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Augen auf bei der Berufswahl!

Carl Tillessen möchte wieder stolz auf diese Branche sein. Aus Selbstachtung, und weil es sich langfristig auszahlt. Denn Stolz ist ansteckend.
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Carl Til­les­sen

Wenn Sie das hier lesen, haben Sie eine irra­tio­na­le Berufs­wahl getrof­fen. Denn die Mode­bran­che ist weder dafür bekannt, dass man wenig arbei­ten muss, noch ist sie dafür bekannt, dass man viel Geld ver­dient. Sie wuss­ten das. Trotz­dem haben Sie sich an einem bestimm­ten Punkt Ihres Lebens ent­schie­den, ein Pro­fa­shio­nal sein zu wol­len.

Genau wie ich. Als ich mich für die­se Bran­che ent­schied, war ich zwan­zig, wohn­te in der Vil­la von Karl Lager­feld in Ham­burg und inter­es­sier­te mich für nichts so sehr wie für Mode. Wie vie­le in dem Alter fühl­te ich mich ein­fach unwi­der­steh­lich ange­zo­gen von den Pro­duk­ten und von den Bil­dern, die die­se Indus­trie pro­du­ziert. Das war die Welt, in der ich arbei­ten und mich bewe­gen woll­te. Auch ich kann nicht behaup­ten, ich hät­te nicht gewusst, wor­auf ich mich da ein­las­se. Ein erfah­re­ner Mode­pro­fi hat­te bis zuletzt ver­geb­lich ver­sucht, mich von mei­nem Berufs­wunsch abzu­brin­gen: „Als Mode­de­si­gner arbei­tet man 80 Stun­den die Woche und wird trotz­dem nicht reich.“

Er behielt Recht: Mein ers­ter Job – falls man das über­haupt so nen­nen kann – war ein unbe­zahl­tes Prak­ti­kum, bei dem ich 80 Stun­den die Woche für mei­ne dama­li­ge Lieb­lings­mar­ke arbei­te­te. In den dar­auf­fol­gen­den Jah­ren habe ich für ver­schie­de­ne Mode­fir­men 80 Stun­den die Woche gear­bei­tet, ohne viel Geld zu ver­die­nen. Und doch habe ich auf die Fra­ge, was ich beruf­lich mache, immer mit sehr viel Stolz geant­wor­tet. Ich war stolz dar­auf, in der Mode zu arbei­ten. Ich war stolz dar­auf, Teil die­ser krea­ti­ven und glanz­vol­len Par­al­lel­welt zu sein.

Irgend­wann habe ich mit einer Kol­le­gin eine eige­ne Mode­mar­ke gegrün­det. Von da an haben wir natür­lich noch mehr gear­bei­tet und alles Geld, das rein­kam, immer sofort wie­der reinves­tiert. Trotz­dem haben wir die­se Zeit als eine sehr glück­li­che Zeit emp­fun­den, weil wir stolz waren auf das, was wir mach­ten. Wir waren die, die wir immer hat­ten sein wol­len.

2002 wur­den jun­ge Mäd­chen nach ihren Berufs­wün­schen befragt. Der Berufs­wunsch „Mode­de­si­gne­rin“ lan­de­te dabei mit deut­li­chem Abstand auf Platz eins. Und die, denen der Ein­stieg in die­se begehr­te Bran­che gelang, kleb­ten sich stolz „Fashion is my pro­fes­si­on“ auf ihr Auto. Mode war damals der Traum­be­ruf schlecht­hin. Und wir leb­ten die­sen Traum.

Doch das ist zwan­zig Jah­re her. Heu­te ist Mode kein Traum­be­ruf mehr. Mode ist nicht ein­mal mehr in den Top Ten der Berufs­wün­sche ver­tre­ten. Die Pro­duk­te und Bil­der, die die Mode pro­du­ziert, ver­spre­chen zwar immer noch ein Leben in Schön­heit und Gla­mour. Die­ses Ver­spre­chen kommt aber ganz offen­bar nicht mehr so gut an. Und das ist kein Wun­der, denn der Hoch­glanz­lack, mit dem die Mode über­zo­gen ist, hat in den letz­ten Jah­ren ein paar weit­hin sicht­ba­re Schram­men bekom­men.

Natürlich haben die Menschen immer noch Spaß an Mode. Aber dass die Unternehmen hinter dieser Mode nicht die Guten sind, das hat man meiner Tochter bereits in der Grundschule beigebracht.

Die Beklei­dungs­in­dus­trie ist (lei­der zu Recht) in den Fokus der Nach­hal­tig­keits­de­bat­te gera­ten. Und das liegt nicht nur dar­an, dass Fast Fashion zum Inbe­griff eines glo­ba­len Hyper­kon­sums gewor­den ist, der immer schnel­ler kauft und weg­wirft. Es liegt auch dar­an, dass die Tex­til­in­dus­trie immer und immer wie­der in einen nach­weis­li­chen Zusam­men­hang mit skru­pel­lo­ser Aus­beu­tung und Ver­gif­tung der Natur gebracht wer­den konn­te und kann – so zum Bei­spiel mit dem Aus­trock­nen des Aral­sees durch Baum­woll-Anbau in Usbe­ki­stan oder mit der Ver­gif­tung von Flüs­sen durch die Vis­ko­se-Her­stel­lung im indi­schen Nag­da.

