Wie geht es Ihnen in Schweden?
Es geht mir sehr gut, danke. Natürlich sind es turbulente Zeiten. Ich war gerade einmal drei Monate im neuen Job, da veränderte sich das Leben wegen der Corona-Krise schlagartig. Üblicherweise definiert man ja in den ersten hundert Tagen sein Programm. Ich war gerade fertig damit, als plötzlich alles anders wurde. Wir haben versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Sie ist ja auch die Chance, Dinge in Frage zu stellen und sich neu zu erfinden.
Sie sind nach Stockholm umgezogen?
Ja. Im Oktober letzten Jahres sind wir mit den drei Kindern umgezogen. Mein erster Tag bei Tiger of Sweden war der 1. Dezember. Mein Mann arbeitete zuvor schon für eine Pharma-Firma, die in Uppsala sitzt, eine Stunde nördlich von Stockholm. Das passte natürlich gut.
Sie haben zuvor für Hugo Boss gearbeitet. Was hat Sie bewogen, den Schritt nach Schweden zu machen?
Was mich reizt, ist das Potenzial dieser Marke. Tiger of Sweden wurde ja 1903 gegründet und kann aus einer großen Legacy schöpfen. Da ist sehr viel Kompetenz, auf der man aufbauen kann. Gleichzeitig trifft die Marke sehr gut den Zeitgeist.
Wie haben Sie die Marke von Metzingen aus wahrgenommen?
In erster Linie als HUGO-Wettbewerber. Das stellt sich übrigens von Stockholm aus etwas anders dar. Heute würde ich die Marke zwischen HUGO und BOSS ansiedeln. Der Tiger of Sweden-Kunde ist definitiv modischer als der klassische BOSS-Kunde. Sicher auch weniger flippig als der HUGO-Kunde. Aber er hat einen klaren Design-Anspruch und ist skandinavisch ausgerichtet.
Wie sind Sie bei Tiger of Sweden aufgenommen worden?
Meine erste Woche habe ich damit verbracht, mit allen Mitarbeitern persönlich ins Gespräch zu kommen. Das war sehr wichtig. Ich wollte zuhören und lernen. Denn natürlich bin ich schon ein ziemlicher Kontrast zu meinen Vorgängern – nicht skandinavisch, kein typischer Wholesale-Background…
Schwedische Unternehmen ticken anders.
Ja. Schweden ist sehr basisdemokratisch, sehr konsensorientiert. Das kommt mir sehr entgegen, denn ich bin davon überzeugt, dass man nur gewinnen kann, wenn man die verschiedenen Stärken und Profile im Team zur Geltung bringt. Und vielleicht habe ich auch den Vorteil, dass ich je nach Situation mit einem Augenzwinkern sagen kann ‚Ich bin Italienerin‘ oder ‚Ich bin Österreicherin‘ oder ‚Ich habe in Deutschland gearbeitet‘. Es ist eine meiner Herausforderungen, Schwedisches Arbeitsrecht und die leistungsorientierte Kultur von McKinsey, die mich geprägt hat, zusammenzuführen. Denn das Unternehmen war jahrelang sehr erfolgreich, ist schnell gewachsen. Jetzt geht es darum, Organisation und Prozesse zu professionalisieren. Das ist auch kulturell anspruchsvoll.
"Wir haben die Krise genutzt, zu hinterfragen, wie wir uns aufstellen. Jetzt war das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen da."
Was sind die Baustellen, die Sie in den ersten hundert Tagen identifiziert haben?
Produktseitig geht es darum, die Casualisierung voranzutreiben. Da sind wir heute schon weiter, als es in Deutschland wahrgenommen wird. Jeans sind beispielsweise unsere drittstärkste Produktgruppe. Aber auch bei Anzügen geht es um relaxtere Stoffe und Schnitte und um lässigere Looks. Auch bei Tiger of Sweden Women sehe ich großes Potenzial. Im Vertrieb geht es wie überall um den Ausbau des Online-Anteils.
Der liegt zurzeit wo?
Wenn Sie den eigenen Shop und das Wholesale Business mit Online Retailern zusammenrechnen bei 20 bis 25 Prozent. Auch die Marke ist bei uns übrigens ein großes Thema. Wir hatten letzte Woche den Pitch für eine neue Kreativagentur. Wir werden in den Märkten unterschiedlich wahrgenommen. Wir wollen als Marke insgesamt nahbarer für den Kunden werden, positiver, weniger kühl und intellektuell auftreten. Vielleicht waren wir etwas zu nischig, zu ernst und leise. So haben wir zum Beispiel überhaupt nicht zum Thema Nachhaltigkeit kommuniziert. Obwohl wir da als Marke schon weit sind.
Sie sprachen es eben an: Auch in Organisation und Prozessen gab es Veränderungen?
Ja. Wir haben die Krise genutzt, zu hinterfragen, wie wir uns aufstellen. Jetzt war das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen da. Wir haben unsere Strukturen verschlankt. Das wird uns schneller machen.
Schweden nimmt bekanntlich eine Sonderrolle ein, wenn es um das Management der Corona-Krise geht. Sieht man die Pandemie von Stockholm aus entspannter als in München oder Mailand?
Wir sind ebenfalls seit Mitte März im Home Office. Und das wird auch noch bis August so bleiben. Aber die Läden waren offen, das stimmt, manche mit verkürzten Öffnungszeiten. Wir haben aber deutliche Einbußen in der Frequenz. Andererseits will derjenige, der kommt, dann aber auch etwas kaufen.
Wieviel seines Umsatzes macht Tiger im Heimatmarkt?
30 Prozent.
Was ist Ihre Erwartung an die kommenden Monate? Auf welche ‚neue Normalität‘ stellen Sie sich ein?
Der Herbst wird eine Aufholjagd. Ich gehe davon aus, dass sich das Konsumklima bis zum Jahresende wieder bessern wird. Experten sagen, dass die Branche in diesem Jahr trotzdem 20 bis 30 Prozent unter Vorjahr bleiben wird. Davon gehen wir auch aus. Ab Frühjahr/Sommer 2021 wird sich das Geschäft wieder stabilisieren. Wir nutzen diese Phase als Chance, um uns als Marke neu zu erfinden.