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Das neue Normal

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Jür­gen Mül­ler

Wenn man die Nach­rich­ten­la­ge ver­folgt, hat man den Ein­druck, dass da eine gan­ze Bran­che implo­diert. Viel­leicht auch, weil unter den Insol­ven­zen bekann­te Namen wie P&C, Ger­ry Weber und – seit die­sem Mon­tag –  Ahlers sind.

Tat­säch­lich bewegt sich die Zahl der Plei­ten ledig­lich auf Vor-Coro­na-Niveau. 32 Insol­ven­zen von Mode­un­ter­neh­men zähl­te die Insol­venz­be­ra­tung Fal­ken­steg im ers­ten Quar­tal; das sind zwar 60% mehr als im Vor­jahr, aber 2019 waren es im sel­ben Zeit­raum sogar 46. Die Plei­te­wel­le ist womög­lich weni­ger eine Fol­ge der Pan­de­mie als viel mehr durch Coro­na ver­zö­gert wor­den.

Die­ser his­to­ri­sche Aus­nah­me­zu­stand hat zu mas­si­ven Ver­wer­fun­gen in den Bilan­zen geführt. Die Onli­ner erleb­ten eine Hausse, die so nicht mehr wie­der kommt. Jetzt wun­dern sie sich absur­der­wei­se, dass das Wachs­tum nicht ein­fach so schwung­voll wei­ter­geht.

Die Sta­tio­nä­ren muss­ten alle Reser­ven mobi­li­sie­ren, um die staat­lich ver­häng­ten Lock­downs zu über­ste­hen. Dass die Regie­rung im Gegen­zug Stüt­zungs­maß­nah­men ergrif­fen hat, war da nur ange­mes­sen. Man­che Unter­neh­men wur­den durch die­se Hil­fen indes künst­lich am Leben gehal­ten.

2022 sind neue Pro­ble­me dazu gekom­men. Die Infla­ti­on hat das Kon­sum­bud­get der Haus­hal­te geschrumpft, und wegen der stei­gen­den Zin­sen sitzt auch das Geld auf der Kapi­tal­ge­ber­sei­te nicht mehr locker. Die­se neue Kri­se deckt nun die Pro­ble­me auf, die vie­ler­orts schon vor Coro­na da waren.

Der Gesetz­ge­ber hat den Aus­weg über das Insol­venz­recht eröff­net. Also wird es gemacht. Was ehr­ba­re Kauf­leu­te frü­her als Schan­de emp­fun­den haben, ist heu­te nur noch ein Instru­ment zur Restruk­tu­rie­rung, frei­lich auf Kos­ten ande­rer. Der Repu­ta­ti­ons­ver­lust wird in Kauf genom­men. Man­che haben auch gar kei­nen Ruf mehr zu ver­lie­ren.

Wenn man der Insol­venz­wel­le etwas Posi­ti­ves abge­win­nen möch­te, dann dass der Markt sich berei­nigt, wenigs­tens ein Stück weit. Auch jen­seits des Schutz­schirms wird zur­zeit auf­ge­räumt und ver­schlankt. Unter den 9000 Geschäfts­schlie­ßun­gen, die der HDE Anfang der Woche für 2023 pro­gnos­ti­ziert hat, sind nicht weni­ge Port­fo­lio­be­rei­ni­gun­gen von Fili­al­be­trie­ben. Pri­mark ist da aktu­ell nur das pro­mi­nen­tes­te Bei­spiel. H&M, das hat die TW ges­tern gezählt, hat in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren 36 Stores in Deutsch­land geschlos­sen. Der Markt wird sich fan­gen, und die Unter­neh­men mit schlan­ke­ren Kos­ten­struk­tu­ren wie­der nach vor­ne gehen.

Fürs zweite Halbjahr und für 2024 darf man auch ein wenig zuversichtlich sein. Die konjunkturellen Perspektiven sind nicht so schlecht.

Fürs zwei­te Halb­jahr und für 2024 darf man des­we­gen auch ein wenig zuver­sicht­lich sein. Die kon­junk­tu­rel­len Per­spek­ti­ven sind so schlecht nicht. Die Bun­des­re­gie­rung hat ihre Wachs­tums­pro­gno­se die­se Woche ange­ho­ben. Die Export­erwar­tun­gen der Indus­trie sind eben­falls zuver­sicht­lich, die der Tex­til- und Beklei­dungs­an­bie­ter sogar über­durch­schnitt­lich. Der Ifo-Geschäfts­kli­ma­in­dex leg­te im April das sechs­te Mal in Fol­ge zu, und auch die Mode­händ­ler bewer­ten ihre Per­spek­ti­ven laut Ifo-Insti­tut so posi­tiv wie lan­ge nicht.

Klar ist zugleich, dass das Ver­trau­en auf die Kon­junk­tur noch nie­man­den wei­ter­ge­bracht hat. Bes­ser, jeder arbei­tet an sei­ner eige­nen Fir­men­kon­junk­tur. Auch weiß nie­mand, wel­che neu­en geo­po­li­ti­schen und kon­junk­tu­rel­len Her­aus­for­de­run­gen um die Ecke lau­ern. Kri­se dürf­te der Dau­er­zu­stand sein. Damit wer­den wir umzu­ge­hen haben. Resi­li­enz wird zu einer Top-Prio­ri­tät. Das wäh­rend der Pan­de­mie so viel beschwo­re­ne neue Nor­mal haben wir uns frei­lich so nicht vor­ge­stellt.

Zugleich geht es dar­um, vor lau­ter Kri­sen­ma­nage­ment rele­van­te Zukunfts­the­men nicht aus dem Blick zu ver­lie­ren: die Digi­ta­li­sie­rung von Pro­zes­sen und Sys­te­men, die Trans­for­ma­ti­on hin zu mehr Nach­hal­tig­keit, neue Ent­wick­lun­gen wie KI oder das Meta­ver­se, die Stei­ge­rung der Attrak­ti­vi­tät als Arbeit­ge­ber – um nur eini­ge weni­ge zu nen­nen.