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Nur die Langweiligen sterben

XDie gute Nachricht vorweg: Einkaufen gehen ist laut einer aktuellen Studie das zweitgrößte Hobby der Deutschen. So steht es jedenfalls in der letzten TW. Für immerhin ein gutes Viertel (27,7 Prozent) der Deutschen ist Shopping eine häufige Freizeitaktivität, getoppt nur von der Gartenarbeit (28,7 Prozent). Abgesehen davon, dass unter den Top Ten dieser Statistik so merkwürdige Dinge wie Einfache Reparaturarbeiten und Sauna‑, Dampfbadbesuch vorkommen, und durchaus populäre Aktivitäten wie Fernsehen, Freunde treffen oder im Internet surfen gar nicht auftauchen, stimmt es natürlich, dass Shopping seit jeher mehr als Einkaufen ist. Nämlich Inspiration, Kommunikation, Zeitvertreib.

Die schlechte Nachricht, in derselben TW: 80 Prozent des Handels sind langweilig. Meint jedenfalls Marc Schumacher, der mit Liganova daran arbeitet, das zu ändern. Melden Sie Ihren Store beim Ordnungsamt als Veranstaltungsort an, so Schumachers pfiffiger Tipp neulich bei einer Veranstaltung in Berlin. Wenn es nur so einfach wäre.

Über Erlebnishandel spricht die Branche, seitdem der Globus-Chef Peter Kaufmann sein Buch Der Laden als Bühne veröffentlicht hat. Das war in den 60er Jahren, noch bevor Discounter und Lebensmittelhändler das Geschäft mit Bedarfsartikeln von den Textilhäusern übernommen haben und diese sich von Grundversorgern zu Modeanbietern wandelten. Dass die Bühne eines Tages auf die Größe eines Smartphone-Bildschirms zusammenschnurren würde, konnte Kaufmann ebenso wenig ahnen wie die schier unendlichen Möglichkeiten, heute seine Freizeit zu gestalten. Hinzu kommt: Aus Sicht vieler Kunden ist das Schnäppchen bei Primark ebenso ein Erlebnis wie Same Day Delivery bei Amazon. In dem Maße, wie das Internet den stationären Modehandel in seinen Kernkompetenzen angreift bei Auswahl, Verfügbarkeit, Service, Beratung und das mit günstigen Preisen und Convenience kombiniert, sehen sich die Ladenbetreiber genötigt, dieser übermächtigen Konkurrenz auszuweichen und andere Motive zu bedienen: Soziale Interaktion, Innovation, Inspiration etc. Es gibt so viele Möglichkeiten, Nicole Martinsohn (Blocher Partners) schaffte es gestern auf dem Dachmarkenforum in Weil am Rhein, immerhin eine halbe Stunde darüber zu reden. Für uns im Handel mag das schwierig sein, für unsere Kunden ist es vielleicht die spannendste Zeit überhaupt.

Der Einzelhandel steht in der Tat vor einem gigantischen Entwicklungssprung, wenn überhaupt vergleichbar mit dem Aufkommen von Läden im 19. Jahrhundert, die die offenen Märkte abgelöst haben, oder mit dem Wandel von der Voll- zur Selbstbedienung in der Nachkriegszeit. Mit dem Unterschied, dass diese Entwicklung sehr viel schneller vonstatten geht und die Disruptoren Techies und keine originären Händler sind, was es schwer macht, diesen Wettbewerb zu verstehen.

Stationär abzuschreiben, ist dennoch falsch. Wenn Amazon sich entscheidet, in Retail zu investieren, ist das der beste Beleg dafür, dass Retail auch künftig von Bedeutung ist, machte Digitalberater Maks Giordano dem Publikum auf dem Dachmarkenforum Mut. Das tradierte stationäre Geschäftsmodell muss sich aber wandeln. Es muss sich nahtlos in die neue Omnichannel-Welt einfügen. Es muss neue Technologien nutzen, um effizient und wettbewerbsfähig zu sein, und es kann Technologien nutzen, um seine Kunden besser anzusprechen. Wir werden in den kommenden Jahren neue stationäre Geschäftsmodelle kommen sehen. Und viele Online-Player wieder gehen sehen. Letzteres sollte niemanden ruhen lassen. Die Etablierten sind im Zugzwang. Für viele nicht alle kann der Weg sein, vom Retailer zum Entertainer zu werden.

Die große Frage ist freilich: Welches Programm spielen wir? Wofür sind wir glaubwürdig und kompetent? Wie rechnet sich das? Das muss jeder für sich beantworten. Was für den einen die stehende Welle, die Halfpipe oder das Sternelokal ist, kann für den anderen der Gin-Abend, der Yoga-Kurs oder das Buy Local-Event sein. Oder der Hilti-Pop-up-Store in der Menswear und die Übernachtung in der Spielwarenabteilung. Nur die Langweiligen sterben, so Marc Schumacher. Er hat wahrscheinlich recht.

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