schwie­ri­ger.

Ich zie­he mei­nen Hut vor all den Über­zeu­gungs­tä­tern, die es trotz­dem tun und damit ihre Städ­te berei­chern. Ich habe eine Hoch­ach­tung vor den vie­len Front-Mit­ar­bei­tern, die tag­täg­lich für die­se Läden gera­de ste­hen, weil ich weiß, wie hart und anspruchs­voll die­ser Job ist – kör­per­lich wie mensch­lich. Ich kann es auch ver­ste­hen, wenn man­che die­ser Tage der Gering­schät­zung müde sind. Ver­käu­fer soll­ten viel, viel bes­ser bezahlt sein, ihr gesell­schaft­li­cher Sta­tus steht in kei­nem gesun­den Ver­hält­nis zu ihrer Ent­loh­nung. Gute Ver­käu­fer sind lei­der rar, doch die bes­ten sind hart umwor­be­ne Spe­zia­lis­ten. Gute Ver­käu­fer machen sich aber auch bezahlt, weil sie Iden­ti­fi­ka­ti­on schaf­fen und für Umsatz sor­gen.

Ich bin über­zeugt, dass selek­ti­ves und bewuß­tes Ein­kau­fen in mei­ner Stadt und/oder Regi­on auch für mich, als Kon­su­men­ten oder „End­ver­brau­cher“, wie die Deut­schen es ger­ne so häss­lich nen­nen, eine Bür­ger­pflicht ist. Shop­ping ist ein belieb­tes Frei­zeit­ver­gnü­gen, weil es sinn­lich ist. Aber es ist auch ein kul­tu­rel­ler Akt. Wer ein­kauft, tut etwas für sich, aber auch für sei­ne Umge­bung. Des­we­gen kau­fe ich lokal ein. Im Inland. Ein­zel­han­del ist Zivi­li­sa­ti­on und eine Inves­ti­ti­on in sei­ne eige­ne Gesell­schaft. Die­se Errun­gen­schaf­ten soll­ten wir uns nicht ein­fach von einem anony­men Heer digi­ta­ler Raub­rit­ter kaputt machen las­sen, die weder ver­nünf­ti­ge, kul­ti­vier­te Arbeits­plät­ze sichern noch etwas Sub­stan­zi­el­les für unse­re Städ­te tun, son­dern mit ihrem unap­pe­tit­li­chen Ver­drän­gungs­kampf nur für infla­tio­nä­ren Daten- und Waren­ver­kehr sor­gen.

Jero­en van Rooi­jen (45) hat in Zürich Mode­de­sign stu­diert und ist seit Mit­te der 90er Jah­re als Jour­na­list tätig. Er arbei­tet für inter­na­tio­na­le Titel und Maga­zi­ne, am längs­ten (seit 2002) für die „Neue Zür­cher Zei­tung“. Aus­ser­dem ist er Mit­in­ha­ber des Män­ner­mo­de-Geschäfts AP&CO in Zürich sowie des Pop-up Stores Cabi­net.

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20 Antworten zu “Eine Lanze für Läden

  1. Dan­ke für die­sen schö­nen Arti­kel, Sie spre­chen mir aus der See­le 🙂 Ich füh­re seit fünf Jah­ren einen klei­nen und fei­nen Store für Fair Fashion in Müns­ter und genau das von Ihnen beschrie­be­ne schät­zen mei­ne Kun­den: sich beim stö­bern rund­um wohl­füh­len und viel­leicht etwas Schö­nes gefun­den zu haben. Vie­le Grü­ße, Andrea Töb­ben von frau töb­ben green.fair.fashion in Müns­ter

  2. End­lich sagt es mal einer! Schö­ne, gute Geschäf­te sind Teil einer Kul­tur, die ich nicht mis­sen möch­te. Dan­ke für den Arti­kel.

  3. Wun­der­voll auf­ge­schrie­ben was das “Magi­sche” an tol­len Läden ist und war­um Kun­den sie lie­ben und ande­re Kun­den sie dann auch wie­der­ent­de­cken wenn man genug Anonym-Shop­ping hat­te und wie­der nach Per­sön­lich­keit sucht.

    Weil mir klei­ne gute inha­ber­ge­führ­te Läden so gefal­len habe ich Sugar­T­rends gegrün­det. http://www.sugartrends.com
    Es machen schon 190 tol­le Läden auf unse­rer Sei­te mit und man kann online welt­weit lokal stö­bern und ein­kau­fen.

