‚Markus Lanz‘ gilt beim typischen ZDF-Publikum normalerweise als wirksame Einschlafhilfe. Vorgestern lohnte es sich allerdings, spätabends nochmal einen Espresso zu trinken. Zumindest für Handelsprofis. Es ging um das Lieferkettengesetz, ein Aufreger längst nicht mehr nur für Sustainability-Spezialisten, sondern auch für Unternehmer. Am Mittwoch saß neben dem unvermeidlichen FDP-Fraktionschef Christian Dürr und der notorisch kritischen TAZ-Journalistin Ulrike Herrmann Kik-CEO Patrick Zahn in der Runde.
Manager – zumal angestellte – sind in Talkshows ja generell unterrepräsentiert. Aus Angst, ihre Äußerungen könnten ihren Unternehmen (oder der eigenen Karriere) schaden, wollen sie sich nicht einer unkontrollierbaren Situation aussetzen. Das gilt erst recht für Vertreter des Einzelhandels. Der Begriff ‚Geheimniskrämer‘ kommt schließlich nicht von ungefähr.
Gerade Kik gab sich in der Vergangenheit verschlossen wie eine Auster. Der Discounter wurde nicht zuletzt deswegen von der Medienöffentlichkeit misstrauisch beäugt, nach dem Motto ‚Solche Billigpreise können ja nicht mit rechten Dingen zugehen‘. Unvergessen die ‚Kik-Story‘, wo der Reporter dem überraschten Kik-Gründer Stefan Heinig am Gym auflauerte und ihm ein Interview abzuringen versuchte.
Inzwischen hat man in Bönen dazugelernt. Transparenz wirkt vertrauensbildend, und eine kluge Kommunikation birgt die Chance, die Öffentlichkeit für sich und die eigenen Interessen einzunehmen. Patrick Zahn hatte sich schon im Lockdown zu Wort gemeldet, und auch beim Lieferkettengesetz hat er verschiedentlich seine Position öffentlich klargemacht. Es sei gar nicht der billige Einkauf, der die günstigen Preise möglich mache, sondern es seien die effizienten Prozesse in Kombination mit niedrigen Mieten, vergleichsweise geringen Marketingkosten und unter 10% Abschriften, sagte er vorgestern bei ‚Markus Lanz‘. „Deswegen sind wir für das Lieferkettengesetz.“ Die Dokumentationspflichten und Auditierungen könne Kik als großes Unternehmen gut umsetzen, für kleinere Betriebe sei das viel schwieriger und teurer.
„Wir diskutieren hier über das Lieferkettengesetz und da passiert vor unserer Nase eine riesengroße Sauerei“
Die neue EU-Regelung lehnt Zahn insbesondere wegen des Prozessrisikos ab. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir irgendwann von NGOs mit Klagen zugeschüttet werden.“ Statt mit Gesetzen sollte man besser mit Zollpräferenzen arbeiten. „Die Politik macht sich bei diesem Thema einen extrem schlanken Fuß“, sagte er in Richtung Dürr. Den Vorschlag Herrmanns, dass die EU auf Mindestlöhne in den Beschaffungsmärkten drängen sollte, lehnt Zahn ab. Das sollte man den Staaten überlassen. „Das wäre ja so, als wenn Herr Biden Herrn Scholz anschreibt und einen höheren Mindestlohn fordert, weil der in New York höher ist als hierzulande.“
Kein gutes Haar ließ Zahn an Shein und Temu, ohne die chinesischen Online-Plattformen beim Namen zu nennen. „Die fluten den Markt mit Artikeln, die nicht geprüft sind. Sie müssen sich nicht an Standards oder das Lieferkettengesetz halten, zahlen keine Zölle und keine Umsatzsteuer.“ China werde von der EU nach wie vor als Entwicklungsland eingestuft, weswegen für Pakete auch noch ein reduziertes Porto gilt. Man wisse aus Tests, dass 70 Prozent dieser Ware schadstoffbelastet sei. „Das interessiert nur keine Sau. Wir diskutieren hier über das Lieferkettengesetz und da passiert vor unserer Nase eine riesengroße Sauerei. Ich würde mir wünschen, dass die Politik dagegen massiv vorgeht. Es hätte einen größeren Impact auf Menschenrechte und Umweltstandards, solche Praktiken abzustellen.“ Gut gebrüllt, Löwe!
Zahn wird noch viele Gelegenheiten haben, sich aufzuregen. Das Lieferkettengesetz ist bekanntlich nur die Spitze des Eisberges. Laut Euratex sind in Brüssel zurzeit 16 Gesetzesinitiativen in Vorbereitung, die die Textilindustrie betreffen. Es geht um Themen wie Müllvermeidung und Recycling, um den digitalen Produktpass, um die Reduzierung von Emissionen, um neue Berichtspflichten und Labeling, aber auch um das Verbot von bestimmten Chemikalien, von Microplastik etc. „Durch diese ganzen Themen wird unglaublich viel Geld versenkt werden. Das ist mittlerweile eine eigene Industrie, die sich jetzt schon ins Fäustchen lacht“, wetterte New Yorker-Chef Friedrich Knapp schon vor Monaten im TW-Interview. Wenn Brüssel alle Initiativen wie geplant umsetzt, dürfte preisgünstige Fast Fashion der Vergangenheit angehören.
Wer hätte gedacht, dass Ressourcenverschwendung auch ein Luxus-Problem ist.
Nun ist es natürlich so, dass Brüssel nie alles so umsetzt, wie es anfangs diskutiert wird. Das hat schon das ewige Gezerre um das Lieferkettengesetz gezeigt. Das heißt nicht, dass das Ergebnis deswegen am Ende unbedingt besser ist.
Vielleicht ist das auch ein Grund, weshalb Frankreich Fast Fashion-Anbieter mit Sanktionen und einem Werbeverbot belegen will. Das Parlament diskutiert dort einen Gesetzentwurf, der ab 2025 eine Umweltabgabe von fünf Euro pro Artikel vorsieht, die bis 2030 auf 10 Euro steigen soll. Die EU-Regeln würden nicht ausreichen, um die Umweltbedrohung durch die Billigmode zu bekämpfen, so die Begründung. Die Abgeordnete Anne-Cécile Violland hat das gestern im Spiegel nochmal ausführlich darlegen dürfen. Mit den Einnahmen möchte man nachhaltige Modeproduzenten subventionieren. Welche Anbieter unter Fast Fashion fallen sollen, ist unklar. Klar dürfte sein, dass hinter der Initiative auch protektionistische Motive stehen.
Dabei sollten die Franzosen mal besser vor der eigenen Tür kehren. Deren Luxuskonzerne agieren in Sachen Ressourcenschonung alles andere als vorbildlich, wie BoF neulich berichtete. Demnach weist LVMH per Ende 2022 Überbestände an unverkäuflicher Ware und Materialien im Wert von 3,2 Milliarden Euro (!) aus, bei Kering sind es 1,5 Milliarden und bei Hermès 800 Millionen.
Wer hätte gedacht, dass Ressourcenverschwendung auch ein Luxus-Problem ist.