Passiert large

Ohne Anita

Img
Jür­gen Mül­ler

Das The­ma der Mes­se wur­de am Tag davor gesetzt: Ani­ta Till­mann hört auf. Die Frau, die die Pre­mi­um Group auf­ge­baut und über 21 Jah­re geführt hat, ver­ab­schie­det sich. Für sie ein über­fäl­li­ger Schritt, wie sie sagt. Der Ver­kauf an den bri­ti­schen Mes­se­ver­an­stal­ter Cla­ri­on ist jetzt sechs Jah­re her, Coro­na hat auch einen Strich durch ihre per­sön­li­che Lebens­pla­nung gemacht. Die­ses Jahr steht sie Jörg Arntz und dem Team noch bera­tend zur Sei­te. Dann wird sich zei­gen, ob das Dik­tum, jeder sei ersetz­bar, auch in ihrem Fall stimmt.

Am Diens­tag, auf dem Podi­um mit Carl Til­les­sen, zeig­te Ani­ta Till­mann noch­mal, was sie als lei­den­schaft­li­che Com­mu­ni­ty Orga­ni­ze­rin aus­macht. Zugleich merk­te man ihr an, wie sehr sie unter dem Behar­rungs­ver­mö­gen der Bran­che lei­det. "Das iPho­ne gibt's seit 2007 und hat bereits 16 mal ein Update gehabt. Unse­re Bran­che hat viel zu weni­ge Updates bekom­men." Sie hat es ver­sucht, dabei auch pola­ri­siert und zwei­fel­los Feh­ler gemacht (Frank­furt). Jetzt hat das Mul­ti­la­bel-Busi­ness eine Mis­sio­na­rin weni­ger.

Man kann natür­lich fra­gen, wie sich die Pre­mi­um ent­wi­ckeln wür­de, blie­be Ani­ta an Bord. Fra­ge­zei­chen ste­hen seit Län­ge­rem im Raum. Nach der Coro­na-Kri­se sind die Ber­li­ner Mes­sen nicht mehr wirk­lich auf die Bei­ne gekom­men. Die Janu­ar-Aus­ga­be war ein Tief­punkt, aus dem nur ein voll­stän­di­ger Reset her­aus­füh­ren konn­te. Was zur Fol­ge haben muss­te, dass aus­stel­ler­sei­tig der markt­star­ke Teil des Busi­ness außen vor blieb und besu­cher­sei­tig ent­spre­chend wenig für den Main­stream-Ein­zel­han­del gebo­ten war. Der hat­te sei­ne Lie­fe­ran­ten bereits bei der Katag in Bie­le­feld oder dem Unitex-Fashion­fes­ti­val in Neu-Ulm getrof­fen. Wohl­weis­lich hat­ten die Macher Pre­mi­um und Seek als "zen­tra­len Hub für Ber­lins Mode- und Krea­tiv­sze­ne sowie für den zukunfts­orientier­ten Teil der gesam­ten Bran­che" aus­ge­ru­fen. Wer zuhau­se geblie­ben ist, müss­te sich jetzt also schä­men.

Massenaufläufe wie in der Gründerzeit der Berliner Messen werden wir wohl nie wieder erleben, weder in der Hauptstadt noch anderswo.

Mit ent­spre­chen­den Erwar­tun­gen ist man nach Ber­lin gereist. Und die­se Erwar­tun­gen wur­den durch­aus über­trof­fen. Die Rück­kehr ans Gleis­drei­eck war rich­tig. Die Ver­kür­zung auf zwei Tage taten der Fre­quenz und den Rei­se­bud­gets gut. Der selek­ti­ve Anspruch an die Aus­stel­ler und die limi­tier­ten Flä­chen sorg­ten für ein leb­haf­tes Bild. Die Mes­se war deut­lich kom­pak­ter als frü­her, wo jeder Win­kel der Sta­ti­on belegt war. Das Begleit­pro­gramm bot viel­fäl­ti­gen Con­tent. Die­se Refo­kus­sie­rung hat sicher Umsatz gekos­tet. Sie war den­noch alter­na­tiv­los. Auf die­ser Basis lässt sich jetzt jeden­falls auf­bau­en.

Mas­sen­auf­läu­fe wie in der Grün­der­zeit der Ber­li­ner Mes­sen wer­den wir indes nie wie­der erle­ben, weder in der Haupt­stadt noch anders­wo. Da soll­te man sich nichts vor­ma­chen. Das hat nicht zuletzt struk­tu­rel­le Grün­de. Flo­renz ist die Aus­nah­me (wobei der Pit­ti Uomo sich bestimmt auch nicht ohne Grund neu­en Aus­stel­lern öff­net).

Mög­li­cher­wei­se soll­te man sich zudem von der gelern­ten Vor­stel­lung einer "Mes­se" ver­ab­schie­den. Dort geht es schon lan­ge nicht mehr um Trans­ak­tio­nen zwi­schen Fabri­kan­ten und Ein­zel­händ­lern. Son­dern aus­schließ­lich um Kom­mu­ni­ka­ti­on, um Inspi­ra­ti­on, um Moti­va­ti­on und Iden­ti­fi­ka­ti­on. Schon Karl-Heinz Mül­ler ver­mied des­we­gen das Wort "Mes­se" und bestand für sei­ne Bread & But­ter auf dem Begriff "Trade Show", und auch die Pre­mi­um Group spricht lie­ber "Trend- und Event-Platt­form".

Vie­le in der Bran­che wün­schen sich sol­che Platt­for­men. Des­we­gen funk­tio­nier­ten auch die Ver­an­stal­tun­gen in Bie­le­feld und Neu-Ulm so gut. Ber­lin hat dabei nach wie vor vie­le Trümp­fe auf sei­ner Sei­te. Die gilt es aus­zu­spie­len. Hier kommt auch die Fashion Week ins Spiel, die mit ihren Schau­en und Events für den gla­mou­rö­sen Rah­men sorgt. The­ma­tisch mag die Pre­mi­um häu­fig zu weit vor­ne agie­ren. Das ist trotz­dem der rich­ti­ge Ansatz. Übers Tages­ge­schäft, über Per­so­nal­pro­ble­me, Lie­fe­ran­ten­per­for­mance und Preis­ab­schrif­ten kann man sich ja immer noch in der Erfa­grup­pe aus­tau­schen. Gleich­wohl braucht es natür­lich Impul­se, die auch jen­seits der Ber­li­ner Bubble ankom­men.

Am Ende wird es dar­auf ankom­men, wie Aus­stel­ler und Besu­cher Kos­ten und Nut­zen einer Prä­senz bewer­ten. Es mag sein, dass sich die Rei­se nach Ber­lin nicht in jedem Fall rech­net. Aber sie kann sich doch immer wie­der loh­nen.