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Berlin is back

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Jürgen Müller

Es tat nach zwei Jahren Homeoffice-Isolation gut, sich in Berlin mal wieder unter Leute mischen zu können, Kontakte zu pflegen, neue Menschen kennenzulernen. In dieser Hinsicht hat die Messe funktioniert. Digitalisierung mag zurzeit in aller Munde sein. Aber das Modebusiness ist am Ende halt immer auch noch ein People Business.

Natürlich waren wir gespannt, ob es den Berliner Modemessen nach pandemiebedingten Ausfällen und dem verunglückten Frankfurt-Ausflug gelingen würde, an bessere Zeiten anzuknüpfen. Noch dazu auf dem Gelände der Messe Berlin, wo bekanntlich bereits mehr als eine Veranstaltung gescheitert ist und das es atmosphärisch mit den Hallen am Gleisdreieck oder gar dem U‑,Bahn-Tunnel der ersten Premium-Jahre nicht aufnehmen kann. Hinzu kommt die wirtschaftliche Lage der Branche. Nach diversen Lockdowns und akuten Lieferketten-Problemen sitzt das Geld nicht eben locker, und einen Messeauftritt gibt es bekanntlich nicht für lau.

Als die Besucher Donnerstagfrüh in die Hallen strömten, wird den Premium-Machern entsprechend ein Stein vom Herzen gefallen sein. Der erste Eindruck: Größer als gedacht. Viel größer. So groß, dass man lange brauchte, um sich zurechtzufinden. Um dann am Abend festzustellen, dass man nach sechs Stunden Herumschlenderns gar nicht alles gesehen hat. Die Aufteilung und die Optik der Hallen wurde von manchen Ausstellern kritisiert. Aber das ist eigentlich auf jeder Messe so.

Das Angebot: riesig. 800 Brands, verteilt über zwölf Hallen. Auffällig viele Schuhanbieter. Premium-Getreue wie Drykorn. Newcomer wie Gerry Weber, Carl Gross oder Lerros, die man bisher auf dieser Messe nicht gesehen hat. Gefühlte 90% der Namen sagten selbst langjährigen Einkaufsprofis nichts. Offensichtlich hat man sehr erfolgreich internationale Anbieter akquiriert, die auf der Suche nach deutschen Handelspartnern sind. Der italienische Gemeinschaftsstand war allerdings alles andere als ein Schmücker, sondern eher Igedo 1982.

Umgekehrt gab es für deutsche Brands mit Interesse an internationalen Kontakten nicht viel zu holen. Es war besuchermäßig eine sehr deutsche Messe. Die paar Dutzend internationalen Buyer, die von den Veranstaltern eigens eingeflogen wurden, fielen nicht groß auf. Die Big Player der Branche waren freilich alle da, und auch sonst hat die Frequenz von den vielen Neugierigen profitiert

Thema der Messe war: die Messe.

Für die Industrie ist die fehlende Internationalität ein Manko. Das gilt insbesondere für die DOB, der eine Leitmesse wie Pitti Uomo fehlt. Die Womenswear muss sich für jede Region andere Marktzugänge suchen. Möglicherweise sollte man sich von dem Traum einfach mal verabschieden, in Deutschland eine wirklich internationale Messe veranstalten zu wollen.

Dem Multilabel-Einzelhandel kann das dagegen egal sein. Für die Buyer waren die Premium und die Seek sehr internationale Messen. Sie fanden in Berlin neue Anbieter und interessante Produkte für ihre Sortimente. Und darum geht es ja auf einer Messe auch.

Logistisch war indes noch Luft nach oben. Zahlreiche Besucher waren der auf der Website angegeben Adresse gefolgt und sind mit der S‑Bahn zum Südeingang gefahren, weshalb sie sich auf eine 20minütige Wanderung um das komplette Messegelände begeben mussten. Anschließend gab es keinen Kaffee. Viele Bars eröffneten erst nach und nach, es waren insgesamt viel zu wenige und es bildeten sich den ganzen Tag über lange Schlangen.

Das Thema der Messe war: die Messe. Aber auch das ist ja seit jeher so. Und natürlich ging es in den Gesprächen um die aktuelle Kostenexplosion und die richtige Preispolitik. Am Himmel über Berlin waren an diesem Donnerstag und Freitag dunkle Wolken aufgezogen. Konjunkturell werden sie sich so schnell nicht verziehen.