  4. Sehr guter Arti­kel, wir leben unse­re Fach­ge­schäf­te genau­so und die Stamm­kund­schaft schätzt dies. Für uns gilt, das zu pfle­gen, was das Inter­net nicht kann. Wir sind zuver­sicht­lich auf die­se Art und Wei­se auch in Zukunft bestehen zu kön­nen. Unse­re Kun­den spü­ren täg­lich den Spass und die Freu­de, die wir an unse­rer Arbeit haben. Wich­tig ist für den sta­tio­nä­ren Han­del ist, infor­miert zu sein.

  5. Das sehen wir ganz genau­so! Damit man die klei­nen tol­len Bou­ti­quen, die oft ein eben­sol­ches Ein­kaufs­er­leb­nis bie­ten aber oft in Neben­la­gen ver­steckt sind, bes­ser fin­det, haben wir unse­re Local-Shop­ping Platt­form My Fashio­na­ry gegrün­det. Auch wenn wir nicht glau­ben, dass die Zukunft Couch Pota­toes und Web-Shops gehört, glau­ben wir, dass sich vie­le online inspi­rie­ren las­sen, um dann durch­aus im Geschäft ein­kau­fen zu gehen.

  6. Net­ter Arti­kel.
    Auch ich unter­stüt­ze unse­re schö­nen, gewach­se­nen Alt­städ­te sehr ger­ne.

    Nur, aus Zurüch… : ‘wie die Deut­schen es so häss­lich nicht nen­nen’..
    Wie­der mal das bil­li­ge, sub­ver­si­ve Deut­schen bas­hing… Zum lachen irgend­wie.. Ist das ein Trend bei ‘Euch ‘? Scha­de wärs.. Lie­ber mal die eige­ne Selbst­kri­tik hoch hal­ten wie die hie­si­ge – Start up – Lin­ke… 😉

    Gruß aus Ber­lin.

  7. Gott sei Dank…….Wir kämp­fen jeden Tag für “die rea­le Welt des Kau­fend” und sehen uns noch nicht in einer Raum­kap­sel auf der dunk­len Sei­te des Mondes…da wo es dann auch kein Netz mehr gibt……Gott sei Dank…..wir wol­len raus!….raus an die Luft!….in die Läden……und auch ein­mal Zeit mit “Gleich­ge­sinn­ten” ver­brin­gen, die Shop­pen noch als Lust und Frei­zeit­be­schäf­ti­gung emp­fin­den …….Wir unter­stüt­zen die, die alles ver­su­chen etwas Beson­ders zu bie­ten und nicht nur über den Preis Ware “raus­hau­en” zu wol­len.

    ES GIBT NICHT NUR NOCH HOFFNUNG son­dern “UNS ALLE” die an den Ein­zel­han­del glau­ben!!!!!!!!

  8. Ein wun­der­ba­rer Arti­kel, den man unbe­dingt ver­brei­ten soll­te. Ich hof­fe, es ist noch nicht
    zu spät für eine Rück­be­sin­nung zu dem schö­nen Ein­kaufs­bum­mel ande­rer Zei­ten!

    1. Ein Ein­kaufs­bum­mel ist doch das A und O in unse­rem Leben. Wie sieht das aus auf unse­rer Welt, wenn alle Dör­fer und Städ­te tot sind, weil wir kei­ne pri­vat geführ­te Läden auch Gas­tro­no­mien mehr haben. Wie trost­los wür­de doch unse­re schö­ne Welt.

  9. Wir wer­den in abseh­ba­rer Zeit Tra­di­tio­nen wie­der ehren und pfle­gen! In einer Zeit kurz­le­bi­ger Arti­kel ohne See­le und Geschich­te wird sich Sehn­sucht nach Wer­ten ent­wi­ckeln! Dar­an glau­be ich!

  10. tol­ler arti­kel, wert­vol­le per­spek­ti­ve! herz­li­chen dank. auch ich wün­sche mir vie­le sta­tio­nä­re geschäf­te, denen ihre kun­den etwas wert sind. die bereit sind zu inves­tie­ren. in bezie­hung und nicht nur den schnel­len abver­kauf um fast jeden preis.

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