Was Adidas wohl mehr trifft: die Trennung von Ye oder der angekündigte Abgang von CEO Rorsted? 1,7 Milliarden Euro Umsatz und 250 Millionen Gewinn stehen mit der Beendigung der Zusammenarbeit mit Kanye West im Feuer. Dass Adidas nach dessen antisemitischen Ausfällen und persönlichen Angriffen so lange mit der Entscheidung gewartet hat, ist vielfach kritisiert worden. Was hätte am Ende der vor einer Woche angekündigten „eingehenden Prüfung“ anderes herauskommen können als eine konsequente Trennung von dem irrlichternden Geschäftspartner – egal was Sales, Legal oder Corporate Communications dazu sagen. Aber die „Werte des Unternehmens wie Vielfalt und Inklusion, gegenseitigen Respekt und Fairness“, auf die Adidas in seinem Announcement verweist, scheinen nicht die einzige Priorität gewesen zu sein.
In der Schlussphase von Kasper Rorsteds Regentschaft türmen sich in Herzogenaurach die Probleme. So musste Adidas letzte Woche eine Gewinnwarnung herausgeben, die die Aktie weiter auf Talfahrt schickte. Der Kurs war seit dem All-Time-High im August 2021 bereits um mehr als zwei Drittel abgerutscht. Wie zum Hohn verkündete Nachbar Puma in dieser Woche Rekordergebnisse fürs vergangene Quartal. Zwar kann der Adidas-CEO nichts für China-Boykotte, Ukraine-Krieg und Konsumflaute. Aber als ‚lame duck‘ wird Rorsted weder Krisen vernünftig managen noch strategische Ziele erfolgreich durchsetzen können. Die Analysten fordern deshalb immer lauter, dass der für 2023 angekündigte Stabwechsel schneller vollzogen wird. Je länger die Hängepartie dauert, desto mehr dürfte diese auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Bertelsmann-Chef Thomas Rabe angelastet werden.
Dass der Skandal einen Wendepunkt in der Geschichte der chronischen Collaboritis darstellt, ist nicht zu erwarten. Wenn überhaupt, dann wird sich dieser Marketingansatz eher wegen Ermüdungserscheinungen totlaufen.
Wie geht es derweil weiter mit Yeezy? Adidas betont, die Rechte an den bisherigen Designs zu besitzen. Aber ohne die Marke, die bei Ye liegt, sind die alten Modelle nicht viel wert. Yeezy steht für einen hochprofitablen Milliarden-Umsatz und ist damit größer als altbekannte Fashion Brands wie beispielsweise Moncler, Dolce & Gabbana oder Zegna. Man mag kaum glauben, dass jetzt, quasi aus einer Laune heraus, Schluss sein soll für so ein lukratives Business.
Es kann natürlich sein, dass Ye einfach nur verrückt ist. Aber was, wenn er den Bruch absichtlich provoziert hat, weil er sich in einer anderen Konstellation ein größeres Stück vom Kuchen verspricht? Dann hätte er mit seiner öffentlichkeitswirksamen Harakiri-Tour noch zusätzlich etwas für sein elonmusksches Outlaw-Image getan. Vielleicht ist es auch beides zusammen, und West ist so verrückt zu glauben, so ein Business ließe sich ohne global aufgestellten Organisation aufziehen. Oder es wartet schon ein neuer Partner im Hintergrund, dem auch die Zusammenarbeit mit Gap und Balenciaga nicht passte. Andererseits hat er sich mit seinen Sprüchen für seriöse Anbieter unmöglich gemacht. So hat sich Sketchers distanziert, nachdem Ye diese Woche angeblich unangekündigt in Geschäftsräumen des Schuhanbieters in Los Angeles aufgetaucht war. Man kann über all das nur spekulieren. Wir werden es erfahren.
Dass der Yeezy-Crash einen Wendepunkt in der Geschichte der in der Branche verbreiteten chronischen Collaboritis darstellt, ist im Übrigen nicht zu erwarten. Spätestens seit der spektakulären Zusammenarbeit von Lagerfeld und H&M im Jahr 2004 sind solche Kooperationen aus dem Modemarketing nicht mehr wegzudenken. Allein in diesem Jahr haben sich Adidas mit Gucci und Prada, Nike mit Jaquemus, Burberry mit Supreme, Balmain mit Barbie, Birkenstock mit Manolo Blahnik, H&M mit Iris Apfel, Swatch mit Konzernschwester Omega oder – gerade diese Woche – About You mit dem FC Bayern zusammengetan. Um nur ein paar besonders aufsehenerregende Aktionen zu nennen.
Bisweilen treibt die Collaboritis absurde Blüten (Crocs mit KFC, Puma mit Haribo), worauf Siems Luckwaldt an dieser Stelle schon einmal hingewiesen hat. Richtig aufgesetzt können von solchen Markenkooperationen aber alle Beteiligten profitieren. Wenn überhaupt, dann wird sich die Idee eher wegen Ermüdungserscheinungen totlaufen.
Nach Adidas & Ye werden sich die Brands gleichwohl noch genauer überlegen, mit wem sie sich für Capsules oder gar längerfristig laufende Linien zusammentun. Vor allem dürften die Anwälte mehr zu tun bekommen.