Trotzdem gut, dass wir in Berlin waren. Berlin is back. Die Premium-Macher haben ein super Programm auf die Beine gestellt. Doch was bleibt, wenn Handel und Industrie nach dem euphorischen Wiedersehen nüchtern Bilanz ziehen? Zahlen sich Messeauftritt bzw. Messebesuch aus? Auf der anderen Seite: Soll man auf die Chance verzichten, neue Marken und Produkte zu entdecken? Und als Anbieter den anderen das Feld überlassen?

Wird es den Premium-Machern gelingen, den Schwung in den Januar mitzunehmen? Hoffen wir mal, dass es bis dahin keine Corona-Überraschungen mehr gibt. Dann wird auch die Berlin Fashion Week wieder auf den Termin der Messe rücken. Gut so! Aber sie überschneidet sich auch mit der Grünen Woche, sofern es beim angestammten Termin bleibt, weshalb die coolen Retro-Hallen am Funkturm wohl nicht zur Verfügung stehen werden. Die Premium muss dann auf die Flächen ausweichen, wo einst die Panorama stattfand. Mal sehen, was sich die Messemacher alles einfallen lassen, um ein Deja vu zu verhindern.

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4 Antworten zu “Berlin is back

  1. Ehrlich gesagt ist es mir scheißegal wie die Halle aussieht. Die Messemacher haben unter den gegebenen Umständen einen guten Job gemacht. Diese paar Kindergartenfehler nerven mich überhaupt nicht. Was mich massiv nervt, ist der Fakt, dass einfach zu wenig Händler auf der Messe erscheinen. Hier könnte man ansetzen: wenn der Freitag und der Samstag die nich einzigen Tage sind, an denen dem Händler die Gnade erfährt von seinen Kunden besucht zu werden, sollte man genau an diesen Tagen keine Messe veranstalten. Am Samstag konnten die Aussteller auf der SEEK, trotz genauer Beobachtungen, keinen einzigen Händler entdecken. Es reichen auch zwei Messetage, um in aller Gemütlichkeit den Händler Ansturm abzufrühstücken. Da kann man sich getrost einen Messetag sparen und dadurch die Mietkosten um ein Drittel senken. Vielleicht würden dadurch noch mehr Aussteller kommen, die Messe attraktiver machen und letztendlich sogar zusätzliche Händler anziehen. Wer weiß das schon? Niemand! Also ist jetzt die Zeit um die Sache mal aus einem ganz anderen Blickwinkel zu denken. Klar kann man als Messegesellschaft mit 33% weniger Umsatz auch weniger verdienen, aber da muss halt die Stadt Berlin ihre Hallen günstiger zur Verfügung stellen. Sonst ist nämlich der Termin für die Abrissbirne schneller gekommen als es sich die Oberen der Stadt vorstellen können. Die Messemütigkeit betrifft ja nicht nur die Fashion Branche. Und nur für die Erotikmesse VENUS braucht man das Messegelände jetzt auch nicht unbedingt.

  2. Hans. sagt:

    Für top fashion ist duesseldorf der Ort des Geschehens-andere versuche sind Igedo von früher-solche Angebote gehen per Internet-da reist man nicht extra an. Internationale Einkäufer kommen nach Duesseldorf-und mehr und mehr Italiener-Franzosen und andere top Designer sindin den showrooms vom fashion square-da muss noch mehr Gemeinsamkeit und Werbung gemacht werden-aber es gibt keine Alternative

    1. Sie schwelgen in Erinnerungen der achtziger und neunziger Herr Wiethoff >Fashion Square is dead .de<
      Die Showrooms werden nun von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Start Up übernommen. Endlich wieder Leben auf der Kaiserswerther Strasse. Da wo noch etwas passiert ist Haus der Mode Feeling. Die Welt hat sich verändert und der Franzose und Italiener geht dahin wo richtig Umsatz gemacht wird. Korea Japan Fern-Ost. Düsseldorf taugt da nur noch für die Abschiedsvorstellung. Traurig aber die reale Welt

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