Mit dem Siegeszug von Neureichen-Chic und Logomania befassten sich dieser Tage gleich zwei interessante Artikel.
Für Eugene Rabkin ist der Aufstieg von Labels wie Amiri, Fear of God oder Philipp Plein ein Symptom des Spätkapitalismus. Das schreibt der StyleZeitgeist-Autor in einem Beitrag für Highsnobiety. Anders als früher bei Versace oder Moschino, die ihre laute Mode stets mit einem ironischen Augenzwinkern präsentierten, sagt man heute nicht mehr „Das ist so schlecht, dass es gut ist“, sondern „Das ist so schlecht, es ist schlecht“. „Designer“ wie Mike Amiri oder Philipp Plein pimpten lediglich Alltagsklamotten und verkauften aufgemotzte Hoodies und getunte Jeans, die gleichermaßen vulgär im Look und im Preis seien. Das Ganze sei ein Symptom für die gegenwärtige Phase des Spätkapitalismus, mit seiner Fixierung auf Bilder anstelle von allem Greifbaren, die eine Art Ersatz-Welt geschaffen habe, in der die Menschen die Dinge nicht für sich selbst, sondern für ihre Instagram-Feeds konsumieren.
Keiner wisse heute mehr, was Design wirklich bedeute, klagt Rabkin. Stattdessen sehen wir nur noch ein Bild von Design – eine Kollektion auf dem Laufsteg und am Ende eine Person, die den Beifall einheimst. Die Erkenntnis sei nicht neu, nur würden heute profitgeile Nicht-Designer auf eine reiche und unersättliche Kundschaft treffen, die sich überhaupt nicht für Design interessiert. „Alles, was Sie tun müssen, um einen solchen Verbraucher anzuziehen, ist, dieses Zeug zu nehmen, es über einen Pariser Laufsteg zu schicken und eine Illusion von Knappheit zu erzeugen.“
Es sei ein Missverständnis, dass die Millennials heute besser informiert und weniger anfällig für Werbung seien als frühere Generationen. Im Gegenteil sei der heutige Modekonsument anfälliger für Einflüsse denn je. Es gehe um das richtige Image, die richtige Marke, das richtige Instagram-Selfie. „Er will cool sein und gleichzeitig sozial akzeptiert.“
Der Spätkapitalismus habe eine auffällige Konsumentenklasse mit zu viel Geld und zu wenig Geschmack hervorgebracht, der soziale Medien wie Instagram als Bühne nutze. Der Archetyp des angesagten Role Models ist für Rabkin der Fußballer. Die meisten Spieler hätten keine Ahnung von Mode und orientierten sich deshalb an bekannten Brands wie Philipp Plein oder Balmain. Was Thema in den Umkleideräumen sei, verbreite sich dann in alle Welt. „Sobald du an Messi oder Pogba verkauft hast, hast du an alle dort verkauft. Und sobald du an sie verkauft hast, hast du an ihre Millionen von Fans verkauft.“
„Alle sehen heute gleich aus“, stellt auch Antje Schmelcher in der letzten FAS (Paywall) fest. „Deshalb brauchen sie Logos, an denen man sie erkennen kann.“ In der Mode herrsche der blanke Populismus (weshalb der Beitrag auch im Politikteil erschienen ist), wie bei Donald Trump gehe es nicht mehr um Qualität und Eleganz, um Haltung oder Stil. Den Populisten in der Politik wie in der Mode gehe es ausschließlich um das Image, das nach ständiger Aufmerksamkeit, nach Aktionen, nach Hype verlange. „Understatement war gestern. Heute geht es um ‚Highsnobiety‘.“ Inhalte? Fehlanzeige. Original und Fälschung seien kaum voneinander zu unterscheiden. Ist auch egal. Anything goes, schreibt Schmelcher.
Alle wollen individuell sein, sehen aber letztlich gleich aus. Die Unterscheidung liefert das Logo. Das Logo ist ein Fetisch. Es schenke die Hoffnung, zu einer Gruppe zu gehören. Es soll nicht nur Identität stiften, sondern seinem Träger auch ein gutes Gewissen bescheinigen. Die meisten Menschen suchten etwas, das größer als sie selbst sei. „Aber was bedeutet es, wenn ‚Adidas‘ größer sein soll als man selbst? Gute Frage…
Zum Paradox des Populismus in der Mode gehöre nicht nur die Erhöhung des Logos, sondern auch die Abwertung von Kleidung, stellt Schmelcher fest. „Für die Fashion Victims von heute ist das Preisschild der Ausweis von Stilbewusstsein.“
So kommen die Politikredakteurin und der Modekritiker auf unterschiedlichen Wegen zum selben Punkt. Sie beklagen den durch soziale Medien beförderten Massengeschmack, der nicht der ihre ist. “Der Widerstand gegen den Markenfetischismus hat sich aufgelöst“, klagt Antje Schmelcher. „Ich will nicht in einer Welt leben“, schreibt Eugene Rabkin, „in der Homogenität und schlechter Geschmack herrschen, während wahre Schöpfung und Originalität an den Rand gedrängt werden.“
Hat er eine Wahl?
Die „Demokratisierung der Mode“, die Zara & Co vor Jahren begonnen haben, wird durch die Online-Medien jetzt vollendet. Trends verbreiten sich heute schneller denn je, der Massengeschmack ist durch Instagram & Co sichtbarer und wirkt dominanter. Das plakative Auftreten der Influencer folgt den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie. Sie leben von Klicks. Auch in der Politik fördert social media die Extreme (Trump, Brexit).
Zugleich hat Mode als Distinktionsmedium womöglich an Bedeutung eingebüßt. Das hängt mit der Omnipräsenz auf allen Kanälen und der "Demokratisierung" zusammen, die ja im Kern nur bedeutet, dass Mode heute billiger und für die Masse erschwinglich geworden ist. Die früher stilbildenden Luxus-Konsumenten drücken Zugehörigkeit und Abgrenzung deswegen immer weniger über ihre Kleidung aus (das überlassen sie den trashigen Hiphop-Stars und den Neureichen aus Russland), sondern über den exklusiven Urlaubsort, die „richtige“ Ernährung oder die elitäre Ausbildung der Kinder. Bei den Selfies aus dem Yoga Retreat ist die Kleidung eher Nebensache.
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