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Und alle haben Angst vor Temu

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Jürgen Müller

Am Anfang war die Angstpyramide. „Das Handwerk hat Angst vor dem Fachhandel. Der Fachhandel hat Angst vor dem Kaufhaus. Das Kaufhaus hat Angst vor dem Onlineshop. Der Onlineshop hat Angst vor Amazon.

Und alle haben Angst vor Temu!“

Mit diesem Chart hatte Digital-Experte Johannes Altmann das Thema der K5 gesetzt. „We own the future“ lautet der siegesgewisse Slogan des jährlichen E‑Commerce-Klassentreffens in Berlin. An diesem Dienstag wurden erstmals Zweifel an dieser Zukunftsfähigkeit – wenn nicht der Branche, so doch mancher Player – laut. Who owns the future wirklich?

Das rasante Wachstum der chinesischen Konkurrenz erschüttert vermeintliche Gewissheiten und lässt selbst die Hockeystick-Fraktion unter den Online Retailern staunen. Die Angreifer des letzten Jahrzehnts werden zu Gejagten. Während die hiesigen Anbieter restrukturieren und sparen, weil die Geldgeber Profit sehen wollen, haben Temu, Shein & Co in Windeseile einen relevanten Marktanteil erobert. Ihre Billigangebote treffen den Nerv der Kundschaft, die nicht etwa konsummüde ist, sondern nur nicht mehr so viel Geld ausgeben kann oder will.

Weil Temu aufgrund seines starken Heimatmarktes extrem tiefe Taschen hat, kann der Online-Riese sein globales Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste vorantreiben. Dies machte China Tech-Experte Ed Sander in seiner hervorragenden Präsentation deutlich. Das wird zudem noch subventioniert vom chinesischen Staat, der im Rahmen der Silk Road E‑Commerce Initiative ein Infrastrukturprogramm für Online Retailer aufgelegt hat. „Die größte Gefahr ist, Temu zu unterschätzen“, warnt Sander. Denn Temu und seine in China gerade entstehenden Nachahmer kombinieren eine neue, animierende Form der Kundenansprache mit einem revolutionären, sämtliche Stufen zwischen Produktion und Endverbrauchern überbrückenden Betriebssystem. Das ermögliche die unfassbar niedrigen Preise. Und welche gewaltigen Möglichkeiten der Einsatz von KI hier demnächst bringt, können wir heute allenfalls erahnen.

„Es geht immer um den Preis“, so E‑Com-Experte Alexander Graf. Nachhaltiger Konsum werde nicht honoriert und auch Angebote wie Next Day Delivery, an denen die Branche seit Jahren arbeitet, würden unwichtiger. „Lieferfähigkeit tauschen die Kunden gerne gegen einen 20 Prozent niedrigeren Preis.“

Und die Preisunterschiede sind gewaltig, was Ed Sander am Beispiel einer Travel Bag für PC-Zubehör demonstrierte. Dieselbe Tasche aus chinesischer Produktion, die bei Amazon 14,99 Euro kostet, wird bei Temu für 5,38 Euro angeboten. Innerhalb von China wird sie von Temu-Mutter Pinduoduo für umgerechnet 1,05 Euro verkauft.

"Von Temu, Shein & Co können wir gar nichts lernen. Weil unsere Wertschöpfung eine ganz andere ist.“

Wie also umgehen mit der neuen Konkurrenz? Amazon plant Medienberichten zufolge ein neues Angebot "Direkt aus China" in seinen Shop zu integrieren. Bei About You arbeitet man intensiv an der Umsetzung von C2M-Konzepten, insbesondere mit türkischen Lieferanten. Die Türken hätten ihre Chance erkannt und förderten die Zusammenarbeit ihrer Industrie mit europäischen Plattformen auch von staatlicher Seite, berichtete Tarek Müller. Die Zukunft, so die Hypothese des About You-Co-Founders, liege in der Kombination von Markenware mit günstigen No Name-Produkten. Auch die Chinesen werben schließlich um Markenanbieter für ihre Plattformen. Auch wenn dahinter natürlich eine völlig andere Organisation steht, entspricht das Konzept im Ergebnis dem Angebot der großen Stationären, die seit Jahrzehnten auf die Kombination von Marken und Eigenmarken setzen.

„Von Temu, Shein & Co können wir gar nichts lernen“, provozierte Johannes Altmann bei seiner Eröffnungs-Präsentation. „Weil unsere Wertschöpfung eine ganz andere ist.“ Die Kern-Wertschöpfung von Einzelhandel und Marken sei es, Communities zu schaffen. „Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit ist unsere Chance.“ Wer nur in der Angstpyramide lebt, der habe schon verloren.

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Und sonst?

…scheint Dries van Noten der Abschied von Dries van Noten schwer zu fallen. Im Gespräch mit Vanessa Friedman für die New York Times zeigt er sich irritiert, dass seine Email-Adresse künftig nicht mehr @driesvannoten lautet und er auch seinen Instagram Account umbenennen muss. „Das ist strange. Das habe ich nicht kommen sehen.“ Nicht zuletzt scheint er um sein gestalterisches Erbe zu fürchten, wie er Tim Blanks für BoF verriet: „Das Letzte, was ich will, ist, dass sie Dries ohne Dries machen. Ich wäre traurig, wenn es in der nächsten Kollektion keine einzige Farbe, keinen einzigen Druck und keine einzige Stickerei gäbe.“

…steigen die L&T‑Gesellschafterfamilien bei Wormland ein und retten den Menswear-Filialisten aus der Insolvenz. „Ich glaube an den Einzelhandel und bin überzeugt, dass wir mit dieser Zusammenarbeit nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und kreativ profitieren werden“, schreibt Mark Rauschen in LinkedIn. „Die Entscheidung, Wormland zu übernehmen, war daher nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine Herzensangelegenheit.“ Hat man in Osnabrück denn etwa gar keine Angst vor Temu?