Die derzeitige Berichterstattung über digitale Mode stiftet mehr Verwirrung, als dass sie Aufklärung leistet. Denn sie erweckt den Eindruck, als beschränke sich das Potential digitaler Mode auf hochpreisige NFTs in limitierten Auflagen. Dass Marken wie Gucci und Louis Vuitton solche NFTs verkaufen können, heißt für den Rest der Branche aber erst einmal noch gar nichts. Denn solche Marken, von denen es auf der ganzen Welt nur zwei Dutzend gibt, sind so ikonisch, dass sie – wie wir dank Supreme wissen – auch einen Ziegelstein verkaufen können, solange nur ihr Logo drauf ist.
Die digitale High Fashion, die in den Fachmedien gerade für so viel Aufregung sorgt, ist nur die weithin sichtbare Spitze des Eisberges, der auf uns zukommt. Denn genau wie im Physischen gibt es auch im Virtuellen nicht nur einen exklusiven Markt für digitale Luxusmode, sondern auch einen Massenmarkt für digitale Fast Fashion, der nur darauf wartet, erschlossen zu werden.
Die Generation Z, also die nach 1995 Geborenen, von denen die ersten derzeit schon 27 sind, strömt gerade massiv auf den Modemarkt. Diese jungen Menschen wurden in eine Welt hineingeboren, in der Fast Fashion bereits etabliert war. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben ihre Eltern ihre gesamte Baby- und Kinderkleidung bei Fast-Fashion-Anbietern gekauft – die Strampler, die Unterhosen im Dreierpack, die Schlafanzüge mit Disney-Drucken, die Jeans für den Spielplatz, die Shorts für den Urlaub… Und mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit waren die ersten Klamotten, die sie sich von ihrem Taschengeld selbst gekauft haben, ebenfalls Fast-Fashion-Teile. Sie sind die erste Generation von waschechten Fast Fashion Natives.
Andererseits sind sie aber auch die Generation Fridays-For-Future. Die aktuellen Studienergebnisse, die uns bei DMI vorliegen, bestätigen dass ökologisches Bewusstsein bei diesen jungen Menschen besonders ausgeprägt ist: Sie diskutieren untereinander und mit öffentlichen Amtsträgern über Klima- und Umweltschutz, sie spenden das wenige Geld, das sie haben, an Umweltorganisationen, sie gehen für mehr Klima- und Umweltschutz auf die Straße, und sie essen auch viel weniger Fleisch als ältere Generationen.
Nur ihren Fast-Fashion-Konsum bekommen sie nicht in den Griff. Sie versuchen zwar, weniger Klamotten zu kaufen, aber Slow Fashion gelingt ihnen einfach nicht. Sie sind damit aufgewachsen, täglich in neue Rollen schlüpfen und neue Posen ausprobieren zu können. Und auf diese Form, sich selbst auszudrücken, wollen, können und werden sie nicht mehr verzichten. Trotz ihres überdurchschnittlich hohen ökologischen Bewusstseins kauft und entsorgt diese Generation doppelt so oft Kleidung wie der Durchschnitt der Menschen. Jede dritte junge Frau gibt an, dass sie ein Kleidungsstück bereits als alt betrachtet, wenn sie es ein- oder zweimal getragen hat.
Weil wir im Metaverse unser Bedürfnis, täglich in neue Rollen zu schlüpfen, befriedigen können, werden wir in real Life eine entschleunigte Mode leben, bei der wir bequeme und vielseitige Basics tragen, die uns über einen längeren Zeitraum begleiten und so unseren Geldbeutel wie auch die Ressourcen unseres Planeten schonen.
Diese Generation nimmt das Hashtag #outfitoftheday bzw. #ootd wörtlich. Kein Wunder, denn schließlich sind sie nicht nur in die Fast Fashion hineingeboren, sondern bekanntermaßen auch in das World Wide Web. Wenn man sie nach den Gründen für ihren schnellen Konsum von schneller Mode befragt, antworten sie regelmäßig, dass sie sich auf Social Media nicht wiederholen wollen. Bei einer Umfrage unter jungen Briten stellte sich heraus, dass jede:r Zehnte Kleidung kauft, nur um sich für Social Media darin zu fotografieren und sie dann wieder an den Händler zurückzuschicken. Bei einem großen Teil des schnellen Konsums von schneller Mode geht es also ausschließlich darum, digitale Bilder von sich in jeweils neuen trendigen Outfits zu posten.
Jeder, der die Software-Entwicklung in der Modebranche verfolgt, weiß jedoch, dass wir eigentlich schon jetzt gar keine physischen Kleidungsstücke mehr brauchen, um digitale Bilder von uns in neuen Kleidungsstücken zu erzeugen. Wir haben bereits die Technik, um Kleidung virtuell anzuziehen und anzuprobieren. Und diese Technik ist kurz davor, ohne großen Aufwand und Kosten breit eingesetzt werden zu können. Es wird in Bälde ein Angebot an virtueller Fast Fashion geben, das genauso unkompliziert und niederschwellig sein wird, wie jetzt Snapchat-Filter, nur dass man sich dabei eben keine Hundeohren oder Nickelbrillen aufsetzt, sondern für seine Tiktok-Videos, Insta-Stories und Facebook-Posts in ständig wechselnde trendige Outfits schlüpfen kann. Diese Möglichkeit dürfte in Zukunft umso attraktiver sein, als physische Mode – sowohl durch die zunehmende Verknappung der zu ihrer Herstellung notwendigen physischen Ressourcen als auch durch die zunehmend strengen Gesetze zu ökologischen und sozialen Mindeststandards – nicht mehr so billig wie jetzt zu haben sein wird.
Sämtliche plausiblen Prognosen sagen voraus, dass wir in Zukunft zusätzlich zu unserem Leben in der physischen Welt, a.k.a. IRL, ein Parallelleben in der virtuellen Welt, a.k.a. Metaverse, leben werden. Für unseren Umgang mit Mode könnte das bedeuten, dass wir die Ultra-Fast-Fashion, die wir derzeit noch IRL leben, dann im Metaverse leben werden. Denn dort können wir uns mehrfach täglich in komplett anderen digitalen Looks zeigen, die sowohl unseren Geldbeutel als auch die physischen Ressourcen unseres Planeten schonen. Und weil wir auf diese Weise unser Bedürfnis, täglich in neue Rollen zu schlüpfen und neue Posen auszuprobieren, so gründlich ausleben und befriedigen können, werden wir in real Life eine deutlich entschleunigte Mode leben, bei der wir bequeme und vielseitige Basics tragen, die uns über einen längeren Zeitraum durch unseren beruflichen und privaten Alltag begleiten und so ebenfalls sowohl unseren Geldbeutel als auch die physischen Ressourcen unseres Planeten schonen.