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Less is the new Green

Vor der Pandemie bedeutete „nachhaltiger Modekonsum“ für die Mehrheit der Menschen, dass man ökologisch und sozialverträglich produzierte Mode konsumiert, so Carl Tillessen. Heute geht es darum, weniger zu konsumieren.
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Carl Til­less­sen

Für einen kur­zen Moment im Jah­re 2019 hat­ten wir alle das Gefühl, auf dem rich­ti­gen Weg zu sein: Nach­hal­tig­keit war end­lich im Main­stream ange­kom­men. Die Such­an­fra­gen nach nach­hal­ti­ger Mode waren inner­halb eines Jah­res um 66 Pro­zent gestie­gen, und die Mode­her­stel­ler hat­ten sich auf die­se schnell wach­sen­de Nach­fra­ge ein­ge­schos­sen. Sie ersetz­ten kon­ven­tio­nel­le Baum­wol­le durch Bio-Baum­wol­le, Vir­gin Poly­es­ter durch Kunst­fa­sern aus recy­cel­ten PET-Fla­schen, ech­tes Leder durch vega­ne Alter­na­ti­ven und so wei­ter.

Doch, so wie es aus­sieht, wird die­se Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie der Mode­indus­trie, die vor der Pan­de­mie so erfolg­reich war, nach der Pan­de­mie nicht mehr grei­fen. Denn die Kon­su­men­ten sind inzwi­schen schon einen ent­schei­den­den Schritt wei­ter, wie die Zah­len beim DMI zei­gen: 40 Pro­zent aller Leu­te haben die pan­de­mie­be­ding­ten Lock­downs genutzt, um zu ent­rüm­peln und ihre über­füll­ten Klei­der­schrän­ke aus­zu­mis­ten und sind dabei im Durch­schnitt auf 40 Pro­zent  nahe­zu unge­nutz­ter Klei­dungs­stü­cke gesto­ßen. Das hat Spu­ren hin­ter­las­sen: Vie­le  haben den Vor­satz gefasst, es in Zukunft nicht wie­der so weit kom­men zu las­sen.

Im Mai 2020 – also nur weni­ge Wochen nach Aus­bruch der Pan­de­mie – hat­ten sich schon 31 Pro­zent aller Men­schen vor­ge­nom­men, in Zukunft weni­ger Klei­dung zu kau­fen, und 28 Pro­zent hat­ten fest­ge­stellt, dass sie ihre Klei­dung bereits häu­fi­ger wie­der­ver­wen­den und recy­celn als vor­her. Damals waren sie noch die Min­der­heit. Inzwi­schen sind sie die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit, wie eine aktu­el­le Umfra­ge zeigt: Im Juni 2022 gaben gan­ze 66 Pro­zent der Befrag­ten an, in Zukunft weni­ger Klei­dung kau­fen zu wol­len, und gan­ze 89 Pro­zent – also fast alle – erklär­ten, ihre Klei­dung in Zukunft län­ger zu nut­zen zu wol­len.

Die Kunden werden nicht mehr einfach das Gleiche in grün kaufen. Denn es geht ihnen immer weniger darum, was sie kaufen, und stattdessen immer mehr darum, wieviel sie kaufen.

Genau wie bei Ihrer prä­pan­de­mi­schen „Green­sump­ti­on“ geht es den Men­schen auch bei ihrer post­pan­de­mi­schen „Decon­sump­ti­on“ vor allem um Nach­hal­tig­keit. Das Ziel ist also gleich­ge­blie­ben, nur die Her­an­ge­hens­wei­se hat sich grund­le­gend geän­dert: Vor der Pan­de­mie bedeu­te­te „nach­hal­ti­ger Mode­kon­sum“ für die Mehr­heit, dass man nach­hal­ti­ge Mode kon­su­miert. Den Gedan­ken, dass man auch weni­ger Mode kon­su­mie­ren könn­te, hat­te damals hin­ge­gen nur eine Min­der­heit, näm­lich ein Drit­tel der Leu­te.

Durch die Pan­de­mie haben sich die­se Mehr­heits­ver­hält­nis­se umge­kehrt, so dass jetzt zwei Drit­tel aller Men­schen die Umwelt und das Kli­ma schüt­zen wol­len, indem sie dazu bei­tra­gen, dass weni­ger Klei­dung gekauft wird. Dass die­se neue Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie beim Kon­su­men­ten die alte abge­löst hat, zeigt sich auch in einer ande­ren aktu­el­len Erhe­bung, bei der die Befrag­ten mit über­wäl­ti­gen­der Mehr­heit erklär­ten, dass sie, wenn es um Nach­hal­tig­keit geht, weder den Mode­un­ter­neh­men ver­trau­en noch auf Sie­gel wie GOTS oder OEKOTEX ach­ten. Statt­des­sen kau­fen sie lie­ber Klei­dungs­stü­cke, die man lan­ge tra­gen kann. Sie sind zu dem Schluss gekom­men,  dass das Ein­zi­ge, was in Bezug auf Nach­hal­tig­keit wirk­lich hilft, ist, weni­ger zu kau­fen.

