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Nachrufe auf die Eiskönigin

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Jür­gen Mül­ler

Es gibt Nach­rich­ten, die Nach­ru­fen glei­chen. Zum Bei­spiel die zu Anna Win­tours Rück­zug als Vogue-Chef­re­dak­teu­rin.

Die gro­ßen Leit­me­di­en – so man die­se noch als sol­che bezeich­nen kann – beschäf­tig­ten sich in umfäng­li­chen Rück­bli­cken mit der "Eis­kö­ni­gin" (SZ), die angeb­lich Desi­gner­kar­rie­ren beför­dern oder zer­stö­ren kann. Alfons Kai­ser erin­nert in der FAZ an Win­tours Cover-Debut 1988, wo sie mit einem Model in Lacroix-Jacke und Guess-Jeans "die Mode­welt revo­lu­tio­niert hat". Das kann nur ver­ste­hen, wer damals dabei war.

Die Süd­deut­sche Zei­tung erwähnt Win­tours poli­ti­sches Enga­ge­ment, wie etwa die Unter­stüt­zung der Demo­kra­ten im US-Wahl­kampf. Der Vogue-Titel hat Kama­la Har­ris sei­ner­zeit aller­dings eher gescha­det, zumal Medi­en­pro­fi Trump die­sen mit einem popu­lis­ti­schen Auf­tritt an der McDo­nalds-Fri­teu­se gekon­tert hat.

Und natür­lich erin­nern alle an "Der Teu­fel trägt Pra­da". Seit­her wis­sen wir, dass es auch so etwas wie toxi­sche Weib­lich­keit gibt.

Der Spie­gel weist dar­auf hin, dass Win­tour zwar ihren Job­ti­tel abgibt, aber als "Chief Con­tent Offi­cer" das Macht­zen­trum im Con­de Nast-Kos­mos bleibt. Sie war damit die letz­te ech­te Vogue-Chef­re­dak­teu­rin, die Redak­ti­ons­lei­tun­gen der inter­na­tio­na­len Vogue-Able­ger dür­fen sich nur noch "Head of Edi­to­ri­al Con­tent" nen­nen. Sub­text: Eine wie Win­tour wird es nicht mehr geben.

Die 75jährige hat sich selbst zur Mar­ke gemacht, nicht zuletzt durch ihre modi­sche Selbst­in­sze­nie­rung. Wie Karl Lager­feld hat sie sich eine Mas­ke zuge­legt: Der iko­ni­sche Bob und die rie­si­ge Bril­le machen sie undurch­schau­bar und las­sen sie alters­los erschei­nen.

Tat­säch­lich strahlt Anna Win­tour inzwi­schen hel­ler als das Medi­um, für das sie steht. Als Tür­ste­he­rin der Met-Gala ent­schei­det sie, wer dazu gehört und wer nicht. Die Vogue lebt dage­gen vor allem von ihrem Legen­den­sta­tus. Das Maga­zin ist heu­te nur noch eine Stim­me unter vie­len. Damit teilt sie das Schick­sal etli­cher Medi­en­mar­ken, deren Inhal­te im Dau­er­lärm von Social Media unter­ge­hen und deren Reich­wei­te die Anzei­gen­prei­se längst nicht mehr recht­fer­ti­gen.

Die Zei­ten sind jeden­falls vor­bei, wo man mit einem Zeit­schrif­ten­ti­tel noch Auf­se­hen erre­gen konn­te. Es gibt auch kei­ne Instan­zen mehr, die über gutes und schlech­tes Design befin­den, Stil-Auto­ri­tä­ten, auf die alle hören. Die modi­sche Mei­nungs­bil­dung hat sich von Pro­du­zen­ten, Händ­lern und Medi­en zu den Kon­su­men­ten ver­la­gert. Nicht mehr Pro­fis ent­schei­den, was gesucht und gekauft wird, son­dern prin­zi­pi­ell kann jeder zum Influen­cer wer­den. Social Media hat die­se Demo­kra­ti­sie­rung beför­dert.

Statt eines Nach­ru­fes auf Anna Win­tour wäre daher ein Nach­ruf auf die Mode­ma­ga­zi­ne ange­mes­se­ner gewe­sen.

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Und sonst?

… okku­pier­te Jeff Bezos Vene­dig für sei­ne Hoch­zeits­fei­er. Das Braut­paar, die pro­mi­nen­ten Gäs­te, die Hote­liers und Boots­ver­lei­her der Lagu­nen­stadt fanden’s super. Aber hät­te man sich vor­stel­len kön­nen, dass ande­re mil­li­ar­den­schwe­re Ein­zel­händ­ler – ein Micha­el Otto, ein Die­ter Schwarz, ein Götz Wer­ner – sich zu einem pri­va­ten Ereig­nis der­art expo­nie­ren? Auch die Geheim­nis­krä­mer ster­ben offen­bar aus.

…plant DM Kos­me­tik von Shein in sei­nen Dro­ge­rien zu ver­kau­fen. Das ist nahe­lie­gend, denn die DM-Filia­len sind heu­te die Go-to-Adres­sen für jun­ge Frau­en, die dort ihren Life­style-Bedarf decken und ver­mut­lich größ­ten­teils auch die Shein-App auf dem Han­dy haben. Aber ob die chi­ne­si­sche Ramsch­mar­ke zum sorg­sam gepfleg­ten Ruf passt?

…stei­gen die Relle­cke-Brü­der in die Geschäfts­füh­rung von S.Oliver ein. Es ist die Über­ra­schungs-Per­so­na­lie der Woche. Die Lie­bes­kind-/Co­pen­ha­gen-Grün­der und Bernd Frei­er ken­nen sich lan­ge genug, um zu wis­sen, wor­auf sie sich ein­las­sen.

…fin­det die­se Woche die Ber­lin Fashion Week statt. Wer hat­te den Ter­min noch im Kalen­der?