Dar­über hin­aus ist die Mode (lei­der auch zu Recht) in den Fokus der Dis­kus­si­on um Fair­ness und glo­ba­le Unge­rech­tig­keit gera­ten. Denn immer und immer wie­der konn­ten und kön­nen Mode­un­ter­neh­men mit Lohn­dum­ping, Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und moder­ner Skla­ve­rei in Zusam­men­hang gebracht wer­den – wie zum Bei­spiel Pri­mark mit dem Rana-Pla­za-Unglück oder Uni­q­lo mit der Zwangs­ar­beit der Uigu­ren.

Und die Mode ist (lei­der eben­falls zu Recht) in den Fokus der Dis­kus­si­on um Sexis­mus und die Objek­ti­fi­zie­rung von Frau­en gera­ten. Im Rah­men der #Metoo-Bewe­gung taten sich in der Mode­bran­che die glei­chen Abgrün­de auf wie in der Film­bran­che. Erst vor weni­gen Tagen berich­te­te Wolf­gang Joop dem Spie­gel: „Die Agen­tu­ren gaben die Schlüs­sel zu den Zim­mern der Models, die nicht so viel Geld brach­ten, an rei­che Män­ner. Und wenn sich ein Mäd­chen beschwer­te, hieß es: Wir kön­nen auch auf dich ver­zich­ten.“

So hat sich die Beklei­dungs­in­dus­trie im Lau­fe der letz­ten Jahr­zehn­te durch eine Mischung aus Gedan­ken­lo­sig­keit und Skru­pel­lo­sig­keit gründ­lich unbe­liebt gemacht. Natür­lich haben die Men­schen immer noch Spaß an Mode. Aber, dass die Unter­neh­men hin­ter die­ser Mode und die Men­schen, die die­se Mode machen, nicht die Guten sind, das hat man mei­ner Toch­ter bereits in der Grund­schu­le bei­gebracht.

Man hatte als junger Mensch angefangen, in einer Branche zu arbeiten, auf die man stolz sein konnte. Und irgendwann musste man feststellen, dass man in einer Branche arbeitet, für die man sich schämen muss.

Wenn stolz sein zu wol­len auf das, was ich mache, ursprüng­lich ein ganz wich­ti­ger Grund für mich war in die Mode­bran­che zu gehen, dann soll­te die Erkennt­nis, dass ich auf das, was ich mache, inzwi­schen nicht mehr stolz sein kann, eigent­lich ein Grund sein, die Bran­che wie­der zu ver­las­sen. Das Dilem­ma dabei ist, dass Mode immer noch das ist, was ich lie­be, was ich gelernt habe und was ich gut kann. Das Buch, das ich geschrie­ben habe, ist unter ande­rem der Ver­such, die­ses Dilem­ma zu lösen und einen Weg zu fin­den, das zu machen, was ich lie­be und was ich bes­ser kann als ande­re, ohne dabei unnö­ti­gen und ver­meid­ba­ren Scha­den anzu­rich­ten. Theo­dor Ador­no hat zwar ein­mal geschrie­ben „Es gibt kein rich­ti­ges Leben im Fal­schen.“. Ich habe mich aber trotz­dem auf die Suche nach die­sem rich­ti­gen Leben im Fal­schen gemacht.

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Carl Til­les­sens Buch "Kon­sum" hat es in die Spie­gel-Best­sel­ler-Lis­te gebracht

Ich war sehr gespannt, wie die­ses Buch von der Bran­che und ins­be­son­de­re von unse­ren Kun­den bei DMI auf­ge­nom­men wer­den wür­de. Tat­säch­lich zeig­te sich umge­hend, dass es sehr vie­len Mode­pro­fis genau­so geht wie mir: Man hat­te als jun­ger Mensch ange­fan­gen, in einer Bran­che zu arbei­ten, auf die man stolz sein konn­te. Und irgend­wann muss­te man fest­stel­len, dass man in einer Bran­che arbei­tet, für die man sich schä­men muss.

Wenn man genau­er hin­sieht, stellt man fest, dass um uns her­um gera­de vie­le Mode­pro­fis Ent­schei­dun­gen tref­fen und Din­ge tun, die vor allem von dem Wunsch moti­viert sind, wie­der stolz sein zu kön­nen auf das, was man macht. Es ist beein­dru­ckend zu sehen, mit wel­cher Kraft und wel­chem Auf­wand beson­ders inhaber:innengeführte Unter­neh­men der­zeit dar­an arbei­ten, die­sen Stolz wie­der her­zu­stel­len, indem sie ihr Unter­neh­men und ihre Pro­duk­te rein­wa­schen. Und die­ses Rein­wa­schen ist kein Green­wa­shing oder Fair­wa­shing. Es ist Lei­den­schaft im wört­li­chen Sin­ne. Kurz­fris­tig rech­net sich das näm­lich meist über­haupt nicht.

Aber lang­fris­tig zahlt es sich dann doch aus. Denn Stolz ist anste­ckend: Wenn man etwas hat, wor­auf man stolz sein kann, dann ist die Pres­se stolz, dar­über zu schrei­ben. Die Läden sind stolz, es zu füh­ren. Die Verkäufer:innen sind stolz, es zu ver­kau­fen, und ihre Kund:innen sind stolz, es zu kau­fen. Und alle sind stolz, dar­über zu reden.

Und irgend­wo gibt es dann auch einen jun­gen Mann, der ver­rückt genug ist, für wenig Geld 80 Stun­den die Woche dafür zu arbei­ten.

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Mehr dazu: Fir­ma, die "Mode­haupt­stadt" und das Zerr­bild vom Mode­de­si­gner

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