Ver­ste­hen Sie mich bit­te nicht falsch: Es ist wich­tig und rich­tig bei der Her­stel­lung von Klei­dung nach­hal­ti­ge Mate­ria­li­en und Ver­fah­ren zu ver­wen­den. Nur, es wird eben nicht rei­chen. Das hat die Wis­sen­schaft erkannt. Und das haben auch die Kon­su­men­ten erkannt. Inso­fern soll­ten wir nicht ent­täuscht sein, wenn unse­re bewähr­ten Nach­hal­tig­keits-Nar­ra­ti­ve bei ihnen jetzt nicht mehr so zie­hen wie vor­her. Die Kun­den wer­den nicht mehr ein­fach das Glei­che in grün kau­fen. Denn es geht ihnen immer weni­ger dar­um, was sie kau­fen, und statt­des­sen immer mehr dar­um, wie­viel sie kau­fen.

Ent­spre­chend möch­ten 62 Pro­zent von ihnen auch von Mode­wer­bung weni­ger unter Druck gesetzt wer­den, noch mehr Klei­dung zu kau­fen. Sie wol­len sehen, dass die Mode­indus­trie sich nicht nur um nach­hal­ti­ge­re Qua­li­tä­ten bemüht, son­dern auch um nach­hal­ti­ge­re Quan­ti­tä­ten. Inso­fern soll­ten Mode­her­stel­ler, die nach­hal­tig sein wol­len, den Hebel in Zukunft zusätz­lich auch dort anset­zen. Auch das wird sich am Ende bezahlt machen, wenn man es rich­tig angeht.

Carl Til­les­sen ist gemein­sam mit Gerd Mül­ler-Thom­kins Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Mode-Insti­tuts. Sein Buch "Kon­sum" geht der Fra­ge nach, wie, wo und vor allem war­um wir kau­fen. www.carltillessen.com

Bei­trä­ge von Carl Til­les­sen

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3 Antworten zu “Less is the new Green

  1. Mich wür­de inter­es­sie­ren, mit wem die­se Umfra­gen gemacht wur­den? Mit wel­chen Leu­ten, wel­ches Alter, aus wel­chem Land?
    Denn in mei­nem Bekann­ten­um­kreis ist eher das Gegen­teil der Fall: "Oh, der Pul­li ist bil­lig, den kauf ich mir gleich in drei Far­ben."

    1. Sie haben Recht. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass ein Ultra-Fast-Fashion-Unter­neh­men wie Shein, das sieb­zig­mal so schnell Tei­le auf den Markt wirft wie H&M zu zwei Drit­tel des Prei­ses, bereits mehr Umsatz macht als Uni­q­lo, ist es sicher noch zu früh, den schnel­len Kon­sum von schnel­ler Mode für been­det zu erklä­ren. Ein Blog­post bie­tet lei­der nicht die Mög­lich­keit, die Gemenge­la­ge in ihrer Kom­ple­xi­tät dar­zu­stel­len. In den Umfra­gen wur­den zunächst die Absich­ten der Ver­brau­cher erfragt. Dass das tat­säch­li­che Ver­hal­ten der Ver­brau­cher häu­fig sehr stark davon abweicht, ist, gera­de wenn es um Nach­hal­tig­keit geht, lei­der nichts Neu­es. Als Trend­bü­ro ist es unse­re Auf­ga­be, Ver­schie­bun­gen im Wer­te­sys­tem der Ver­brau­cher zu erken­nen und unse­re Kun­den dar­über zu infor­mie­ren, mög­lichst noch bevor sich die­se Ten­den­zen in den Abver­kaufs­zah­len zei­gen. Aus den genann­ten Zah­len ist eine deut­li­che Ver­schie­bung der Prio­ri­tä­ten des Kon­su­men­ten abzu­le­sen. Und wir bei DMI sind über­zeugt, dass sich die­se mit­tel­fris­tig in sei­nem Kauf­ver­hal­ten nie­der­schla­gen wird.

  2. Ich den­ke, mit immer weni­ger Geld in den Taschen wird sich der Kauf von Tex­ti­li­en sich eh mehr und mehr redu­zie­ren. Sind die Kri­sen dann erst­mal vor­bei, wird wie­der genau­so kon­su­miert wie immer. Und das mit dem nicht mehr unter Druck set­zen las­sen, wie soll das funk­tio­nie­ren? Sol­len Mar­ken und Pro­duk­te ein­fach auf­hö­ren zu wer­ben? Das wird sicher­lich nicht so schnell pas­sie­ren. Ich selbst fin­de es mitt­ler­wei­le fast schon uner­träg­lich, wie sich die­se und ande­re Bran­chen um Kun­den bemü­hen. Jede Sekun­de bie­tet Dir jemand auf den Social-Media­ka­nä­len irgend­et­was zum Kau­fen an.Ob die Mar­ke direkt, ob über Influ­en­zer, ob über die "gute Freun­din", die dir irgend­wel­che Pro­duk­te mit einem Rabatt­code anbie­tet. Da ist ja ein Print-Maga­zin mit Anzei­gen eine Wohl­tat. Übri­gens, Nach­hal­tig­keit soll­te auch nicht als Trend ver­stan­den wer­den, son­dern als erns­te Her­aus­for­de­rung an die Zukunft.

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